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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Preußen auszeichnet, hieß Frau von der Recke uns willkommen, und fragte zuerst nach Fritzens und nach Lillis Alter. Als die Reihe an mich kam, sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit: Dein Alter, mein lieber Gustav, kann ich nicht vergessen: denn du bist so alt wie meine Kopfwunde! Hierbei deutete sie mit der schöngeformten Hand auf eine tiefe Narbe, die an ihrer rechten Schläfe unter der weißen Kantenhaube sichtbar war, aber ihr edles Gesicht gar nicht entstellte.

Damit hatte es folgende Bewandniß. Sie machte mit ihrer Schwester, der Herzogin von Kurland, eine Spazierfahrt in einem Vierspänner mit zwei Vorreitern. Beim Nachhausefahren wollte der erste Vorreiter sich in seiner neuen Uniform vor dem Fenster seiner Geliebten zeigen. Er warf, ohne seinem Kameraden einen Wink zu geben, im schnellsten Trabe die beiden Vorderpferde herum, und alsbald stürzte der Wagen in einen tiefen Graben. Die Herzogin kam ohne bedeutende Verletzungen davon, aber bei Frau von der Recke drückte sich ein schweres goldnes Medaillon mit dem Bildnisse der Kaiserin Katharina II., das sie am Halse trug, tief in die Schläfe ein, und brachte ihr eine lebensgefährliche Wunde bei, an der sie viele Wochen zu leiden hatte. Dies geschah in Löbichau, dem Landgute der Herzogin, gerade an meinem Geburtstage, am 27. Okt 1798.

Vor Tiedge, als einem berühmten deutschen Dichter, empfand ich von vorn herein eine große Verehrung. Es hatte sich schon, als er in Nachod wohnte eine freundliche Beziehung zu ihm angeknüpft. Tante Jettchen rühmte ihm meinen Fleiß im lateinischen, und darauf schrieb er mir einen gut stylisirten lateinischen Brief, den ich noch

Preußen auszeichnet, hieß Frau von der Recke uns willkommen, und fragte zuerst nach Fritzens und nach Lillis Alter. Als die Reihe an mich kam, sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit: Dein Alter, mein lieber Gustav, kann ich nicht vergessen: denn du bist so alt wie meine Kopfwunde! Hierbei deutete sie mit der schöngeformten Hand auf eine tiefe Narbe, die an ihrer rechten Schläfe unter der weißen Kantenhaube sichtbar war, aber ihr edles Gesicht gar nicht entstellte.

Damit hatte es folgende Bewandniß. Sie machte mit ihrer Schwester, der Herzogin von Kurland, eine Spazierfahrt in einem Vierspänner mit zwei Vorreitern. Beim Nachhausefahren wollte der erste Vorreiter sich in seiner neuen Uniform vor dem Fenster seiner Geliebten zeigen. Er warf, ohne seinem Kameraden einen Wink zu geben, im schnellsten Trabe die beiden Vorderpferde herum, und alsbald stürzte der Wagen in einen tiefen Graben. Die Herzogin kam ohne bedeutende Verletzungen davon, aber bei Frau von der Recke drückte sich ein schweres goldnes Medaillon mit dem Bildnisse der Kaiserin Katharina II., das sie am Halse trug, tief in die Schläfe ein, und brachte ihr eine lebensgefährliche Wunde bei, an der sie viele Wochen zu leiden hatte. Dies geschah in Löbichau, dem Landgute der Herzogin, gerade an meinem Geburtstage, am 27. Okt 1798.

Vor Tiedge, als einem berühmten deutschen Dichter, empfand ich von vorn herein eine große Verehrung. Es hatte sich schon, als er in Nachod wohnte eine freundliche Beziehung zu ihm angeknüpft. Tante Jettchen rühmte ihm meinen Fleiß im lateinischen, und darauf schrieb er mir einen gut stylisirten lateinischen Brief, den ich noch

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Preußen auszeichnet, hieß Frau von der Recke uns willkommen, und fragte zuerst nach Fritzens und nach Lillis Alter. Als die Reihe an mich kam, sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit: Dein Alter, mein lieber Gustav, kann ich nicht vergessen: denn du bist so alt wie meine Kopfwunde! Hierbei deutete sie mit der schöngeformten Hand auf eine tiefe Narbe, die an ihrer rechten Schläfe unter der weißen Kantenhaube sichtbar war, aber ihr edles Gesicht gar nicht entstellte. </p><lb/>
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[4/0012] Preußen auszeichnet, hieß Frau von der Recke uns willkommen, und fragte zuerst nach Fritzens und nach Lillis Alter. Als die Reihe an mich kam, sagte sie mit einer gewissen Feierlichkeit: Dein Alter, mein lieber Gustav, kann ich nicht vergessen: denn du bist so alt wie meine Kopfwunde! Hierbei deutete sie mit der schöngeformten Hand auf eine tiefe Narbe, die an ihrer rechten Schläfe unter der weißen Kantenhaube sichtbar war, aber ihr edles Gesicht gar nicht entstellte. Damit hatte es folgende Bewandniß. Sie machte mit ihrer Schwester, der Herzogin von Kurland, eine Spazierfahrt in einem Vierspänner mit zwei Vorreitern. Beim Nachhausefahren wollte der erste Vorreiter sich in seiner neuen Uniform vor dem Fenster seiner Geliebten zeigen. Er warf, ohne seinem Kameraden einen Wink zu geben, im schnellsten Trabe die beiden Vorderpferde herum, und alsbald stürzte der Wagen in einen tiefen Graben. Die Herzogin kam ohne bedeutende Verletzungen davon, aber bei Frau von der Recke drückte sich ein schweres goldnes Medaillon mit dem Bildnisse der Kaiserin Katharina II., das sie am Halse trug, tief in die Schläfe ein, und brachte ihr eine lebensgefährliche Wunde bei, an der sie viele Wochen zu leiden hatte. Dies geschah in Löbichau, dem Landgute der Herzogin, gerade an meinem Geburtstage, am 27. Okt 1798. Vor Tiedge, als einem berühmten deutschen Dichter, empfand ich von vorn herein eine große Verehrung. Es hatte sich schon, als er in Nachod wohnte eine freundliche Beziehung zu ihm angeknüpft. Tante Jettchen rühmte ihm meinen Fleiß im lateinischen, und darauf schrieb er mir einen gut stylisirten lateinischen Brief, den ich noch

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/12>, abgerufen am 21.11.2024.