Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Der Jubel, mit dem die einziehenden Fürsten nach dem übereinstimmenden Zeugnisse aller Anwesenden begrüßt wurden, war kein gemachter. Bei dem leicht beweglichen Volke der Franzosen schlug die Verehrung für den gefeierten Napoleon plötzlich in den heftigsten Widerwillen um. Auf dem Vendomeplatz stand die ungeheure bronzene Denksäule, die der Kaiser nach dem Muster der Trajans- und Antoninssäule in Rom für sich errichtet, und mit einer langen Spirale seiner Siege geziert hatte. Die Spitze trug Napoleons kolossales Erzbild mit Scepter und Reichsapfel. Dies Zeichen seines Uebermuthes sollte vor allen Dingen entfernt werden. Am Tage des Einzugs der verbündeten Truppen erstieg der Pariser Pöbel die Säule, schlang mehrere Stricke um die Statue, und viele 100 geschäftigen Hände zogen unten auf dem Platze aus Leibeskräften, um das Erzbild, und wo möglich die ganze Säule umzureißen. Zum Glücke widerstand die Solidität der Arbeit dem wahnsinnigen Bestreben der Menge: denn die herabfallende Figur hätte auf dem von Menschen wimmelnden Platze entsetzliches Unglück angerichtet.

Die Zurückführung der Bourbons auf den französischen Thron schrieb man vorzüglich dem Fürsten Talleyrand zu, der durch seine schlaue Beredsamkeit einen großen Einfluß auf den Kaiser Alexander von Rußland ausübte. Talleyrand soll damals zuerst das Princip der Legitimität zur Geltung gebracht haben, das seitdem von den konservativen Parteien in ganz Europa ausgebeutet, zuletzt aber in Frankreich, Deutschland und Italien durchlöchert wurde.

So kam denn der Bruder des hingerichteten Ludwigs XVI., nach 21 jähriger Verbannung aus England nach

Der Jubel, mit dem die einziehenden Fürsten nach dem übereinstimmenden Zeugnisse aller Anwesenden begrüßt wurden, war kein gemachter. Bei dem leicht beweglichen Volke der Franzosen schlug die Verehrung für den gefeierten Napoléon plötzlich in den heftigsten Widerwillen um. Auf dem Vendomeplatz stand die ungeheure bronzene Denksäule, die der Kaiser nach dem Muster der Trajans- und Antoninssäule in Rom für sich errichtet, und mit einer langen Spirale seiner Siege geziert hatte. Die Spitze trug Napoléons kolossales Erzbild mit Scepter und Reichsapfel. Dies Zeichen seines Uebermuthes sollte vor allen Dingen entfernt werden. Am Tage des Einzugs der verbündeten Truppen erstieg der Pariser Pöbel die Säule, schlang mehrere Stricke um die Statue, und viele 100 geschäftigen Hände zogen unten auf dem Platze aus Leibeskräften, um das Erzbild, und wo möglich die ganze Säule umzureißen. Zum Glücke widerstand die Solidität der Arbeit dem wahnsinnigen Bestreben der Menge: denn die herabfallende Figur hätte auf dem von Menschen wimmelnden Platze entsetzliches Unglück angerichtet.

Die Zurückführung der Bourbons auf den französischen Thron schrieb man vorzüglich dem Fürsten Talleyrand zu, der durch seine schlaue Beredsamkeit einen großen Einfluß auf den Kaiser Alexander von Rußland ausübte. Talleyrand soll damals zuerst das Princip der Legitimität zur Geltung gebracht haben, das seitdem von den konservativen Parteien in ganz Europa ausgebeutet, zuletzt aber in Frankreich, Deutschland und Italien durchlöchert wurde.

So kam denn der Bruder des hingerichteten Ludwigs XVI., nach 21 jähriger Verbannung aus England nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p>
            <pb facs="#f0460" n="448"/>
          </p><lb/>
          <p>Der Jubel, mit dem die einziehenden Fürsten nach dem übereinstimmenden Zeugnisse aller Anwesenden begrüßt wurden, war kein gemachter. Bei dem leicht beweglichen Volke der Franzosen schlug die Verehrung für den gefeierten Napoléon plötzlich in den heftigsten Widerwillen um. Auf dem Vendomeplatz stand die ungeheure bronzene Denksäule, die der Kaiser nach dem Muster der Trajans- und Antoninssäule in Rom für sich errichtet, und mit einer langen Spirale seiner Siege geziert hatte. Die Spitze trug Napoléons kolossales Erzbild mit Scepter und Reichsapfel. Dies Zeichen seines Uebermuthes sollte vor allen Dingen entfernt werden. Am Tage des Einzugs der verbündeten Truppen erstieg der Pariser Pöbel die Säule, schlang mehrere Stricke um die Statue, und viele 100 geschäftigen Hände zogen unten auf dem Platze aus Leibeskräften, um das Erzbild, und wo möglich die ganze Säule umzureißen. Zum Glücke widerstand die Solidität der Arbeit dem wahnsinnigen Bestreben der Menge: denn die herabfallende Figur hätte auf dem von Menschen wimmelnden Platze entsetzliches Unglück angerichtet. </p><lb/>
          <p>Die Zurückführung der Bourbons auf den französischen Thron schrieb man vorzüglich dem Fürsten Talleyrand zu, der durch seine schlaue Beredsamkeit einen großen Einfluß auf den Kaiser Alexander von Rußland ausübte. Talleyrand soll damals zuerst das Princip der Legitimität zur Geltung gebracht haben, das seitdem von den konservativen Parteien in ganz Europa ausgebeutet, zuletzt aber in Frankreich, Deutschland und Italien durchlöchert wurde. </p><lb/>
          <p>So kam denn der Bruder des hingerichteten Ludwigs XVI., nach 21 jähriger Verbannung aus England nach
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[448/0460] Der Jubel, mit dem die einziehenden Fürsten nach dem übereinstimmenden Zeugnisse aller Anwesenden begrüßt wurden, war kein gemachter. Bei dem leicht beweglichen Volke der Franzosen schlug die Verehrung für den gefeierten Napoléon plötzlich in den heftigsten Widerwillen um. Auf dem Vendomeplatz stand die ungeheure bronzene Denksäule, die der Kaiser nach dem Muster der Trajans- und Antoninssäule in Rom für sich errichtet, und mit einer langen Spirale seiner Siege geziert hatte. Die Spitze trug Napoléons kolossales Erzbild mit Scepter und Reichsapfel. Dies Zeichen seines Uebermuthes sollte vor allen Dingen entfernt werden. Am Tage des Einzugs der verbündeten Truppen erstieg der Pariser Pöbel die Säule, schlang mehrere Stricke um die Statue, und viele 100 geschäftigen Hände zogen unten auf dem Platze aus Leibeskräften, um das Erzbild, und wo möglich die ganze Säule umzureißen. Zum Glücke widerstand die Solidität der Arbeit dem wahnsinnigen Bestreben der Menge: denn die herabfallende Figur hätte auf dem von Menschen wimmelnden Platze entsetzliches Unglück angerichtet. Die Zurückführung der Bourbons auf den französischen Thron schrieb man vorzüglich dem Fürsten Talleyrand zu, der durch seine schlaue Beredsamkeit einen großen Einfluß auf den Kaiser Alexander von Rußland ausübte. Talleyrand soll damals zuerst das Princip der Legitimität zur Geltung gebracht haben, das seitdem von den konservativen Parteien in ganz Europa ausgebeutet, zuletzt aber in Frankreich, Deutschland und Italien durchlöchert wurde. So kam denn der Bruder des hingerichteten Ludwigs XVI., nach 21 jähriger Verbannung aus England nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/460
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/460>, abgerufen am 21.11.2024.