Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Schwingungen fortsetzten; auch fand sich in dem Fliederwäldchen eine passende Stelle für eine mäßig hohe Kletterstange. Mein Vater begünstigte anfangs diese Uebungen, allein bald wurde er dagegen eingenommen, als er bemerkte, daß wir dabei die Gesichter verzerrten, wie dies bei jeder körperlichen Anstrengung mehr oder weniger der Fall ist. Fritz hatte sich angewöhnt, beim Anlaufen zum Springen die Zunge zum linken oder rechten Mundwinkel abwechselnd heranszustrecken, und ich pflegte beim Klettern die Zähne heftig aufeinander zu beißen. August war diesen Schwächen weniger unterworfen, weil ihm die Sachen leichter von Statten gingen, er ward also von meinem Vater aufs dringendste angewiesen, auch bei uns auf eine gute Gesichtshaltung zu achten. Nun las ich in jener Zeit mit Paul zusammen Virgils Eklogen, und wir fanden es herrlich, an warmen Sommernachmittagen in jener kleinen Kastanienlaube zu arbeiten. Paul faßte sogar den großen Entschluß, die Eklogen metrisch zu übersetzen, was mir anfangs gar zu kühn vorkam, aber er antwortete mir mit Horaz: Sapere aude! Die Ausführung hatte einige Schwierigkeiten, gewährte jedoch einen unendlich süßen Genuß. Aus Homer und Virgil waren uns wohl die Regeln des antiken Hexameters bekannt geworden, allein die Positionen, die von Natur kurzen und langen Sylben fanden im Deutschen keine rechte Anwendung. Bothes antikgemessene Gedichte, ein Verlagswerk der Nicolaischen Buchhandluug, schien völlig ungenießbar. Bloß dem Tonfalle des Vossischen Homer zu folgen, war uns zu unwissenschaftlich. Wir griffen nach: Voss Zeitmessung der Deutschen, und lasen dort einzelne treffliche Bemerkungen, doch schon die übermäßige Länge des Ka- Schwingungen fortsetzten; auch fand sich in dem Fliederwäldchen eine passende Stelle für eine mäßig hohe Kletterstange. Mein Vater begünstigte anfangs diese Uebungen, allein bald wurde er dagegen eingenommen, als er bemerkte, daß wir dabei die Gesichter verzerrten, wie dies bei jeder körperlichen Anstrengung mehr oder weniger der Fall ist. Fritz hatte sich angewöhnt, beim Anlaufen zum Springen die Zunge zum linken oder rechten Mundwinkel abwechselnd heranszustrecken, und ich pflegte beim Klettern die Zähne heftig aufeinander zu beißen. August war diesen Schwächen weniger unterworfen, weil ihm die Sachen leichter von Statten gingen, er ward also von meinem Vater aufs dringendste angewiesen, auch bei uns auf eine gute Gesichtshaltung zu achten. Nun las ich in jener Zeit mit Paul zusammen Virgils Eklogen, und wir fanden es herrlich, an warmen Sommernachmittagen in jener kleinen Kastanienlaube zu arbeiten. Paul faßte sogar den großen Entschluß, die Eklogen metrisch zu übersetzen, was mir anfangs gar zu kühn vorkam, aber er antwortete mir mit Horaz: Sapere aude! Die Ausführung hatte einige Schwierigkeiten, gewährte jedoch einen unendlich süßen Genuß. Aus Homer und Virgil waren uns wohl die Regeln des antiken Hexameters bekannt geworden, allein die Positionen, die von Natur kurzen und langen Sylben fanden im Deutschen keine rechte Anwendung. Bothes antikgemessene Gedichte, ein Verlagswerk der Nicolaischen Buchhandluug, schien völlig ungenießbar. Bloß dem Tonfalle des Vossischen Homer zu folgen, war uns zu unwissenschaftlich. Wir griffen nach: Voss Zeitmessung der Deutschen, und lasen dort einzelne treffliche Bemerkungen, doch schon die übermäßige Länge des Ka- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0207" n="195"/> Schwingungen fortsetzten; auch fand sich in dem Fliederwäldchen eine passende Stelle für eine mäßig hohe Kletterstange. Mein Vater begünstigte anfangs diese Uebungen, allein bald wurde er dagegen eingenommen, als er bemerkte, daß wir dabei die Gesichter verzerrten, wie dies bei jeder körperlichen Anstrengung mehr oder weniger der Fall ist. Fritz hatte sich angewöhnt, beim Anlaufen zum Springen die Zunge zum linken oder rechten Mundwinkel abwechselnd heranszustrecken, und ich pflegte beim Klettern die Zähne heftig aufeinander zu beißen. August war diesen Schwächen weniger unterworfen, weil ihm die Sachen leichter von Statten gingen, er ward also von meinem Vater aufs dringendste angewiesen, auch bei uns auf eine gute Gesichtshaltung zu achten. </p><lb/> <p>Nun las ich in jener Zeit mit Paul zusammen Virgils Eklogen, und wir fanden es herrlich, an warmen Sommernachmittagen in jener kleinen Kastanienlaube zu arbeiten. Paul faßte sogar den großen Entschluß, die Eklogen metrisch zu übersetzen, was mir anfangs gar zu kühn vorkam, aber er antwortete mir mit Horaz: Sapere aude! Die Ausführung hatte einige Schwierigkeiten, gewährte jedoch einen unendlich süßen Genuß. Aus Homer und Virgil waren uns wohl die Regeln des antiken Hexameters bekannt geworden, allein die Positionen, die von Natur kurzen und langen Sylben fanden im Deutschen keine rechte Anwendung. <hi rendition="#b">Bothes antikgemessene Gedichte</hi>, ein Verlagswerk der Nicolaischen Buchhandluug, schien völlig ungenießbar. Bloß dem Tonfalle des Vossischen Homer zu folgen, war uns zu unwissenschaftlich. Wir griffen nach: Voss Zeitmessung der Deutschen, und lasen dort einzelne treffliche Bemerkungen, doch schon die übermäßige Länge des Ka- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0207]
Schwingungen fortsetzten; auch fand sich in dem Fliederwäldchen eine passende Stelle für eine mäßig hohe Kletterstange. Mein Vater begünstigte anfangs diese Uebungen, allein bald wurde er dagegen eingenommen, als er bemerkte, daß wir dabei die Gesichter verzerrten, wie dies bei jeder körperlichen Anstrengung mehr oder weniger der Fall ist. Fritz hatte sich angewöhnt, beim Anlaufen zum Springen die Zunge zum linken oder rechten Mundwinkel abwechselnd heranszustrecken, und ich pflegte beim Klettern die Zähne heftig aufeinander zu beißen. August war diesen Schwächen weniger unterworfen, weil ihm die Sachen leichter von Statten gingen, er ward also von meinem Vater aufs dringendste angewiesen, auch bei uns auf eine gute Gesichtshaltung zu achten.
Nun las ich in jener Zeit mit Paul zusammen Virgils Eklogen, und wir fanden es herrlich, an warmen Sommernachmittagen in jener kleinen Kastanienlaube zu arbeiten. Paul faßte sogar den großen Entschluß, die Eklogen metrisch zu übersetzen, was mir anfangs gar zu kühn vorkam, aber er antwortete mir mit Horaz: Sapere aude! Die Ausführung hatte einige Schwierigkeiten, gewährte jedoch einen unendlich süßen Genuß. Aus Homer und Virgil waren uns wohl die Regeln des antiken Hexameters bekannt geworden, allein die Positionen, die von Natur kurzen und langen Sylben fanden im Deutschen keine rechte Anwendung. Bothes antikgemessene Gedichte, ein Verlagswerk der Nicolaischen Buchhandluug, schien völlig ungenießbar. Bloß dem Tonfalle des Vossischen Homer zu folgen, war uns zu unwissenschaftlich. Wir griffen nach: Voss Zeitmessung der Deutschen, und lasen dort einzelne treffliche Bemerkungen, doch schon die übermäßige Länge des Ka-
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