Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Nach Besiegung dieser letzten großen Gefahr erreichte Napoleon die polnische Gränze, warf sich hier in einen Schlitten, und fuhr in rasender Eile unerkannt durch Deutschland. In Dresden machte er mitten in der Nacht dem Könige von Sachsen einen kurzen Besuch, und war zu allgemeiner Verwunderung schon am 18. Dec. in Paris, das er beim Beginne des Krieges im Juni verlassen hatte. Die Spötter bemerkten, daß auch dieser Feldzug im Laufe eines Jahres, aber ganz anders als die früheren, beendigt worden sei. Der Eindruck, den die große Tragödie dieses russischen Krieges machte, war ein ungeheurer, und übte vor allen auf das heranwachsende Geschlecht eine schwer zu beschreibende Wirkung. Alles was wir von dem Heere Sanheribs gelesen, das der Herr in seinem Zorne schlug, oder von den Kriegshaufen des Kambyses, die auf dem Zuge gegen die Ammonier von der Sandwüste verschlungen wurden, das trat hier als die nächste Wirklichkeit, als etwas selbst erlebtes uns entgegen. Ein so unmittelbares Gottesgericht über thörichten Hochmuth und freche Gewaltsamkeit war wohl geeignet, das lebhafteste Gefühl der Ergebung und Demuth zu erzeugen. Weil zuletzt alle französischen Berichte über das Schicksal der großen Armee ausblieben, so vergrößerte das Gerücht die erlittene Niederlage bis zum Unglaublichen. Wir waren nicht erwachsen genug, um die ganze Tragweite des welthistorischen Ereignisses zu ermessen, - und welcher Erwachsene hätte das damals schon gekonnt? - aber an allen Ecken und Enden regte sich das deutliche Bewußtsein, daß nun die Befreiungstunde des Vaterlandes geschlagen habe. Nach Besiegung dieser letzten großen Gefahr erreichte Napoléon die polnische Gränze, warf sich hier in einen Schlitten, und fuhr in rasender Eile unerkannt durch Deutschland. In Dresden machte er mitten in der Nacht dem Könige von Sachsen einen kurzen Besuch, und war zu allgemeiner Verwunderung schon am 18. Dec. in Paris, das er beim Beginne des Krieges im Juni verlassen hatte. Die Spötter bemerkten, daß auch dieser Feldzug im Laufe eines Jahres, aber ganz anders als die früheren, beendigt worden sei. Der Eindruck, den die große Tragödie dieses russischen Krieges machte, war ein ungeheurer, und übte vor allen auf das heranwachsende Geschlecht eine schwer zu beschreibende Wirkung. Alles was wir von dem Heere Sanheribs gelesen, das der Herr in seinem Zorne schlug, oder von den Kriegshaufen des Kambyses, die auf dem Zuge gegen die Ammonier von der Sandwüste verschlungen wurden, das trat hier als die nächste Wirklichkeit, als etwas selbst erlebtes uns entgegen. Ein so unmittelbares Gottesgericht über thörichten Hochmuth und freche Gewaltsamkeit war wohl geeignet, das lebhafteste Gefühl der Ergebung und Demuth zu erzeugen. Weil zuletzt alle französischen Berichte über das Schicksal der großen Armee ausblieben, so vergrößerte das Gerücht die erlittene Niederlage bis zum Unglaublichen. Wir waren nicht erwachsen genug, um die ganze Tragweite des welthistorischen Ereignisses zu ermessen, – und welcher Erwachsene hätte das damals schon gekonnt? – aber an allen Ecken und Enden regte sich das deutliche Bewußtsein, daß nun die Befreiungstunde des Vaterlandes geschlagen habe. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0343" n="331"/> </p><lb/> <p>Nach Besiegung dieser letzten großen Gefahr erreichte Napoléon die polnische Gränze, warf sich hier in einen Schlitten, und fuhr in rasender Eile unerkannt durch Deutschland. In Dresden machte er mitten in der Nacht dem Könige von Sachsen einen kurzen Besuch, und war zu allgemeiner Verwunderung schon am 18. Dec. in Paris, das er beim Beginne des Krieges im Juni verlassen hatte. Die Spötter bemerkten, daß auch dieser Feldzug im Laufe eines Jahres, aber ganz anders als die früheren, beendigt worden sei. </p><lb/> <p>Der Eindruck, den die große Tragödie dieses russischen Krieges machte, war ein ungeheurer, und übte vor allen auf das heranwachsende Geschlecht eine schwer zu beschreibende Wirkung. Alles was wir von dem Heere Sanheribs gelesen, das der Herr in seinem Zorne schlug, oder von den Kriegshaufen des Kambyses, die auf dem Zuge gegen die Ammonier von der Sandwüste verschlungen wurden, das trat hier als die nächste Wirklichkeit, als etwas selbst erlebtes uns entgegen. Ein so unmittelbares Gottesgericht über thörichten Hochmuth und freche Gewaltsamkeit war wohl geeignet, das lebhafteste Gefühl der Ergebung und Demuth zu erzeugen. </p><lb/> <p>Weil zuletzt alle französischen Berichte über das Schicksal der großen Armee ausblieben, so vergrößerte das Gerücht die erlittene Niederlage bis zum Unglaublichen. Wir waren nicht erwachsen genug, um die ganze Tragweite des welthistorischen Ereignisses zu ermessen, – und welcher Erwachsene hätte das damals schon gekonnt? – aber an allen Ecken und Enden regte sich das deutliche Bewußtsein, daß nun die Befreiungstunde des Vaterlandes geschlagen habe. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [331/0343]
Nach Besiegung dieser letzten großen Gefahr erreichte Napoléon die polnische Gränze, warf sich hier in einen Schlitten, und fuhr in rasender Eile unerkannt durch Deutschland. In Dresden machte er mitten in der Nacht dem Könige von Sachsen einen kurzen Besuch, und war zu allgemeiner Verwunderung schon am 18. Dec. in Paris, das er beim Beginne des Krieges im Juni verlassen hatte. Die Spötter bemerkten, daß auch dieser Feldzug im Laufe eines Jahres, aber ganz anders als die früheren, beendigt worden sei.
Der Eindruck, den die große Tragödie dieses russischen Krieges machte, war ein ungeheurer, und übte vor allen auf das heranwachsende Geschlecht eine schwer zu beschreibende Wirkung. Alles was wir von dem Heere Sanheribs gelesen, das der Herr in seinem Zorne schlug, oder von den Kriegshaufen des Kambyses, die auf dem Zuge gegen die Ammonier von der Sandwüste verschlungen wurden, das trat hier als die nächste Wirklichkeit, als etwas selbst erlebtes uns entgegen. Ein so unmittelbares Gottesgericht über thörichten Hochmuth und freche Gewaltsamkeit war wohl geeignet, das lebhafteste Gefühl der Ergebung und Demuth zu erzeugen.
Weil zuletzt alle französischen Berichte über das Schicksal der großen Armee ausblieben, so vergrößerte das Gerücht die erlittene Niederlage bis zum Unglaublichen. Wir waren nicht erwachsen genug, um die ganze Tragweite des welthistorischen Ereignisses zu ermessen, – und welcher Erwachsene hätte das damals schon gekonnt? – aber an allen Ecken und Enden regte sich das deutliche Bewußtsein, daß nun die Befreiungstunde des Vaterlandes geschlagen habe.
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