Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Russen nur die wenigsten Franzosen und am wenigsten der Kaiser hätten entwischen können.

Auf den ersten Tagemärschen des Rückzuges bewegte sich die große Armee in der vorgeschriebenen Ordnung und vom schönsten Wetter begünstigt. Aber bald senkte sich der Zorn des Himmels auf die langsam weichenden Schaaren herab. Am Anfange des November trat ein heftiger Frost ein, der mit einer, selbst für Rußland ungewöhnlichen Strenge den ganzen Winter ununterbrochen fortdauerte. Nun lösten sich allmälig alle Bande der militärischen Disciplin, und das gräsliche Gebot der Selbsterhaltung trat an die Stelle des willigen Gehorsams. An allen Orten, wo die französischen Truppen bivouakirten, blieben am andern Morgen Hunderte von Erfrornen im hohen Schnee liegen. Fand sich irgendwo noch ein Proviantmagazin, so wurde es von den hungrigen Soldaten erbrochen, und jeder nahm so viel, als er zur Befriedigung des augenblicklichen Bedürfnisses brauchte. Die russische Armee rückte nun dem abziehenden Feinde näher auf den Leib, und es begann die ruhelose Jagd der Kosacken auf die ermatteten Nachzügler.

Dadurch wurden die Reihen der Franzosen so sehr gelichtet, daß von vielen Regimentern nur noch die Offiziere übrig blieben. Aus diesen bildete sich eine Leibgarde des Kaisers von mehreren hundert Mann. Die Lieutenants und Hauptleute zählten darin als Gemeine, die Majors als Unteroffiziere, die Obersten und Generale als Lieutenants. Diese auserlesene Schaar kam mehr als einmal in den Fall, den Kaiser gegen die überall herumschwärmenden, und in die Züge der Franzosen einbrechenden Kosacken zu vertheidigen.

Russen nur die wenigsten Franzosen und am wenigsten der Kaiser hätten entwischen können.

Auf den ersten Tagemärschen des Rückzuges bewegte sich die große Armee in der vorgeschriebenen Ordnung und vom schönsten Wetter begünstigt. Aber bald senkte sich der Zorn des Himmels auf die langsam weichenden Schaaren herab. Am Anfange des November trat ein heftiger Frost ein, der mit einer, selbst für Rußland ungewöhnlichen Strenge den ganzen Winter ununterbrochen fortdauerte. Nun lösten sich allmälig alle Bande der militärischen Disciplin, und das gräsliche Gebot der Selbsterhaltung trat an die Stelle des willigen Gehorsams. An allen Orten, wo die französischen Truppen bivouakirten, blieben am andern Morgen Hunderte von Erfrornen im hohen Schnee liegen. Fand sich irgendwo noch ein Proviantmagazin, so wurde es von den hungrigen Soldaten erbrochen, und jeder nahm so viel, als er zur Befriedigung des augenblicklichen Bedürfnisses brauchte. Die russische Armee rückte nun dem abziehenden Feinde näher auf den Leib, und es begann die ruhelose Jagd der Kosacken auf die ermatteten Nachzügler.

Dadurch wurden die Reihen der Franzosen so sehr gelichtet, daß von vielen Regimentern nur noch die Offiziere übrig blieben. Aus diesen bildete sich eine Leibgarde des Kaisers von mehreren hundert Mann. Die Lieutenants und Hauptleute zählten darin als Gemeine, die Majors als Unteroffiziere, die Obersten und Generale als Lieutenants. Diese auserlesene Schaar kam mehr als einmal in den Fall, den Kaiser gegen die überall herumschwärmenden, und in die Züge der Franzosen einbrechenden Kosacken zu vertheidigen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0341" n="329"/>
Russen nur die wenigsten Franzosen und am wenigsten der Kaiser hätten entwischen können. </p><lb/>
          <p>Auf den ersten Tagemärschen des Rückzuges bewegte sich die große Armee in der vorgeschriebenen Ordnung und vom schönsten Wetter begünstigt. Aber bald senkte sich der Zorn des Himmels auf die langsam weichenden Schaaren herab. Am Anfange des November trat ein heftiger Frost ein, der mit einer, selbst für Rußland ungewöhnlichen Strenge den ganzen Winter ununterbrochen fortdauerte. Nun lösten sich allmälig alle Bande der militärischen Disciplin, und das gräsliche Gebot der Selbsterhaltung trat an die Stelle des willigen Gehorsams. An allen Orten, wo die französischen Truppen bivouakirten, blieben am andern Morgen Hunderte von Erfrornen im hohen Schnee liegen. Fand sich irgendwo noch ein Proviantmagazin, so wurde es von den hungrigen Soldaten erbrochen, und jeder nahm so viel, als er zur Befriedigung des augenblicklichen Bedürfnisses brauchte. Die russische Armee rückte nun dem abziehenden Feinde näher auf den Leib, und es begann die ruhelose Jagd der Kosacken auf die ermatteten Nachzügler. </p><lb/>
          <p>Dadurch wurden die Reihen der Franzosen so sehr gelichtet, daß von vielen Regimentern nur noch die Offiziere übrig blieben. Aus diesen bildete sich eine Leibgarde des Kaisers von mehreren hundert Mann. Die Lieutenants und Hauptleute zählten darin als Gemeine, die Majors als Unteroffiziere, die Obersten und Generale als Lieutenants. Diese auserlesene Schaar kam mehr als einmal in den Fall, den Kaiser gegen die überall herumschwärmenden, und in die Züge der Franzosen einbrechenden Kosacken zu vertheidigen.
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0341] Russen nur die wenigsten Franzosen und am wenigsten der Kaiser hätten entwischen können. Auf den ersten Tagemärschen des Rückzuges bewegte sich die große Armee in der vorgeschriebenen Ordnung und vom schönsten Wetter begünstigt. Aber bald senkte sich der Zorn des Himmels auf die langsam weichenden Schaaren herab. Am Anfange des November trat ein heftiger Frost ein, der mit einer, selbst für Rußland ungewöhnlichen Strenge den ganzen Winter ununterbrochen fortdauerte. Nun lösten sich allmälig alle Bande der militärischen Disciplin, und das gräsliche Gebot der Selbsterhaltung trat an die Stelle des willigen Gehorsams. An allen Orten, wo die französischen Truppen bivouakirten, blieben am andern Morgen Hunderte von Erfrornen im hohen Schnee liegen. Fand sich irgendwo noch ein Proviantmagazin, so wurde es von den hungrigen Soldaten erbrochen, und jeder nahm so viel, als er zur Befriedigung des augenblicklichen Bedürfnisses brauchte. Die russische Armee rückte nun dem abziehenden Feinde näher auf den Leib, und es begann die ruhelose Jagd der Kosacken auf die ermatteten Nachzügler. Dadurch wurden die Reihen der Franzosen so sehr gelichtet, daß von vielen Regimentern nur noch die Offiziere übrig blieben. Aus diesen bildete sich eine Leibgarde des Kaisers von mehreren hundert Mann. Die Lieutenants und Hauptleute zählten darin als Gemeine, die Majors als Unteroffiziere, die Obersten und Generale als Lieutenants. Diese auserlesene Schaar kam mehr als einmal in den Fall, den Kaiser gegen die überall herumschwärmenden, und in die Züge der Franzosen einbrechenden Kosacken zu vertheidigen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/341
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/341>, abgerufen am 22.11.2024.