Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].politischen Kannegießer; wird er den Muth haben mit dem siegreichen, aber doch geschwächten Heere gegen Petersburg zu ziehn? Wo wird er den Winter zubringen? Unmöglich auf der öden Brandstätte von Moskau. Wird er sich zur Umkehr entschließen? Dann erklärt er sich für besiegt. Wird der Kaiser von Rußland sich in Friedensunterhandlungen einlassen? Jetzt, wo er den Feind so gut als in der Falle hat! Ja, wenn nicht alle preußischen Festungen in den Händen der Franzosen wären, so könnte man in Preußen wohl die Gelegenheit benutzen, und im Rücken der großen Armee eine wirksame Diversion machen, die uns endlich von dem verhaßten Fremdjoche befreite, u. s. w. Unterdessen stand Napoleon unbeweglich in dem eingeäscherten Moskau, und wartete vergeblich auf Friedensvorschläge von russischer Seite; er that, was er noch nie zuvor gethan, er bot zuerst die Hand zum Frieden. General Lauriston wurde nach Petersburg geschickt, um dort zu unterhandeln. Darüber verfloß eine kostbare Zeit, der September ging zu Ende, und schon machten bei ganz heiterem Himmel die leichten Oktoberfröste sich fühlbar. Unbegreiflich schien es den aus der Ferne zuschauenden, die den Gang des Krieges auf der Landkarte verfolgten, daß die Russen nicht einmal den Versuch machten, die unendlich lange Operationsbasis der Franzosen vom Niemen bis nach Moskau auf irgend einer Stelle zu unterbrechen. Vielleicht schreckte sie der Glanz des französischen Waffenglückes, vielleicht warteten sie in richtiger Voraussicht der Dinge, die da kommen sollten, auf ihren mächtigen Verbündeten, den russischen Winter. Als Lauriston nach 6 Wochen unverrichteter Sache politischen Kannegießer; wird er den Muth haben mit dem siegreichen, aber doch geschwächten Heere gegen Petersburg zu ziehn? Wo wird er den Winter zubringen? Unmöglich auf der öden Brandstätte von Moskau. Wird er sich zur Umkehr entschließen? Dann erklärt er sich für besiegt. Wird der Kaiser von Rußland sich in Friedensunterhandlungen einlassen? Jetzt, wo er den Feind so gut als in der Falle hat! Ja, wenn nicht alle preußischen Festungen in den Händen der Franzosen wären, so könnte man in Preußen wohl die Gelegenheit benutzen, und im Rücken der großen Armee eine wirksame Diversion machen, die uns endlich von dem verhaßten Fremdjoche befreite, u. s. w. Unterdessen stand Napoléon unbeweglich in dem eingeäscherten Moskau, und wartete vergeblich auf Friedensvorschläge von russischer Seite; er that, was er noch nie zuvor gethan, er bot zuerst die Hand zum Frieden. General Lauriston wurde nach Petersburg geschickt, um dort zu unterhandeln. Darüber verfloß eine kostbare Zeit, der September ging zu Ende, und schon machten bei ganz heiterem Himmel die leichten Oktoberfröste sich fühlbar. Unbegreiflich schien es den aus der Ferne zuschauenden, die den Gang des Krieges auf der Landkarte verfolgten, daß die Russen nicht einmal den Versuch machten, die unendlich lange Operationsbasis der Franzosen vom Niemen bis nach Moskau auf irgend einer Stelle zu unterbrechen. Vielleicht schreckte sie der Glanz des französischen Waffenglückes, vielleicht warteten sie in richtiger Voraussicht der Dinge, die da kommen sollten, auf ihren mächtigen Verbündeten, den russischen Winter. Als Lauriston nach 6 Wochen unverrichteter Sache <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0339" n="327"/> politischen Kannegießer; wird er den Muth haben mit dem siegreichen, aber doch geschwächten Heere gegen Petersburg zu ziehn? Wo wird er den Winter zubringen? Unmöglich auf der öden Brandstätte von Moskau. Wird er sich zur Umkehr entschließen? Dann erklärt er sich für besiegt. Wird der Kaiser von Rußland sich in Friedensunterhandlungen einlassen? Jetzt, wo er den Feind so gut als in der Falle hat! Ja, wenn nicht alle preußischen Festungen in den Händen der Franzosen wären, so könnte man in Preußen wohl die Gelegenheit benutzen, und im Rücken der großen Armee eine wirksame Diversion machen, die uns endlich von dem verhaßten Fremdjoche befreite, u. s. w. </p><lb/> <p>Unterdessen stand Napoléon unbeweglich in dem eingeäscherten Moskau, und wartete vergeblich auf Friedensvorschläge von russischer Seite; er that, was er noch nie zuvor gethan, er bot zuerst die Hand zum Frieden. General Lauriston wurde nach Petersburg geschickt, um dort zu unterhandeln. Darüber verfloß eine kostbare Zeit, der September ging zu Ende, und schon machten bei ganz heiterem Himmel die leichten Oktoberfröste sich fühlbar. Unbegreiflich schien es den aus der Ferne zuschauenden, die den Gang des Krieges auf der Landkarte verfolgten, daß die Russen nicht einmal den Versuch machten, die unendlich lange Operationsbasis der Franzosen vom Niemen bis nach Moskau auf irgend einer Stelle zu unterbrechen. Vielleicht schreckte sie der Glanz des französischen Waffenglückes, vielleicht warteten sie in richtiger Voraussicht der Dinge, die da kommen sollten, auf ihren mächtigen Verbündeten, den russischen Winter. </p><lb/> <p>Als Lauriston nach 6 Wochen unverrichteter Sache </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [327/0339]
politischen Kannegießer; wird er den Muth haben mit dem siegreichen, aber doch geschwächten Heere gegen Petersburg zu ziehn? Wo wird er den Winter zubringen? Unmöglich auf der öden Brandstätte von Moskau. Wird er sich zur Umkehr entschließen? Dann erklärt er sich für besiegt. Wird der Kaiser von Rußland sich in Friedensunterhandlungen einlassen? Jetzt, wo er den Feind so gut als in der Falle hat! Ja, wenn nicht alle preußischen Festungen in den Händen der Franzosen wären, so könnte man in Preußen wohl die Gelegenheit benutzen, und im Rücken der großen Armee eine wirksame Diversion machen, die uns endlich von dem verhaßten Fremdjoche befreite, u. s. w.
Unterdessen stand Napoléon unbeweglich in dem eingeäscherten Moskau, und wartete vergeblich auf Friedensvorschläge von russischer Seite; er that, was er noch nie zuvor gethan, er bot zuerst die Hand zum Frieden. General Lauriston wurde nach Petersburg geschickt, um dort zu unterhandeln. Darüber verfloß eine kostbare Zeit, der September ging zu Ende, und schon machten bei ganz heiterem Himmel die leichten Oktoberfröste sich fühlbar. Unbegreiflich schien es den aus der Ferne zuschauenden, die den Gang des Krieges auf der Landkarte verfolgten, daß die Russen nicht einmal den Versuch machten, die unendlich lange Operationsbasis der Franzosen vom Niemen bis nach Moskau auf irgend einer Stelle zu unterbrechen. Vielleicht schreckte sie der Glanz des französischen Waffenglückes, vielleicht warteten sie in richtiger Voraussicht der Dinge, die da kommen sollten, auf ihren mächtigen Verbündeten, den russischen Winter.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/339>, abgerufen am 16.07.2024. |