Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].nach mehreren Jahren wieder zu Gnaden aufgenommen, und betrachtete sich nun fast wie ein Glied der Familie. Vor seinem fürchterlich häslichen Gesicht, das in der Woche selten rasirt war, vor seiner rauhen polternden Stimme, vor seinen bäurischen Maniren behielten wir eine unüberwindliche Abneigung. Durch einige Erzählungen von dem, was er als Gärtnerbursche und später auf der Wanderschaft ausgestanden, trieb er uns die Haare zu Berge: wie er beinahe den Hals gebrochen, als er auf eine 60 Fuß hohe, bereits angesägte Tanne gestiegen und damit umgestürzt sei - wie er beinahe in der Spree ertrunken, weil er am Johannistage gebadet, wo der Fluß ein Opfer verlange - wie er beinahe von einem tollen Hunde gebissen sei, aber ihn glücklicherweise vorher todtgeschlagen u. s. w. Beim Abraupen der Obstbäume pflegte er die Raupen mit den Händen zu zerdrücken, die man Bärentatzen vergleichen konnte, und beim Einsetzen der Blumen wurde der Dünger ebenfalls mit den Händen gemengt. Eines Abends saß er mit seinem Butterbrodte im Hofe, wo wir mit unserem Lieblinge Wasser beschäftigt waren, und erbot sich gegen uns, auf seiner "Stulle" eine recht fette Kreuzspinne zu verzehren. Er versicherte zwar nicht, wie Dr. Katzenberger bei Jean Paul, sie schmecke wie eine Haselnuß, aber wir schauderten bei dem Gedanken und erzählten die Sache den Aeltern. Da mag denn wohl ein sehr strenges Verbot gegen solche Späße erfolgt sein: denn ich entsinne mich nicht, daß später dergleichen vorgekommen. Wenn er Sonntags manchmal nach der französischen Kirche ging, so trug er den langen hellblauen Bratenrock mit blanken, fast thalergroßen Knöpfen, einen ungeheuren nach mehreren Jahren wieder zu Gnaden aufgenommen, und betrachtete sich nun fast wie ein Glied der Familie. Vor seinem fürchterlich häslichen Gesicht, das in der Woche selten rasirt war, vor seiner rauhen polternden Stimme, vor seinen bäurischen Maniren behielten wir eine unüberwindliche Abneigung. Durch einige Erzählungen von dem, was er als Gärtnerbursche und später auf der Wanderschaft ausgestanden, trieb er uns die Haare zu Berge: wie er beinahe den Hals gebrochen, als er auf eine 60 Fuß hohe, bereits angesägte Tanne gestiegen und damit umgestürzt sei – wie er beinahe in der Spree ertrunken, weil er am Johannistage gebadet, wo der Fluß ein Opfer verlange – wie er beinahe von einem tollen Hunde gebissen sei, aber ihn glücklicherweise vorher todtgeschlagen u. s. w. Beim Abraupen der Obstbäume pflegte er die Raupen mit den Händen zu zerdrücken, die man Bärentatzen vergleichen konnte, und beim Einsetzen der Blumen wurde der Dünger ebenfalls mit den Händen gemengt. Eines Abends saß er mit seinem Butterbrodte im Hofe, wo wir mit unserem Lieblinge Wasser beschäftigt waren, und erbot sich gegen uns, auf seiner „Stulle“ eine recht fette Kreuzspinne zu verzehren. Er versicherte zwar nicht, wie Dr. Katzenberger bei Jean Paul, sie schmecke wie eine Haselnuß, aber wir schauderten bei dem Gedanken und erzählten die Sache den Aeltern. Da mag denn wohl ein sehr strenges Verbot gegen solche Späße erfolgt sein: denn ich entsinne mich nicht, daß später dergleichen vorgekommen. Wenn er Sonntags manchmal nach der französischen Kirche ging, so trug er den langen hellblauen Bratenrock mit blanken, fast thalergroßen Knöpfen, einen ungeheuren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0137" n="125"/> nach mehreren Jahren wieder zu Gnaden aufgenommen, und betrachtete sich nun fast wie ein Glied der Familie. </p><lb/> <p>Vor seinem fürchterlich häslichen Gesicht, das in der Woche selten rasirt war, vor seiner rauhen polternden Stimme, vor seinen bäurischen Maniren behielten wir eine unüberwindliche Abneigung. Durch einige Erzählungen von dem, was er als Gärtnerbursche und später auf der Wanderschaft ausgestanden, trieb er uns die Haare zu Berge: wie er beinahe den Hals gebrochen, als er auf eine 60 Fuß hohe, bereits angesägte Tanne gestiegen und damit umgestürzt sei – wie er beinahe in der Spree ertrunken, weil er am Johannistage gebadet, wo der Fluß ein Opfer verlange – wie er beinahe von einem tollen Hunde gebissen sei, aber ihn glücklicherweise vorher todtgeschlagen u. s. w. Beim Abraupen der Obstbäume pflegte er die Raupen mit den Händen zu zerdrücken, die man Bärentatzen vergleichen konnte, und beim Einsetzen der Blumen wurde der Dünger ebenfalls mit den Händen gemengt. Eines Abends saß er mit seinem Butterbrodte im Hofe, wo wir mit unserem Lieblinge Wasser beschäftigt waren, und erbot sich gegen uns, auf seiner „Stulle“ eine recht fette Kreuzspinne zu verzehren. Er versicherte zwar nicht, wie Dr. Katzenberger bei Jean Paul, sie schmecke wie eine Haselnuß, aber wir schauderten bei dem Gedanken und erzählten die Sache den Aeltern. Da mag denn wohl ein sehr strenges Verbot gegen solche Späße erfolgt sein: denn ich entsinne mich nicht, daß später dergleichen vorgekommen. </p><lb/> <p>Wenn er Sonntags manchmal nach der französischen Kirche ging, so trug er den langen hellblauen Bratenrock mit blanken, fast thalergroßen Knöpfen, einen ungeheuren </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0137]
nach mehreren Jahren wieder zu Gnaden aufgenommen, und betrachtete sich nun fast wie ein Glied der Familie.
Vor seinem fürchterlich häslichen Gesicht, das in der Woche selten rasirt war, vor seiner rauhen polternden Stimme, vor seinen bäurischen Maniren behielten wir eine unüberwindliche Abneigung. Durch einige Erzählungen von dem, was er als Gärtnerbursche und später auf der Wanderschaft ausgestanden, trieb er uns die Haare zu Berge: wie er beinahe den Hals gebrochen, als er auf eine 60 Fuß hohe, bereits angesägte Tanne gestiegen und damit umgestürzt sei – wie er beinahe in der Spree ertrunken, weil er am Johannistage gebadet, wo der Fluß ein Opfer verlange – wie er beinahe von einem tollen Hunde gebissen sei, aber ihn glücklicherweise vorher todtgeschlagen u. s. w. Beim Abraupen der Obstbäume pflegte er die Raupen mit den Händen zu zerdrücken, die man Bärentatzen vergleichen konnte, und beim Einsetzen der Blumen wurde der Dünger ebenfalls mit den Händen gemengt. Eines Abends saß er mit seinem Butterbrodte im Hofe, wo wir mit unserem Lieblinge Wasser beschäftigt waren, und erbot sich gegen uns, auf seiner „Stulle“ eine recht fette Kreuzspinne zu verzehren. Er versicherte zwar nicht, wie Dr. Katzenberger bei Jean Paul, sie schmecke wie eine Haselnuß, aber wir schauderten bei dem Gedanken und erzählten die Sache den Aeltern. Da mag denn wohl ein sehr strenges Verbot gegen solche Späße erfolgt sein: denn ich entsinne mich nicht, daß später dergleichen vorgekommen.
Wenn er Sonntags manchmal nach der französischen Kirche ging, so trug er den langen hellblauen Bratenrock mit blanken, fast thalergroßen Knöpfen, einen ungeheuren
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