Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Teller zählen, bald wollten die Waschfrauen sie im Keller bemerkt haben. Dies ging so weit, daß meine Dienstboten am Abende die Gallerie vermieden. Da mich die Sache interessirte, so suchte ich ihr auf den Grund zu kommen, sah aber sehr bald, daß sie, wie jeder andre Mythus, vollkommen in der Luft schwebte. Wen ich von den Hausleuten fragte, der hatte den Geist nicht selbst gesehn, sondern nur von einem anderen gehört, daß er ihn gesehn haben wolle u. s. w. Der Spuk hörte jedoch nicht eher auf, als bis ich mehrere Jahre nachher das Haus umbaute, wobei auch die Gallerie verschwand. -------- Von der Gestalt meines Grosvaters Nicolai habe ich eine sehr deutliche Vorstellung. Er war ein ungewöhnlich großer starkknochiger Mann, der mir immer wie ein Riese vorkam, weil er größer war als mein Vater und die übrigen Hausgenossen. Weber (Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen 3, 371) nennt ihn einen langen, hagern, ungemein ernsten Mann, ohne einen Zug von Satyre oder lachender Laune; Thiebault (Souvenirs de vingt ans 2, 339) macht eine keineswegs einnehmende Beschreibung von ihm, er sagt unter andern, qu'il avait un air roide et cependant degingande. Den Kopf trug er im höheren Alter gebeugt; in dieser Hinsicht ist die Büste von Schadow, die sonst eine große Naturwahrheit hat, nicht ähnlich, weil sie den Kopf allzusehr in die Höhe hebt. Sein Gesicht war blaßgrau, und die Züge hatten etwas stumpfes, weshalb ich ihn nicht gern lange ansehn mochte. In seinem 72. Jahre verlor er durch einen Rheumatismus das rechte Auge; die Aerzte riethen ihm, zur Schonung des übriggebliebenen sich so viel als möglich mit Grün zu Teller zählen, bald wollten die Waschfrauen sie im Keller bemerkt haben. Dies ging so weit, daß meine Dienstboten am Abende die Gallerie vermieden. Da mich die Sache interessirte, so suchte ich ihr auf den Grund zu kommen, sah aber sehr bald, daß sie, wie jeder andre Mythus, vollkommen in der Luft schwebte. Wen ich von den Hausleuten fragte, der hatte den Geist nicht selbst gesehn, sondern nur von einem anderen gehört, daß er ihn gesehn haben wolle u. s. w. Der Spuk hörte jedoch nicht eher auf, als bis ich mehrere Jahre nachher das Haus umbaute, wobei auch die Gallerie verschwand. ———— Von der Gestalt meines Grosvaters Nicolai habe ich eine sehr deutliche Vorstellung. Er war ein ungewöhnlich großer starkknochiger Mann, der mir immer wie ein Riese vorkam, weil er größer war als mein Vater und die übrigen Hausgenossen. Weber (Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen 3, 371) nennt ihn einen langen, hagern, ungemein ernsten Mann, ohne einen Zug von Satyre oder lachender Laune; Thiebault (Souvenirs de vingt ans 2, 339) macht eine keineswegs einnehmende Beschreibung von ihm, er sagt unter andern, qu’il avait un air roide et cependant dégingandé. Den Kopf trug er im höheren Alter gebeugt; in dieser Hinsicht ist die Büste von Schadow, die sonst eine große Naturwahrheit hat, nicht ähnlich, weil sie den Kopf allzusehr in die Höhe hebt. Sein Gesicht war blaßgrau, und die Züge hatten etwas stumpfes, weshalb ich ihn nicht gern lange ansehn mochte. In seinem 72. Jahre verlor er durch einen Rheumatismus das rechte Auge; die Aerzte riethen ihm, zur Schonung des übriggebliebenen sich so viel als möglich mit Grün zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0064" n="52"/> Teller zählen, bald wollten die Waschfrauen sie im Keller bemerkt haben. Dies ging so weit, daß meine Dienstboten am Abende die Gallerie vermieden. Da mich die Sache interessirte, so suchte ich ihr auf den Grund zu kommen, sah aber sehr bald, daß sie, wie jeder andre Mythus, vollkommen in der Luft schwebte. Wen ich von den Hausleuten fragte, der hatte den Geist nicht selbst gesehn, sondern nur von einem anderen gehört, daß er ihn gesehn haben wolle u. s. w. Der Spuk hörte jedoch nicht eher auf, als bis ich mehrere Jahre nachher das Haus umbaute, wobei auch die Gallerie verschwand. </p><lb/> <p rendition="#c">————</p><lb/> <p>Von der Gestalt meines Grosvaters Nicolai habe ich eine sehr deutliche Vorstellung. Er war ein ungewöhnlich großer starkknochiger Mann, der mir immer wie ein Riese vorkam, weil er größer war als mein Vater und die übrigen Hausgenossen. Weber (Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen 3, 371) nennt ihn einen langen, hagern, ungemein ernsten Mann, ohne einen Zug von Satyre oder lachender Laune; Thiebault (Souvenirs de vingt ans 2, 339) macht eine keineswegs einnehmende Beschreibung von ihm, er sagt unter andern, qu’il avait un air roide et cependant dégingandé. Den Kopf trug er im höheren Alter gebeugt; in dieser Hinsicht ist die Büste von Schadow, die sonst eine große Naturwahrheit hat, nicht ähnlich, weil sie den Kopf allzusehr in die Höhe hebt. Sein Gesicht war blaßgrau, und die Züge hatten etwas stumpfes, weshalb ich ihn nicht gern lange ansehn mochte. In seinem 72. Jahre verlor er durch einen Rheumatismus das rechte Auge; die Aerzte riethen ihm, zur Schonung des übriggebliebenen sich so viel als möglich mit Grün zu </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [52/0064]
Teller zählen, bald wollten die Waschfrauen sie im Keller bemerkt haben. Dies ging so weit, daß meine Dienstboten am Abende die Gallerie vermieden. Da mich die Sache interessirte, so suchte ich ihr auf den Grund zu kommen, sah aber sehr bald, daß sie, wie jeder andre Mythus, vollkommen in der Luft schwebte. Wen ich von den Hausleuten fragte, der hatte den Geist nicht selbst gesehn, sondern nur von einem anderen gehört, daß er ihn gesehn haben wolle u. s. w. Der Spuk hörte jedoch nicht eher auf, als bis ich mehrere Jahre nachher das Haus umbaute, wobei auch die Gallerie verschwand.
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Von der Gestalt meines Grosvaters Nicolai habe ich eine sehr deutliche Vorstellung. Er war ein ungewöhnlich großer starkknochiger Mann, der mir immer wie ein Riese vorkam, weil er größer war als mein Vater und die übrigen Hausgenossen. Weber (Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen 3, 371) nennt ihn einen langen, hagern, ungemein ernsten Mann, ohne einen Zug von Satyre oder lachender Laune; Thiebault (Souvenirs de vingt ans 2, 339) macht eine keineswegs einnehmende Beschreibung von ihm, er sagt unter andern, qu’il avait un air roide et cependant dégingandé. Den Kopf trug er im höheren Alter gebeugt; in dieser Hinsicht ist die Büste von Schadow, die sonst eine große Naturwahrheit hat, nicht ähnlich, weil sie den Kopf allzusehr in die Höhe hebt. Sein Gesicht war blaßgrau, und die Züge hatten etwas stumpfes, weshalb ich ihn nicht gern lange ansehn mochte. In seinem 72. Jahre verlor er durch einen Rheumatismus das rechte Auge; die Aerzte riethen ihm, zur Schonung des übriggebliebenen sich so viel als möglich mit Grün zu
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