Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

willen; es schien uns allen unbegreiflich, daß der schlichte gerade Mann mit der originellen kernigen Geistesrichtung, den wir Jahre lang öffentlich hatten wirken sehn, nun auf einmal ein demagogischer Häuptling und verkappter Landesverräther sein solle. Es verlautete, daß man bei seiner Haussuchung kein andres Zeichen einer Verschwörung gegen den preußischen Staat gefunden habe, als einen alten Dolch, den seine Frau zum Zuckerschlagen benutzte. Das Gebahren der Kamptzschen Immediatkommission ward überall auf das schärfste getadelt, das Eingreifen in die bestehenden Gesetze für völlig unerlaubt erklärt. Als einmal am Tische des Grosvaters Eichmann die Rede davon war, daß gar nichts bei der Untersuchung herauskomme, sagte er mit grimmigem Hohne: nun ja, wo man nichts herausinquiriren kann, da wird etwas hineininquirirt!

Als nun gar (1819) der Turnplatz geschlossen, und das Turnen als etwas gemeinschädliches untersagt wurde, da mußte man sich gestehn, daß die Einsicht der Regierenden sehr weit hinter der Einsicht der Regierten zurückgeblieben sei. Geradezu lächerlich war die Bestimmung, daß Jahn sich der Hauptstadt Berlin in einem Umkreise von 10 Meilen nicht nähern dürfe. Das Verfahren gegen Jahn und gegen die übrigen Demagogen, mit denen er in gar keiner Verbindung stand, bleibt als ein Stück Kabinetsjustiz für immer eine dunkle Stelle in der Regierung Friedrich Wilhelms III., ein Brandmal für die Herren v. Kamptz, v. Tzschoppe und Genossen.

Die Lust an den Turnübungen war bei uns so lebendig, daß wir in einer schönen Kastanienlaube des großen Gartens ein Reck anbrachten, und unter Augusts Leitung daran die verschiedenen, in der Hasenheide gelernten

willen; es schien uns allen unbegreiflich, daß der schlichte gerade Mann mit der originellen kernigen Geistesrichtung, den wir Jahre lang öffentlich hatten wirken sehn, nun auf einmal ein demagogischer Häuptling und verkappter Landesverräther sein solle. Es verlautete, daß man bei seiner Haussuchung kein andres Zeichen einer Verschwörung gegen den preußischen Staat gefunden habe, als einen alten Dolch, den seine Frau zum Zuckerschlagen benutzte. Das Gebahren der Kamptzschen Immediatkommission ward überall auf das schärfste getadelt, das Eingreifen in die bestehenden Gesetze für völlig unerlaubt erklärt. Als einmal am Tische des Grosvaters Eichmann die Rede davon war, daß gar nichts bei der Untersuchung herauskomme, sagte er mit grimmigem Hohne: nun ja, wo man nichts herausinquiriren kann, da wird etwas hineininquirirt!

Als nun gar (1819) der Turnplatz geschlossen, und das Turnen als etwas gemeinschädliches untersagt wurde, da mußte man sich gestehn, daß die Einsicht der Regierenden sehr weit hinter der Einsicht der Regierten zurückgeblieben sei. Geradezu lächerlich war die Bestimmung, daß Jahn sich der Hauptstadt Berlin in einem Umkreise von 10 Meilen nicht nähern dürfe. Das Verfahren gegen Jahn und gegen die übrigen Demagogen, mit denen er in gar keiner Verbindung stand, bleibt als ein Stück Kabinetsjustiz für immer eine dunkle Stelle in der Regierung Friedrich Wilhelms III., ein Brandmal für die Herren v. Kamptz, v. Tzschoppe und Genossen.

Die Lust an den Turnübungen war bei uns so lebendig, daß wir in einer schönen Kastanienlaube des großen Gartens ein Reck anbrachten, und unter Augusts Leitung daran die verschiedenen, in der Hasenheide gelernten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0206" n="194"/>
willen; es schien uns allen unbegreiflich, daß der schlichte gerade Mann mit der originellen kernigen Geistesrichtung, den wir Jahre lang öffentlich hatten wirken sehn, nun auf einmal ein demagogischer Häuptling und verkappter Landesverräther sein solle. Es verlautete, daß man bei seiner Haussuchung kein andres Zeichen einer Verschwörung gegen den preußischen Staat gefunden habe, als einen alten Dolch, den seine Frau zum Zuckerschlagen benutzte. Das Gebahren der Kamptzschen Immediatkommission ward überall auf das schärfste getadelt, das Eingreifen in die bestehenden Gesetze für völlig unerlaubt erklärt. Als einmal am Tische des Grosvaters Eichmann die Rede davon war, daß gar nichts bei der Untersuchung herauskomme, sagte er mit grimmigem Hohne: nun ja, wo man nichts herausinquiriren kann, da wird etwas hineininquirirt! </p><lb/>
          <p>Als nun gar (1819) der Turnplatz geschlossen, und das Turnen als etwas gemeinschädliches untersagt wurde, da mußte man sich gestehn, daß die Einsicht der Regierenden sehr weit hinter der Einsicht der Regierten zurückgeblieben sei. Geradezu lächerlich war die Bestimmung, daß Jahn sich der Hauptstadt Berlin in einem Umkreise von 10 Meilen nicht nähern dürfe. Das Verfahren gegen Jahn und gegen die übrigen Demagogen, mit denen er in gar keiner Verbindung stand, bleibt als ein Stück Kabinetsjustiz für immer eine dunkle Stelle in der Regierung Friedrich Wilhelms III., ein Brandmal für die Herren v. Kamptz, v. Tzschoppe und Genossen. </p><lb/>
          <p>Die Lust an den Turnübungen war bei uns so lebendig, daß wir in einer schönen Kastanienlaube des großen Gartens ein Reck anbrachten, und unter Augusts Leitung daran die verschiedenen, in der Hasenheide gelernten
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0206] willen; es schien uns allen unbegreiflich, daß der schlichte gerade Mann mit der originellen kernigen Geistesrichtung, den wir Jahre lang öffentlich hatten wirken sehn, nun auf einmal ein demagogischer Häuptling und verkappter Landesverräther sein solle. Es verlautete, daß man bei seiner Haussuchung kein andres Zeichen einer Verschwörung gegen den preußischen Staat gefunden habe, als einen alten Dolch, den seine Frau zum Zuckerschlagen benutzte. Das Gebahren der Kamptzschen Immediatkommission ward überall auf das schärfste getadelt, das Eingreifen in die bestehenden Gesetze für völlig unerlaubt erklärt. Als einmal am Tische des Grosvaters Eichmann die Rede davon war, daß gar nichts bei der Untersuchung herauskomme, sagte er mit grimmigem Hohne: nun ja, wo man nichts herausinquiriren kann, da wird etwas hineininquirirt! Als nun gar (1819) der Turnplatz geschlossen, und das Turnen als etwas gemeinschädliches untersagt wurde, da mußte man sich gestehn, daß die Einsicht der Regierenden sehr weit hinter der Einsicht der Regierten zurückgeblieben sei. Geradezu lächerlich war die Bestimmung, daß Jahn sich der Hauptstadt Berlin in einem Umkreise von 10 Meilen nicht nähern dürfe. Das Verfahren gegen Jahn und gegen die übrigen Demagogen, mit denen er in gar keiner Verbindung stand, bleibt als ein Stück Kabinetsjustiz für immer eine dunkle Stelle in der Regierung Friedrich Wilhelms III., ein Brandmal für die Herren v. Kamptz, v. Tzschoppe und Genossen. Die Lust an den Turnübungen war bei uns so lebendig, daß wir in einer schönen Kastanienlaube des großen Gartens ein Reck anbrachten, und unter Augusts Leitung daran die verschiedenen, in der Hasenheide gelernten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/206
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/206>, abgerufen am 21.11.2024.