Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].grunde des Grasplatzes sahen wir oft den glänzenden Vollmond aufsteigen; die dichten Seitengebüsche dienten Nachtigallen und Finken zu sicherem Brutort. Durch diesen vorderen poetischen Abschnitt war die Prosa des hinteren Gartentheiles geschickt verdeckt. Große Gemüse- und Spargelbeete, unabsehliche Himbeerhecken und Erdbeerpflanzungen, Obstbäume von allen Arten, ein Pfirsich- und ein Ananashaus, sonnige Weingeländer füllten den übrigen Raum. Zum Vesperbrodt erhielten wir Kinder gewöhnlich einen Helling Semmel und wurden damit in die Erd-, Johannis- oder Stachelbeeren geschickt; d. h. wir durften davon so viel verzehren, als uns schmeckte, welche Erlaubniß anfangs bis an die äußerste Gränze der Möglichkeit ausgedehnt wurde. Allein nachdem die Folgen der Unmäßigkeit sich einige Male auf unangenehme Weise fühlbar gemacht, lernten wir uns bescheiden, und es ist mir nicht zweifelhaft, daß dieser reichliche Obstgenuß viel zu meinem späteren Wohlbefinden beigetragen. Die besten Erdbeeren und Himbeeren standen im entferntesten Theile des Gartens, bis wohin ein Ruf von der Terrasse nicht reichte. Damit wir nicht über die Gebühr dort verweilen möchten, hatte mein Vater ein kleines Pfeifchen angeschafft, das im Gartensaale neben der Mittelthür hing. Sobald wir im Garten den hellen Ton des Pfeifchens hörten, wurde unweigerlich der Rückzug angetreten. Bei kleineren und größeren Gesellschaften fehlte es zum Nachtische nie an einer völlig gereiften Melone; als Hochgenuß wurde eine Ananas betrachtet, deren dünne Scheibchen indessen nur selten bis zu unserer Kinderecke hinabreichten. An das Landhaus schloß sich seitwärts ein geräumiger Hof mit Stallungen, in denen der Doctor Kohlrausch bei grunde des Grasplatzes sahen wir oft den glänzenden Vollmond aufsteigen; die dichten Seitengebüsche dienten Nachtigallen und Finken zu sicherem Brutort. Durch diesen vorderen poetischen Abschnitt war die Prosa des hinteren Gartentheiles geschickt verdeckt. Große Gemüse- und Spargelbeete, unabsehliche Himbeerhecken und Erdbeerpflanzungen, Obstbäume von allen Arten, ein Pfirsich- und ein Ananashaus, sonnige Weingeländer füllten den übrigen Raum. Zum Vesperbrodt erhielten wir Kinder gewöhnlich einen Helling Semmel und wurden damit in die Erd-, Johannis- oder Stachelbeeren geschickt; d. h. wir durften davon so viel verzehren, als uns schmeckte, welche Erlaubniß anfangs bis an die äußerste Gränze der Möglichkeit ausgedehnt wurde. Allein nachdem die Folgen der Unmäßigkeit sich einige Male auf unangenehme Weise fühlbar gemacht, lernten wir uns bescheiden, und es ist mir nicht zweifelhaft, daß dieser reichliche Obstgenuß viel zu meinem späteren Wohlbefinden beigetragen. Die besten Erdbeeren und Himbeeren standen im entferntesten Theile des Gartens, bis wohin ein Ruf von der Terrasse nicht reichte. Damit wir nicht über die Gebühr dort verweilen möchten, hatte mein Vater ein kleines Pfeifchen angeschafft, das im Gartensaale neben der Mittelthür hing. Sobald wir im Garten den hellen Ton des Pfeifchens hörten, wurde unweigerlich der Rückzug angetreten. Bei kleineren und größeren Gesellschaften fehlte es zum Nachtische nie an einer völlig gereiften Melone; als Hochgenuß wurde eine Ananas betrachtet, deren dünne Scheibchen indessen nur selten bis zu unserer Kinderecke hinabreichten. 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Allein nachdem die Folgen der Unmäßigkeit sich einige Male auf unangenehme Weise fühlbar gemacht, lernten wir uns bescheiden, und es ist mir nicht zweifelhaft, daß dieser reichliche Obstgenuß viel zu meinem späteren Wohlbefinden beigetragen. Die besten Erdbeeren und Himbeeren standen im entferntesten Theile des Gartens, bis wohin ein Ruf von der Terrasse nicht reichte. Damit wir nicht über die Gebühr dort verweilen möchten, hatte mein Vater ein kleines Pfeifchen angeschafft, das im Gartensaale neben der Mittelthür hing. Sobald wir im Garten den hellen Ton des Pfeifchens hörten, wurde unweigerlich der Rückzug angetreten. Bei kleineren und größeren Gesellschaften fehlte es zum Nachtische nie an einer völlig gereiften Melone; als Hochgenuß wurde eine Ananas betrachtet, deren dünne Scheibchen indessen nur selten bis zu unserer Kinderecke hinabreichten. </p><lb/> <p>An das Landhaus schloß sich seitwärts ein geräumiger Hof mit Stallungen, in denen der Doctor Kohlrausch bei </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [110/0122]
grunde des Grasplatzes sahen wir oft den glänzenden Vollmond aufsteigen; die dichten Seitengebüsche dienten Nachtigallen und Finken zu sicherem Brutort.
Durch diesen vorderen poetischen Abschnitt war die Prosa des hinteren Gartentheiles geschickt verdeckt. Große Gemüse- und Spargelbeete, unabsehliche Himbeerhecken und Erdbeerpflanzungen, Obstbäume von allen Arten, ein Pfirsich- und ein Ananashaus, sonnige Weingeländer füllten den übrigen Raum. Zum Vesperbrodt erhielten wir Kinder gewöhnlich einen Helling Semmel und wurden damit in die Erd-, Johannis- oder Stachelbeeren geschickt; d. h. wir durften davon so viel verzehren, als uns schmeckte, welche Erlaubniß anfangs bis an die äußerste Gränze der Möglichkeit ausgedehnt wurde. Allein nachdem die Folgen der Unmäßigkeit sich einige Male auf unangenehme Weise fühlbar gemacht, lernten wir uns bescheiden, und es ist mir nicht zweifelhaft, daß dieser reichliche Obstgenuß viel zu meinem späteren Wohlbefinden beigetragen. Die besten Erdbeeren und Himbeeren standen im entferntesten Theile des Gartens, bis wohin ein Ruf von der Terrasse nicht reichte. Damit wir nicht über die Gebühr dort verweilen möchten, hatte mein Vater ein kleines Pfeifchen angeschafft, das im Gartensaale neben der Mittelthür hing. Sobald wir im Garten den hellen Ton des Pfeifchens hörten, wurde unweigerlich der Rückzug angetreten. Bei kleineren und größeren Gesellschaften fehlte es zum Nachtische nie an einer völlig gereiften Melone; als Hochgenuß wurde eine Ananas betrachtet, deren dünne Scheibchen indessen nur selten bis zu unserer Kinderecke hinabreichten.
An das Landhaus schloß sich seitwärts ein geräumiger Hof mit Stallungen, in denen der Doctor Kohlrausch bei
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/122>, abgerufen am 16.02.2025. |