Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].sich seine Wäsche selbst zu waschen. Er erhielt hin und wieder Besuch von frommen aristokratischen Damen, die von Paris herüberfuhren, um ihm - nicht den Pantoffel, sondern den Handschuh zu küssen; man wußte aber, daß er, nachdem der Besuch kaum das Schloß verlassen, gleich wieder am Waschtroge stand. Nachdem Napoleon alle die ephemeren norditalischen Republiken seinem Reiche einverleibt, so machte er - gleichsam zum Spotte über die vielen von ihm besiegten Königreiche - mit der winzigen aber uralten Republik von San Marino eine Ausnahme. Schon i. J. 1797, als er Oberitalien erobert, ließ er den kleinen Freistaat von 6000 Einwohnern und einer Heeresmacht von 40-50 Mann, durch einen besonderen Gesandten begrüßen, und bot ihm eine Vergrößerung seines Gebietes an. Der Senat von S. Marino lehnte diesen wohlwollenden Vorschlag dankbar ab, und bat nur um den Fortbestand seines uralten Besitzes, was ihm unweigerlich zugestanden ward. Rechnet man dieses unbedeutende Ländchen ab, so bestand Italien i. J. 1812, als der russische Krieg ausbrach, nur aus zwei Theilen; im Norden aus dem Königreiche Italien unter Napoleon; dies reichte von den Alpen bis an den Garigliano, und im Süden aus dem Königreiche Neapel unter Murat, das den übrigen Theil bis zur Meerenge von Messina umfaßte. Sicilien war vorläufig der Sitz der vertriebenen neapolitanischen Herrscherfamilie. Es wurde von den Engländern mit einer mächtigen Flotte, die ihre Station in Malta hatte, und mit einer Landarmee vertheidigt, die zuletzt auf 36,000 Mann erhöht war. sich seine Wäsche selbst zu waschen. Er erhielt hin und wieder Besuch von frommen aristokratischen Damen, die von Paris herüberfuhren, um ihm – nicht den Pantoffel, sondern den Handschuh zu küssen; man wußte aber, daß er, nachdem der Besuch kaum das Schloß verlassen, gleich wieder am Waschtroge stand. Nachdem Napoléon alle die ephemeren norditalischen Republiken seinem Reiche einverleibt, so machte er – gleichsam zum Spotte über die vielen von ihm besiegten Königreiche – mit der winzigen aber uralten Republik von San Marino eine Ausnahme. Schon i. J. 1797, als er Oberitalien erobert, ließ er den kleinen Freistaat von 6000 Einwohnern und einer Heeresmacht von 40–50 Mann, durch einen besonderen Gesandten begrüßen, und bot ihm eine Vergrößerung seines Gebietes an. Der Senat von S. Marino lehnte diesen wohlwollenden Vorschlag dankbar ab, und bat nur um den Fortbestand seines uralten Besitzes, was ihm unweigerlich zugestanden ward. Rechnet man dieses unbedeutende Ländchen ab, so bestand Italien i. J. 1812, als der russische Krieg ausbrach, nur aus zwei Theilen; im Norden aus dem Königreiche Italien unter Napoléon; dies reichte von den Alpen bis an den Garigliano, und im Süden aus dem Königreiche Neapel unter Murat, das den übrigen Theil bis zur Meerenge von Messina umfaßte. Sicilien war vorläufig der Sitz der vertriebenen neapolitanischen Herrscherfamilie. Es wurde von den Engländern mit einer mächtigen Flotte, die ihre Station in Malta hatte, und mit einer Landarmee vertheidigt, die zuletzt auf 36,000 Mann erhöht war. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0298" n="286"/> sich seine Wäsche selbst zu waschen. Er erhielt hin und wieder Besuch von frommen aristokratischen Damen, die von Paris herüberfuhren, um ihm – nicht den Pantoffel, sondern den Handschuh zu küssen; man wußte aber, daß er, nachdem der Besuch kaum das Schloß verlassen, gleich wieder am Waschtroge stand. </p><lb/> <p>Nachdem Napoléon alle die ephemeren norditalischen Republiken seinem Reiche einverleibt, so machte er – gleichsam zum Spotte über die vielen von ihm besiegten Königreiche – mit der winzigen aber uralten Republik von San Marino eine Ausnahme. Schon i. J. 1797, als er Oberitalien erobert, ließ er den kleinen Freistaat von 6000 Einwohnern und einer Heeresmacht von 40–50 Mann, durch einen besonderen Gesandten begrüßen, und bot ihm eine Vergrößerung seines Gebietes an. Der Senat von S. Marino lehnte diesen wohlwollenden Vorschlag dankbar ab, und bat nur um den Fortbestand seines uralten Besitzes, was ihm unweigerlich zugestanden ward. </p><lb/> <p>Rechnet man dieses unbedeutende Ländchen ab, so bestand Italien i. J. 1812, als der russische Krieg ausbrach, nur aus zwei Theilen; im Norden aus dem Königreiche Italien unter Napoléon; dies reichte von den Alpen bis an den Garigliano, und im Süden aus dem Königreiche Neapel unter Murat, das den übrigen Theil bis zur Meerenge von Messina umfaßte. Sicilien war vorläufig der Sitz der vertriebenen neapolitanischen Herrscherfamilie. Es wurde von den Engländern mit einer mächtigen Flotte, die ihre Station in Malta hatte, und mit einer Landarmee vertheidigt, die zuletzt auf 36,000 Mann erhöht war.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [286/0298]
sich seine Wäsche selbst zu waschen. Er erhielt hin und wieder Besuch von frommen aristokratischen Damen, die von Paris herüberfuhren, um ihm – nicht den Pantoffel, sondern den Handschuh zu küssen; man wußte aber, daß er, nachdem der Besuch kaum das Schloß verlassen, gleich wieder am Waschtroge stand.
Nachdem Napoléon alle die ephemeren norditalischen Republiken seinem Reiche einverleibt, so machte er – gleichsam zum Spotte über die vielen von ihm besiegten Königreiche – mit der winzigen aber uralten Republik von San Marino eine Ausnahme. Schon i. J. 1797, als er Oberitalien erobert, ließ er den kleinen Freistaat von 6000 Einwohnern und einer Heeresmacht von 40–50 Mann, durch einen besonderen Gesandten begrüßen, und bot ihm eine Vergrößerung seines Gebietes an. Der Senat von S. Marino lehnte diesen wohlwollenden Vorschlag dankbar ab, und bat nur um den Fortbestand seines uralten Besitzes, was ihm unweigerlich zugestanden ward.
Rechnet man dieses unbedeutende Ländchen ab, so bestand Italien i. J. 1812, als der russische Krieg ausbrach, nur aus zwei Theilen; im Norden aus dem Königreiche Italien unter Napoléon; dies reichte von den Alpen bis an den Garigliano, und im Süden aus dem Königreiche Neapel unter Murat, das den übrigen Theil bis zur Meerenge von Messina umfaßte. Sicilien war vorläufig der Sitz der vertriebenen neapolitanischen Herrscherfamilie. Es wurde von den Engländern mit einer mächtigen Flotte, die ihre Station in Malta hatte, und mit einer Landarmee vertheidigt, die zuletzt auf 36,000 Mann erhöht war.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/298>, abgerufen am 21.06.2024. |