Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Was ist ein Orgelpedal, ein Register, eine Windlade, ein 16füßiges C? fragten wir, und ließen uns am andern Tage diese Ausdrücke vom Vater erklären, der selbst in seiner Jugend ein geübter Orgelspieler gewesen war. Doch ohne Autopsie waren alle Erklärungen nicht ausreichend, um uns den wunderbar zusammengesetzten Bau der Orgel deutlich zu machen; der Vater versprach daher, uns so bald als möglich die Einrichtung in der Kirche zu zeigen. Da aber ein Sonntag nach dem andern verging, ohne daß dieser Vorsatz zur Ausführung kam, so suchten wir uns selbst zu helfen. Der Sohn des Hofapothekers, mit dem wir in der Hartungschen Schule saßen, kannte den Sohn des Hoforganisten am Dom, und dieser Sohn machte seinen Einfluß bei dem Balgentreter geltend, um uns eines Sonntags mit auf die Orgel zu nehmen. Erklären konnte unser Kamerad den Mechanismus eben so wenig als der massive Balgentreter, und mit Verwunderung blickten wir in den Wirrwarr von Schnüren und Klappen hinein. Fritz war so keck, ein kleines Pfeifchen herauszuziehn und darauf zu blasen. Aber welch' einen überwältigenden Eindruck machte es, als die mächtigen Töne der Orgel in unmittelbarster Nähe, fast unter unseren Füßen hervorquollen. Mir bebte das Innerste, und ich suchte bald einen entfernteren Standpunkt. Fritz blieb ungerührt stehn, und trotzte gleichsam der heranrauschenden Brandung der Töne, die mir mit niederdrückender Gewalt über dem Haupte zusammenschlug. Wir konnten nun ungefähr so viel begreifen, daß jedes gezogene Register die Stärke des Tons vermehre, und daß das 16füßige C einer Posaune von 16 Fuß Länge entspreche.

Eines Abends spielte mein Vater das von Zelter kom-

Was ist ein Orgelpedal, ein Register, eine Windlade, ein 16füßiges C? fragten wir, und ließen uns am andern Tage diese Ausdrücke vom Vater erklären, der selbst in seiner Jugend ein geübter Orgelspieler gewesen war. Doch ohne Autopsie waren alle Erklärungen nicht ausreichend, um uns den wunderbar zusammengesetzten Bau der Orgel deutlich zu machen; der Vater versprach daher, uns so bald als möglich die Einrichtung in der Kirche zu zeigen. Da aber ein Sonntag nach dem andern verging, ohne daß dieser Vorsatz zur Ausführung kam, so suchten wir uns selbst zu helfen. Der Sohn des Hofapothekers, mit dem wir in der Hartungschen Schule saßen, kannte den Sohn des Hoforganisten am Dom, und dieser Sohn machte seinen Einfluß bei dem Balgentreter geltend, um uns eines Sonntags mit auf die Orgel zu nehmen. Erklären konnte unser Kamerad den Mechanismus eben so wenig als der massive Balgentreter, und mit Verwunderung blickten wir in den Wirrwarr von Schnüren und Klappen hinein. Fritz war so keck, ein kleines Pfeifchen herauszuziehn und darauf zu blasen. Aber welch’ einen überwältigenden Eindruck machte es, als die mächtigen Töne der Orgel in unmittelbarster Nähe, fast unter unseren Füßen hervorquollen. Mir bebte das Innerste, und ich suchte bald einen entfernteren Standpunkt. Fritz blieb ungerührt stehn, und trotzte gleichsam der heranrauschenden Brandung der Töne, die mir mit niederdrückender Gewalt über dem Haupte zusammenschlug. Wir konnten nun ungefähr so viel begreifen, daß jedes gezogene Register die Stärke des Tons vermehre, und daß das 16füßige C einer Posaune von 16 Fuß Länge entspreche.

Eines Abends spielte mein Vater das von Zelter kom-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p>
            <pb facs="#f0073" n="61"/>
          </p><lb/>
          <p>Was ist ein Orgelpedal, ein Register, eine Windlade, ein 16füßiges C? fragten wir, und ließen uns am andern Tage diese Ausdrücke vom Vater erklären, der selbst in seiner Jugend ein geübter Orgelspieler gewesen war. Doch ohne Autopsie waren alle Erklärungen nicht ausreichend, um uns den wunderbar zusammengesetzten Bau der Orgel deutlich zu machen; der Vater versprach daher, uns so bald als möglich die Einrichtung in der Kirche zu zeigen. Da aber ein Sonntag nach dem andern verging, ohne daß dieser Vorsatz zur Ausführung kam, so suchten wir uns selbst zu helfen. Der Sohn des Hofapothekers, mit dem wir in der Hartungschen Schule saßen, kannte den Sohn des Hoforganisten am Dom, und dieser Sohn machte seinen Einfluß bei dem Balgentreter geltend, um uns eines Sonntags mit auf die Orgel zu nehmen. Erklären konnte unser Kamerad den Mechanismus eben so wenig als der massive Balgentreter, und mit Verwunderung blickten wir in den Wirrwarr von Schnüren und Klappen hinein. Fritz war so keck, ein kleines Pfeifchen herauszuziehn und darauf zu blasen. Aber welch&#x2019; einen überwältigenden Eindruck machte es, als die mächtigen Töne der Orgel in unmittelbarster Nähe, fast unter unseren Füßen hervorquollen. Mir bebte das Innerste, und ich suchte bald einen entfernteren Standpunkt. Fritz blieb ungerührt stehn, und trotzte gleichsam der heranrauschenden Brandung der Töne, die mir mit niederdrückender Gewalt über dem Haupte zusammenschlug. Wir konnten nun ungefähr so viel begreifen, daß jedes gezogene Register die Stärke des Tons vermehre, und daß das 16füßige C einer Posaune von 16 Fuß Länge entspreche. </p><lb/>
          <p>Eines Abends spielte mein Vater das von Zelter kom-
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0073] Was ist ein Orgelpedal, ein Register, eine Windlade, ein 16füßiges C? fragten wir, und ließen uns am andern Tage diese Ausdrücke vom Vater erklären, der selbst in seiner Jugend ein geübter Orgelspieler gewesen war. Doch ohne Autopsie waren alle Erklärungen nicht ausreichend, um uns den wunderbar zusammengesetzten Bau der Orgel deutlich zu machen; der Vater versprach daher, uns so bald als möglich die Einrichtung in der Kirche zu zeigen. Da aber ein Sonntag nach dem andern verging, ohne daß dieser Vorsatz zur Ausführung kam, so suchten wir uns selbst zu helfen. Der Sohn des Hofapothekers, mit dem wir in der Hartungschen Schule saßen, kannte den Sohn des Hoforganisten am Dom, und dieser Sohn machte seinen Einfluß bei dem Balgentreter geltend, um uns eines Sonntags mit auf die Orgel zu nehmen. Erklären konnte unser Kamerad den Mechanismus eben so wenig als der massive Balgentreter, und mit Verwunderung blickten wir in den Wirrwarr von Schnüren und Klappen hinein. Fritz war so keck, ein kleines Pfeifchen herauszuziehn und darauf zu blasen. Aber welch’ einen überwältigenden Eindruck machte es, als die mächtigen Töne der Orgel in unmittelbarster Nähe, fast unter unseren Füßen hervorquollen. Mir bebte das Innerste, und ich suchte bald einen entfernteren Standpunkt. Fritz blieb ungerührt stehn, und trotzte gleichsam der heranrauschenden Brandung der Töne, die mir mit niederdrückender Gewalt über dem Haupte zusammenschlug. Wir konnten nun ungefähr so viel begreifen, daß jedes gezogene Register die Stärke des Tons vermehre, und daß das 16füßige C einer Posaune von 16 Fuß Länge entspreche. Eines Abends spielte mein Vater das von Zelter kom-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/73
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/73>, abgerufen am 21.11.2024.