Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].zählte: ein Viertel, Halb, Dreiviertel, bis dann endlich das ersehnte Voll ertönte - alles dies hat sich der Erinnerung mit unauslöschlich peinlichen Zügen eingeprägt. Ein Theil jener unaustilgbaren Abneigung gegen den Klassenbesuch mag auch darin gesucht werden, daß die alten Autoren, an denen ich eine besondere Freude fand, damals fast nur statarisch gelesen wurden. Daß die Befestigung in den grammatischen Formen bei einem kursorischen Lesen nicht so leicht zu erreichen ist, soll gern zugestanden werden, allein welchen Gewinn konnte man davon haben, während eines halben Jahres einen halben Gesang des Homer oder ein halbes Stück des Plautus durchzugehn? Hin und wieder las ich nun wohl die Sachen für mich weiter durch, doch dann war die lange Weile in den Stunden noch größer. Zwar gewährte in den höheren Klassen der anregende Umgang mit ein paar Mitschülern eine kleine Entschädigung; aber wie abgerissen waren die Gespräche in den kurzen zehn Zwischenminuten! Hier will ich einiger guten Gesellen gedenken, mit denen ich in einer oder ein paar Klassen zusammensaß. Karl Devrient, nachher als Heldenspieler die Zierde mehrerer Bühnen, und noch jetzt in Hannover thätig, deklamirte in Grostertia beim öffentlichen Examen ein tragisches Gedicht von Friedrich: Adiatorix und seine Söhne (Heinsius Bardenhain 3, 384) mit so erschütternder Wirkung, daß man ohne Mühe in ihm den künftigen großen Schauspieler erkennen konnte. Er wohnte bei seinen Aeltern in der Brüderstraße an der Ecke gegen die Petrikirche hin; wir machten recht oft den Weg vom Gymnasium zusammen, und hielten auch sonst gute Kameradschaft. Im Jahre 1813 ging er als Colombscher Husar mit ins zählte: ein Viertel, Halb, Dreiviertel, bis dann endlich das ersehnte Voll ertönte – alles dies hat sich der Erinnerung mit unauslöschlich peinlichen Zügen eingeprägt. Ein Theil jener unaustilgbaren Abneigung gegen den Klassenbesuch mag auch darin gesucht werden, daß die alten Autoren, an denen ich eine besondere Freude fand, damals fast nur statarisch gelesen wurden. Daß die Befestigung in den grammatischen Formen bei einem kursorischen Lesen nicht so leicht zu erreichen ist, soll gern zugestanden werden, allein welchen Gewinn konnte man davon haben, während eines halben Jahres einen halben Gesang des Homer oder ein halbes Stück des Plautus durchzugehn? Hin und wieder las ich nun wohl die Sachen für mich weiter durch, doch dann war die lange Weile in den Stunden noch größer. Zwar gewährte in den höheren Klassen der anregende Umgang mit ein paar Mitschülern eine kleine Entschädigung; aber wie abgerissen waren die Gespräche in den kurzen zehn Zwischenminuten! Hier will ich einiger guten Gesellen gedenken, mit denen ich in einer oder ein paar Klassen zusammensaß. Karl Devrient, nachher als Heldenspieler die Zierde mehrerer Bühnen, und noch jetzt in Hannover thätig, deklamirte in Grostertia beim öffentlichen Examen ein tragisches Gedicht von Friedrich: Adiatorix und seine Söhne (Heinsius Bardenhain 3, 384) mit so erschütternder Wirkung, daß man ohne Mühe in ihm den künftigen großen Schauspieler erkennen konnte. Er wohnte bei seinen Aeltern in der Brüderstraße an der Ecke gegen die Petrikirche hin; wir machten recht oft den Weg vom Gymnasium zusammen, und hielten auch sonst gute Kameradschaft. 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zählte: ein Viertel, Halb, Dreiviertel, bis dann endlich das ersehnte Voll ertönte – alles dies hat sich der Erinnerung mit unauslöschlich peinlichen Zügen eingeprägt. Ein Theil jener unaustilgbaren Abneigung gegen den Klassenbesuch mag auch darin gesucht werden, daß die alten Autoren, an denen ich eine besondere Freude fand, damals fast nur statarisch gelesen wurden. Daß die Befestigung in den grammatischen Formen bei einem kursorischen Lesen nicht so leicht zu erreichen ist, soll gern zugestanden werden, allein welchen Gewinn konnte man davon haben, während eines halben Jahres einen halben Gesang des Homer oder ein halbes Stück des Plautus durchzugehn? Hin und wieder las ich nun wohl die Sachen für mich weiter durch, doch dann war die lange Weile in den Stunden noch größer. Zwar gewährte in den höheren Klassen der anregende Umgang mit ein paar Mitschülern eine kleine Entschädigung; aber wie abgerissen waren die Gespräche in den kurzen zehn Zwischenminuten!
Hier will ich einiger guten Gesellen gedenken, mit denen ich in einer oder ein paar Klassen zusammensaß.
Karl Devrient, nachher als Heldenspieler die Zierde mehrerer Bühnen, und noch jetzt in Hannover thätig, deklamirte in Grostertia beim öffentlichen Examen ein tragisches Gedicht von Friedrich: Adiatorix und seine Söhne (Heinsius Bardenhain 3, 384) mit so erschütternder Wirkung, daß man ohne Mühe in ihm den künftigen großen Schauspieler erkennen konnte. Er wohnte bei seinen Aeltern in der Brüderstraße an der Ecke gegen die Petrikirche hin; wir machten recht oft den Weg vom Gymnasium zusammen, und hielten auch sonst gute Kameradschaft. Im Jahre 1813 ging er als Colombscher Husar mit ins
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