Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].dreieckigen Hut, graue Unterkleider, unförmliche Stulpenstiefeln, einen schwarzen Haarbeutel und ein großes spanisches Rohr. Obgleich diese Tracht damals noch nicht ganz veraltet war, so erregte seine groteske Figur bei der Straßenjugend immer einiges Aufsehn. Seine Tochter Lotte, ein kräftiges Gärtnermädchen, fanden wir ungemein schön, besonders wenn sie mit dem breiten Strohhute die Sallatbeete besorgte oder mit zwei großen Obstkörben auf den Markt ging. Aber ihre Stimme war wie die ihres Vaters rauh und gebrochen, wir mochten daher nicht gern mit ihr verkehren. Der Alte hatte sie gut unterrichten lassen und sie sprach das französische ganz geläufig. Dies jedoch gereichte ihr nicht zum Vortheil. Bei der französischen Eroberung wurde auch das Haus in der Lehmgasse reichlich mit Einquartirung belegt, für welche der Gärtner zu sorgen hatte. Die fremden Soldaten waren sehr erfreut, sich in ihrer Muttersprache unterhalten zu können; trotz des Franzosenhasses konnte Lotte der angebornen Feinheit der Sieger auf die Länge nicht widerstehn, und folgte i. J. 1812 als Marketenderin einem nach Rußland weiterrückenden Regimente, unter dem besonderen Schutze eines schwarzbärtigen Tambourmajor. Was aus ihr geworden, haben wir nie erfahren. Diesen Schmerz konnte der ehrliche Vater Couturier nicht überstehn. Er ging tiefsinnig im Garten auf und ab, sprach mit Niemand, und versuchte seinen Kummer in Branntwein zu ersäufen, aber vergebens. Als der Gartenknecht eines Morgens ganz früh in das Orangeriehaus trat, hing der alte Couturier in seinem hellblauen Sonntagsrocke vom Balken herab. Er hatte sich zu diesem letzten Schritte festlich herausgeputzt. dreieckigen Hut, graue Unterkleider, unförmliche Stulpenstiefeln, einen schwarzen Haarbeutel und ein großes spanisches Rohr. Obgleich diese Tracht damals noch nicht ganz veraltet war, so erregte seine groteske Figur bei der Straßenjugend immer einiges Aufsehn. Seine Tochter Lotte, ein kräftiges Gärtnermädchen, fanden wir ungemein schön, besonders wenn sie mit dem breiten Strohhute die Sallatbeete besorgte oder mit zwei großen Obstkörben auf den Markt ging. Aber ihre Stimme war wie die ihres Vaters rauh und gebrochen, wir mochten daher nicht gern mit ihr verkehren. Der Alte hatte sie gut unterrichten lassen und sie sprach das französische ganz geläufig. Dies jedoch gereichte ihr nicht zum Vortheil. Bei der französischen Eroberung wurde auch das Haus in der Lehmgasse reichlich mit Einquartirung belegt, für welche der Gärtner zu sorgen hatte. Die fremden Soldaten waren sehr erfreut, sich in ihrer Muttersprache unterhalten zu können; trotz des Franzosenhasses konnte Lotte der angebornen Feinheit der Sieger auf die Länge nicht widerstehn, und folgte i. J. 1812 als Marketenderin einem nach Rußland weiterrückenden Regimente, unter dem besonderen Schutze eines schwarzbärtigen Tambourmajor. Was aus ihr geworden, haben wir nie erfahren. Diesen Schmerz konnte der ehrliche Vater Couturier nicht überstehn. Er ging tiefsinnig im Garten auf und ab, sprach mit Niemand, und versuchte seinen Kummer in Branntwein zu ersäufen, aber vergebens. Als der Gartenknecht eines Morgens ganz früh in das Orangeriehaus trat, hing der alte Couturier in seinem hellblauen Sonntagsrocke vom Balken herab. Er hatte sich zu diesem letzten Schritte festlich herausgeputzt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0138" n="126"/> dreieckigen Hut, graue Unterkleider, unförmliche Stulpenstiefeln, einen schwarzen Haarbeutel und ein großes spanisches Rohr. Obgleich diese Tracht damals noch nicht ganz veraltet war, so erregte seine groteske Figur bei der Straßenjugend immer einiges Aufsehn. </p><lb/> <p>Seine Tochter Lotte, ein kräftiges Gärtnermädchen, fanden wir ungemein schön, besonders wenn sie mit dem breiten Strohhute die Sallatbeete besorgte oder mit zwei großen Obstkörben auf den Markt ging. Aber ihre Stimme war wie die ihres Vaters rauh und gebrochen, wir mochten daher nicht gern mit ihr verkehren. Der Alte hatte sie gut unterrichten lassen und sie sprach das französische ganz geläufig. Dies jedoch gereichte ihr nicht zum Vortheil. Bei der französischen Eroberung wurde auch das Haus in der Lehmgasse reichlich mit Einquartirung belegt, für welche der Gärtner zu sorgen hatte. Die fremden Soldaten waren sehr erfreut, sich in ihrer Muttersprache unterhalten zu können; trotz des Franzosenhasses konnte Lotte der angebornen Feinheit der Sieger auf die Länge nicht widerstehn, und folgte i. J. 1812 als Marketenderin einem nach Rußland weiterrückenden Regimente, unter dem besonderen Schutze eines schwarzbärtigen Tambourmajor. Was aus ihr geworden, haben wir nie erfahren. </p><lb/> <p>Diesen Schmerz konnte der ehrliche Vater Couturier nicht überstehn. Er ging tiefsinnig im Garten auf und ab, sprach mit Niemand, und versuchte seinen Kummer in Branntwein zu ersäufen, aber vergebens. Als der Gartenknecht eines Morgens ganz früh in das Orangeriehaus trat, hing der alte Couturier in seinem hellblauen Sonntagsrocke vom Balken herab. Er hatte sich zu diesem letzten Schritte festlich herausgeputzt. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0138]
dreieckigen Hut, graue Unterkleider, unförmliche Stulpenstiefeln, einen schwarzen Haarbeutel und ein großes spanisches Rohr. Obgleich diese Tracht damals noch nicht ganz veraltet war, so erregte seine groteske Figur bei der Straßenjugend immer einiges Aufsehn.
Seine Tochter Lotte, ein kräftiges Gärtnermädchen, fanden wir ungemein schön, besonders wenn sie mit dem breiten Strohhute die Sallatbeete besorgte oder mit zwei großen Obstkörben auf den Markt ging. Aber ihre Stimme war wie die ihres Vaters rauh und gebrochen, wir mochten daher nicht gern mit ihr verkehren. Der Alte hatte sie gut unterrichten lassen und sie sprach das französische ganz geläufig. Dies jedoch gereichte ihr nicht zum Vortheil. Bei der französischen Eroberung wurde auch das Haus in der Lehmgasse reichlich mit Einquartirung belegt, für welche der Gärtner zu sorgen hatte. Die fremden Soldaten waren sehr erfreut, sich in ihrer Muttersprache unterhalten zu können; trotz des Franzosenhasses konnte Lotte der angebornen Feinheit der Sieger auf die Länge nicht widerstehn, und folgte i. J. 1812 als Marketenderin einem nach Rußland weiterrückenden Regimente, unter dem besonderen Schutze eines schwarzbärtigen Tambourmajor. Was aus ihr geworden, haben wir nie erfahren.
Diesen Schmerz konnte der ehrliche Vater Couturier nicht überstehn. Er ging tiefsinnig im Garten auf und ab, sprach mit Niemand, und versuchte seinen Kummer in Branntwein zu ersäufen, aber vergebens. Als der Gartenknecht eines Morgens ganz früh in das Orangeriehaus trat, hing der alte Couturier in seinem hellblauen Sonntagsrocke vom Balken herab. Er hatte sich zu diesem letzten Schritte festlich herausgeputzt.
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