Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].könne man auf Rußlands Hülfe rechnen, das durch den letzten Krieg unermeßliche Verluste erlitten; nicht in einer einzigen Feldschlacht hätten die Russen gesiegt, nur dem harten Winter verdanke man die Auflösung des französischen Heeres, das sehr bald in erneuter Kraft dastehn könne u. s. w. Aber in der Masse des Volkes war die Ueberzeugung lebendig, daß an eine Hülfe für Napoleon gar nicht zu denken sei, und daß jetzt oder niemals eine Abschüttelung des französischen Joches versucht werden müsse. Auf meines Vaters Wunsch hatte ich seit dem 1. Januar 1813 angefangen, ein Tagebuch zu führen, aus dem ich für die folgenden Jahre manches genaue Datum entnehmen kann. Dies Tagebuch bestand in einem einfachen Schreibkalender, der für jeden Tag ein paar Zeilen zu Merk- und Stichworten gewährte. Lange Gefühlsergießungen hielt mein Vater mit Recht für überflüssig, weil nur zu leicht eine gewisse Selbstbespiegelung sich damit verbindet. -------- Nach dem Aufrufe des Königs strömten die Freiwilligen von allen Seiten zu den Fahnen. Das Graue Kloster blieb nicht zurück. Als am Dienstag, den 12. Februar 1818 der Direktor Bellermann in Prima eintrat, um wie gewöhnlich seine hebräische Stunde zu geben, erklärte ihm der Primus omnium, Albrecht Martins, die ganze Klasse sei entschlossen, dem Rufe des Königs zu folgen, sie bäten deshalb den Direktor geziemend, sie sämmtlich zu entlassen. Martins zog dabei das Zeitungsblatt hervor, worin der Aufruf abgedruckt war. Bellermann war höchlich überrascht, und wollte anfangs nichts davon wissen. Nach seiner könne man auf Rußlands Hülfe rechnen, das durch den letzten Krieg unermeßliche Verluste erlitten; nicht in einer einzigen Feldschlacht hätten die Russen gesiegt, nur dem harten Winter verdanke man die Auflösung des französischen Heeres, das sehr bald in erneuter Kraft dastehn könne u. s. w. Aber in der Masse des Volkes war die Ueberzeugung lebendig, daß an eine Hülfe für Napoléon gar nicht zu denken sei, und daß jetzt oder niemals eine Abschüttelung des französischen Joches versucht werden müsse. Auf meines Vaters Wunsch hatte ich seit dem 1. Januar 1813 angefangen, ein Tagebuch zu führen, aus dem ich für die folgenden Jahre manches genaue Datum entnehmen kann. Dies Tagebuch bestand in einem einfachen Schreibkalender, der für jeden Tag ein paar Zeilen zu Merk- und Stichworten gewährte. Lange Gefühlsergießungen hielt mein Vater mit Recht für überflüssig, weil nur zu leicht eine gewisse Selbstbespiegelung sich damit verbindet. ———— Nach dem Aufrufe des Königs strömten die Freiwilligen von allen Seiten zu den Fahnen. Das Graue Kloster blieb nicht zurück. Als am Dienstag, den 12. Februar 1818 der Direktor Bellermann in Prima eintrat, um wie gewöhnlich seine hebräische Stunde zu geben, erklärte ihm der Primus omnium, Albrecht Martins, die ganze Klasse sei entschlossen, dem Rufe des Königs zu folgen, sie bäten deshalb den Direktor geziemend, sie sämmtlich zu entlassen. Martins zog dabei das Zeitungsblatt hervor, worin der Aufruf abgedruckt war. Bellermann war höchlich überrascht, und wollte anfangs nichts davon wissen. Nach seiner <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0347" n="335"/> könne man auf Rußlands Hülfe rechnen, das durch den letzten Krieg unermeßliche Verluste erlitten; nicht in einer einzigen Feldschlacht hätten die Russen gesiegt, nur dem harten Winter verdanke man die Auflösung des französischen Heeres, das sehr bald in erneuter Kraft dastehn könne u. s. w. Aber in der Masse des Volkes war die Ueberzeugung lebendig, daß an eine Hülfe für Napoléon gar nicht zu denken sei, und daß jetzt oder niemals eine Abschüttelung des französischen Joches versucht werden müsse. </p><lb/> <p>Auf meines Vaters Wunsch hatte ich seit dem 1. Januar 1813 angefangen, ein Tagebuch zu führen, aus dem ich für die folgenden Jahre manches genaue Datum entnehmen kann. Dies Tagebuch bestand in einem einfachen Schreibkalender, der für jeden Tag ein paar Zeilen zu Merk- und Stichworten gewährte. Lange Gefühlsergießungen hielt mein Vater mit Recht für überflüssig, weil nur zu leicht eine gewisse Selbstbespiegelung sich damit verbindet. </p><lb/> <p rendition="#c">————</p><lb/> <p>Nach dem Aufrufe des Königs strömten die Freiwilligen von allen Seiten zu den Fahnen. Das Graue Kloster blieb nicht zurück. Als am Dienstag, den 12. Februar 1818 der Direktor Bellermann in Prima eintrat, um wie gewöhnlich seine hebräische Stunde zu geben, erklärte ihm der Primus omnium, Albrecht Martins, die ganze Klasse sei entschlossen, dem Rufe des Königs zu folgen, sie bäten deshalb den Direktor geziemend, sie sämmtlich zu entlassen. Martins zog dabei das Zeitungsblatt hervor, worin der Aufruf abgedruckt war. Bellermann war höchlich überrascht, und wollte anfangs nichts davon wissen. Nach seiner </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [335/0347]
könne man auf Rußlands Hülfe rechnen, das durch den letzten Krieg unermeßliche Verluste erlitten; nicht in einer einzigen Feldschlacht hätten die Russen gesiegt, nur dem harten Winter verdanke man die Auflösung des französischen Heeres, das sehr bald in erneuter Kraft dastehn könne u. s. w. Aber in der Masse des Volkes war die Ueberzeugung lebendig, daß an eine Hülfe für Napoléon gar nicht zu denken sei, und daß jetzt oder niemals eine Abschüttelung des französischen Joches versucht werden müsse.
Auf meines Vaters Wunsch hatte ich seit dem 1. Januar 1813 angefangen, ein Tagebuch zu führen, aus dem ich für die folgenden Jahre manches genaue Datum entnehmen kann. Dies Tagebuch bestand in einem einfachen Schreibkalender, der für jeden Tag ein paar Zeilen zu Merk- und Stichworten gewährte. Lange Gefühlsergießungen hielt mein Vater mit Recht für überflüssig, weil nur zu leicht eine gewisse Selbstbespiegelung sich damit verbindet.
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Nach dem Aufrufe des Königs strömten die Freiwilligen von allen Seiten zu den Fahnen. Das Graue Kloster blieb nicht zurück. Als am Dienstag, den 12. Februar 1818 der Direktor Bellermann in Prima eintrat, um wie gewöhnlich seine hebräische Stunde zu geben, erklärte ihm der Primus omnium, Albrecht Martins, die ganze Klasse sei entschlossen, dem Rufe des Königs zu folgen, sie bäten deshalb den Direktor geziemend, sie sämmtlich zu entlassen. Martins zog dabei das Zeitungsblatt hervor, worin der Aufruf abgedruckt war. Bellermann war höchlich überrascht, und wollte anfangs nichts davon wissen. Nach seiner
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