Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Mit 250,000 Mann wohlgerüsteter Trappen hatte Napoleon Moskau verlassen. Bis zur polnischen Gränze lagen beinahe 100 Etappenmärsche vor ihm, und diese waren kaum zur Hälfte zurückgelegt, als an der Berezina ihm das gröste Unheil drohte. Hier war er bereits von allen Seiten umstellt, und sein Untergang schien unvermeidlich. Aber es war ihm nicht vom Schicksal bestimmt, in den Eisfeldern von Rußland umzukommen, sondern er sollte, an den glühenden Felsen von St. Helena geschmiedet, ein zweiter Prometheus, von der nagenden Erinnerung an die frühere Größe Jahre lang gepeinigt, langsam verschmachten, ohne daß ein mächtiger Herakles mit den immertreffenden Pfeilen zu seiner Befreiung erschienen wäre. An der Berezina entrann er durch eigne Kraft und Umsicht dem nahen Verderben. Die jenseit des Flusses stehenden Russen täuschte er durch falsche Nachrichten, so daß sie südwärts abzogen, den im Rücken herankommenden Feinden warf er starke Truppenmassen entgegen, ließ während dessen drei Brücken über die Berezina schlagen, und entkam mit dem grösten Theile der um ihn geschaarten, und noch zusammenhaltenden Regimenter, während ein unabsehlicher Troß ungeordneter Nachzügler in wilder Verwirrung dem Heere nachdrängte. Schrecklich wurde die Scene, als am andern Tage die Russen ihren Irrthum bemerkten, an den Ufern des Flusses Batterien aufpflanzten, und die drei Brücken, über welche der Rückzug der fliehenden Franzosen immer fortdauerte, in den Grund schossen. Von den abgeschnittenen Tausenden versuchten wohl einige, von Eisscholle zu Scholle springend, das jenseitige Ufer zu erreichen, aber die meisten verfielen dem Tode oder der Gefangenschaft. Mit 250,000 Mann wohlgerüsteter Trappen hatte Napoléon Moskau verlassen. Bis zur polnischen Gränze lagen beinahe 100 Etappenmärsche vor ihm, und diese waren kaum zur Hälfte zurückgelegt, als an der Berezina ihm das gröste Unheil drohte. Hier war er bereits von allen Seiten umstellt, und sein Untergang schien unvermeidlich. Aber es war ihm nicht vom Schicksal bestimmt, in den Eisfeldern von Rußland umzukommen, sondern er sollte, an den glühenden Felsen von St. Helena geschmiedet, ein zweiter Prometheus, von der nagenden Erinnerung an die frühere Größe Jahre lang gepeinigt, langsam verschmachten, ohne daß ein mächtiger Herakles mit den immertreffenden Pfeilen zu seiner Befreiung erschienen wäre. An der Berezina entrann er durch eigne Kraft und Umsicht dem nahen Verderben. Die jenseit des Flusses stehenden Russen täuschte er durch falsche Nachrichten, so daß sie südwärts abzogen, den im Rücken herankommenden Feinden warf er starke Truppenmassen entgegen, ließ während dessen drei Brücken über die Berezina schlagen, und entkam mit dem grösten Theile der um ihn geschaarten, und noch zusammenhaltenden Regimenter, während ein unabsehlicher Troß ungeordneter Nachzügler in wilder Verwirrung dem Heere nachdrängte. Schrecklich wurde die Scene, als am andern Tage die Russen ihren Irrthum bemerkten, an den Ufern des Flusses Batterien aufpflanzten, und die drei Brücken, über welche der Rückzug der fliehenden Franzosen immer fortdauerte, in den Grund schossen. 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Aber es war ihm nicht vom Schicksal bestimmt, in den Eisfeldern von Rußland umzukommen, sondern er sollte, an den glühenden Felsen von St. Helena geschmiedet, ein zweiter Prometheus, von der nagenden Erinnerung an die frühere Größe Jahre lang gepeinigt, langsam verschmachten, ohne daß ein mächtiger Herakles mit den immertreffenden Pfeilen zu seiner Befreiung erschienen wäre. </p><lb/> <p>An der Berezina entrann er durch eigne Kraft und Umsicht dem nahen Verderben. Die jenseit des Flusses stehenden Russen täuschte er durch falsche Nachrichten, so daß sie südwärts abzogen, den im Rücken herankommenden Feinden warf er starke Truppenmassen entgegen, ließ während dessen drei Brücken über die Berezina schlagen, und entkam mit dem grösten Theile der um ihn geschaarten, und noch zusammenhaltenden Regimenter, während ein unabsehlicher Troß ungeordneter Nachzügler in wilder Verwirrung dem Heere nachdrängte. Schrecklich wurde die Scene, als am andern Tage die Russen ihren Irrthum bemerkten, an den Ufern des Flusses Batterien aufpflanzten, und die drei Brücken, über welche der Rückzug der fliehenden Franzosen immer fortdauerte, in den Grund schossen. Von den abgeschnittenen Tausenden versuchten wohl einige, von Eisscholle zu Scholle springend, das jenseitige Ufer zu erreichen, aber die meisten verfielen dem Tode oder der Gefangenschaft. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [330/0342]
Mit 250,000 Mann wohlgerüsteter Trappen hatte Napoléon Moskau verlassen. Bis zur polnischen Gränze lagen beinahe 100 Etappenmärsche vor ihm, und diese waren kaum zur Hälfte zurückgelegt, als an der Berezina ihm das gröste Unheil drohte. Hier war er bereits von allen Seiten umstellt, und sein Untergang schien unvermeidlich. Aber es war ihm nicht vom Schicksal bestimmt, in den Eisfeldern von Rußland umzukommen, sondern er sollte, an den glühenden Felsen von St. Helena geschmiedet, ein zweiter Prometheus, von der nagenden Erinnerung an die frühere Größe Jahre lang gepeinigt, langsam verschmachten, ohne daß ein mächtiger Herakles mit den immertreffenden Pfeilen zu seiner Befreiung erschienen wäre.
An der Berezina entrann er durch eigne Kraft und Umsicht dem nahen Verderben. Die jenseit des Flusses stehenden Russen täuschte er durch falsche Nachrichten, so daß sie südwärts abzogen, den im Rücken herankommenden Feinden warf er starke Truppenmassen entgegen, ließ während dessen drei Brücken über die Berezina schlagen, und entkam mit dem grösten Theile der um ihn geschaarten, und noch zusammenhaltenden Regimenter, während ein unabsehlicher Troß ungeordneter Nachzügler in wilder Verwirrung dem Heere nachdrängte. Schrecklich wurde die Scene, als am andern Tage die Russen ihren Irrthum bemerkten, an den Ufern des Flusses Batterien aufpflanzten, und die drei Brücken, über welche der Rückzug der fliehenden Franzosen immer fortdauerte, in den Grund schossen. Von den abgeschnittenen Tausenden versuchten wohl einige, von Eisscholle zu Scholle springend, das jenseitige Ufer zu erreichen, aber die meisten verfielen dem Tode oder der Gefangenschaft.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/342>, abgerufen am 16.07.2024. |