Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].In Frankfurt a. M., wo das Hauptquartier der verbündeten Monarchen sich befand, ward nun hin und her berathen, ob man über den Rhein gehn, und es wagen solle, Napoleon im Herzen seines Landes anzugreifen, oder ob man sich mit den errungenen Vortheilen begnügen, und ihm etwa sein altes Kaiserreich bis an den Rhein zugestehn solle. Blücher stand natürlich auf der Seite der Kriegspartei und erging sich in den stärksten Redensarten gegen alle diejenigen hohen und höchsten Herrschaften, die nur irgend etwas von Nachgiebigkeit wissen wollten. Ueberdies erfuhr man mit Bestimmtheit, daß Napoleon selbst gar nicht zur Nachgiebigkeit geneigt sei, daß er vielmehr mit der äußersten Thätigkeit und mit Anspannung aller Kräfte des Landes seine Armee neu organisire. Es war also mit Gewisheit vorherzusehn, daß er angreifen werde, wenn man ihn nicht angreife. So erhielt denn die Kriegspartei im Rathe der Fürsten die Oberhand, und man entwarf für das Jahr 1814 einen großartigen Feldzugsplan. Der linke Flügel der Verbündeten sollte durch die Schweiz, der rechte durch Belgien und Holland in Frankreich einrücken, das Centrum unter Blücher sollte geraden Weges auf Paris losgehn, nachdem vorher die beiden Flügel sich mit ihm vereinigt haben würden. Die anfängliche Auseinanderlegung der Streitkräfte hatte etwas bedenkliches, weil man erwarten mußte, daß Napoleon die einzelnen Theile angreifen werde, sie war aber geboten durch die Schwierigkeit der Ernährung. Nach einer ungefähren Berechnung standen im Anfange des Jahres 1814 von Preußen, Russen, Oestreichern, einschließlich der Süddeutschen mehr als eine Million Soldaten gegen Napoleon in Waffen. Blücher konnte die Zeit des Losschlagens kaum er- In Frankfurt a. M., wo das Hauptquartier der verbündeten Monarchen sich befand, ward nun hin und her berathen, ob man über den Rhein gehn, und es wagen solle, Napoléon im Herzen seines Landes anzugreifen, oder ob man sich mit den errungenen Vortheilen begnügen, und ihm etwa sein altes Kaiserreich bis an den Rhein zugestehn solle. Blücher stand natürlich auf der Seite der Kriegspartei und erging sich in den stärksten Redensarten gegen alle diejenigen hohen und höchsten Herrschaften, die nur irgend etwas von Nachgiebigkeit wissen wollten. Ueberdies erfuhr man mit Bestimmtheit, daß Napoléon selbst gar nicht zur Nachgiebigkeit geneigt sei, daß er vielmehr mit der äußersten Thätigkeit und mit Anspannung aller Kräfte des Landes seine Armee neu organisire. Es war also mit Gewisheit vorherzusehn, daß er angreifen werde, wenn man ihn nicht angreife. So erhielt denn die Kriegspartei im Rathe der Fürsten die Oberhand, und man entwarf für das Jahr 1814 einen großartigen Feldzugsplan. Der linke Flügel der Verbündeten sollte durch die Schweiz, der rechte durch Belgien und Holland in Frankreich einrücken, das Centrum unter Blücher sollte geraden Weges auf Paris losgehn, nachdem vorher die beiden Flügel sich mit ihm vereinigt haben würden. Die anfängliche Auseinanderlegung der Streitkräfte hatte etwas bedenkliches, weil man erwarten mußte, daß Napoléon die einzelnen Theile angreifen werde, sie war aber geboten durch die Schwierigkeit der Ernährung. Nach einer ungefähren Berechnung standen im Anfange des Jahres 1814 von Preußen, Russen, Oestreichern, einschließlich der Süddeutschen mehr als eine Million Soldaten gegen Napoléon in Waffen. Blücher konnte die Zeit des Losschlagens kaum er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0425" n="413"/> </p><lb/> <p>In Frankfurt a. M., wo das Hauptquartier der verbündeten Monarchen sich befand, ward nun hin und her berathen, ob man über den Rhein gehn, und es wagen solle, Napoléon im Herzen seines Landes anzugreifen, oder ob man sich mit den errungenen Vortheilen begnügen, und ihm etwa sein altes Kaiserreich bis an den Rhein zugestehn solle. Blücher stand natürlich auf der Seite der Kriegspartei und erging sich in den stärksten Redensarten gegen alle diejenigen hohen und höchsten Herrschaften, die nur irgend etwas von Nachgiebigkeit wissen wollten. Ueberdies erfuhr man mit Bestimmtheit, daß Napoléon selbst gar nicht zur Nachgiebigkeit geneigt sei, daß er vielmehr mit der äußersten Thätigkeit und mit Anspannung aller Kräfte des Landes seine Armee neu organisire. Es war also mit Gewisheit vorherzusehn, daß er angreifen werde, wenn man ihn nicht angreife. So erhielt denn die Kriegspartei im Rathe der Fürsten die Oberhand, und man entwarf für das Jahr 1814 einen großartigen Feldzugsplan. Der linke Flügel der Verbündeten sollte durch die Schweiz, der rechte durch Belgien und Holland in Frankreich einrücken, das Centrum unter Blücher sollte geraden Weges auf Paris losgehn, nachdem vorher die beiden Flügel sich mit ihm vereinigt haben würden. Die anfängliche Auseinanderlegung der Streitkräfte hatte etwas bedenkliches, weil man erwarten mußte, daß Napoléon die einzelnen Theile angreifen werde, sie war aber geboten durch die Schwierigkeit der Ernährung. Nach einer ungefähren Berechnung standen im Anfange des Jahres 1814 von Preußen, Russen, Oestreichern, einschließlich der Süddeutschen mehr als eine Million Soldaten gegen Napoléon in Waffen. </p><lb/> <p>Blücher konnte die Zeit des Losschlagens kaum er- </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [413/0425]
In Frankfurt a. M., wo das Hauptquartier der verbündeten Monarchen sich befand, ward nun hin und her berathen, ob man über den Rhein gehn, und es wagen solle, Napoléon im Herzen seines Landes anzugreifen, oder ob man sich mit den errungenen Vortheilen begnügen, und ihm etwa sein altes Kaiserreich bis an den Rhein zugestehn solle. Blücher stand natürlich auf der Seite der Kriegspartei und erging sich in den stärksten Redensarten gegen alle diejenigen hohen und höchsten Herrschaften, die nur irgend etwas von Nachgiebigkeit wissen wollten. Ueberdies erfuhr man mit Bestimmtheit, daß Napoléon selbst gar nicht zur Nachgiebigkeit geneigt sei, daß er vielmehr mit der äußersten Thätigkeit und mit Anspannung aller Kräfte des Landes seine Armee neu organisire. Es war also mit Gewisheit vorherzusehn, daß er angreifen werde, wenn man ihn nicht angreife. So erhielt denn die Kriegspartei im Rathe der Fürsten die Oberhand, und man entwarf für das Jahr 1814 einen großartigen Feldzugsplan. Der linke Flügel der Verbündeten sollte durch die Schweiz, der rechte durch Belgien und Holland in Frankreich einrücken, das Centrum unter Blücher sollte geraden Weges auf Paris losgehn, nachdem vorher die beiden Flügel sich mit ihm vereinigt haben würden. Die anfängliche Auseinanderlegung der Streitkräfte hatte etwas bedenkliches, weil man erwarten mußte, daß Napoléon die einzelnen Theile angreifen werde, sie war aber geboten durch die Schwierigkeit der Ernährung. Nach einer ungefähren Berechnung standen im Anfange des Jahres 1814 von Preußen, Russen, Oestreichern, einschließlich der Süddeutschen mehr als eine Million Soldaten gegen Napoléon in Waffen.
Blücher konnte die Zeit des Losschlagens kaum er-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/425>, abgerufen am 16.07.2024. |