Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].wie Kodrus und Arnold von Winkelried für andre opferten; es sei aber ganz folgewidrig, den körperlichen Tod auf das geistige Gebiet der Sittenlehre überzutragen. Ich wußte in der That nicht, was ich ihm antworten sollte, als er mir mit der Frage zu Leibe ging, ob die beseligenden Wahrheiten der christlichen Religion irgendwie geschwächt oder verdunkelt würden, wenn Christus ruhig auf seinem Bette gestorben wäre? ob die Passionsgeschichte, so schön und erhebend sie sei, irgend einen Einfluß auf den Kern der christlichen Lehre ausübe? Die von den Theologen behauptete gänzliche Sündlosigkeit Christi hielt Paul für unerwiesen, weil wir zu wenig zuverlässiges über Christi Leben wissen, und für unnöthig, weil die göttliche Kraft seiner Lehre damit nichts zu thun habe. Ich mußte ihm zugestehn, daß die brutale Austreibung der Verkäufer aus dem Tempel und die unduldsame Abweisung des kananäischen Weibes (Matth. 15, 21) mir immer etwas bedenklich erschienen seien, doch bekannte ich meine Ueberzeugung, daß mir das Bild von der sittlichen Hoheit Christi dadurch nicht getrübt werden könne. Paul warf noch eine andere heikelige Frage auf: ob im ganzen Neuen Testament ein Beweis zu finden sei, daß Christus von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes mehr gewußt habe, als alle andern Menschen? Christus stellt ihn dar als allmächtigen und allweisen Herrscher des Himmels und der Erde, etwa so wie Zeus beim Homer der Vater der Götter und Menschen heißt. Eine übernatürliche Kenntniß Christi von dem innersten Wesen Gottes kann nirgend nachgewiesen werden. Wenn also Christus von seinem Vater im Himmel spricht, so ist da- wie Kodrus und Arnold von Winkelried für andre opferten; es sei aber ganz folgewidrig, den körperlichen Tod auf das geistige Gebiet der Sittenlehre überzutragen. Ich wußte in der That nicht, was ich ihm antworten sollte, als er mir mit der Frage zu Leibe ging, ob die beseligenden Wahrheiten der christlichen Religion irgendwie geschwächt oder verdunkelt würden, wenn Christus ruhig auf seinem Bette gestorben wäre? ob die Passionsgeschichte, so schön und erhebend sie sei, irgend einen Einfluß auf den Kern der christlichen Lehre ausübe? Die von den Theologen behauptete gänzliche Sündlosigkeit Christi hielt Paul für unerwiesen, weil wir zu wenig zuverlässiges über Christi Leben wissen, und für unnöthig, weil die göttliche Kraft seiner Lehre damit nichts zu thun habe. Ich mußte ihm zugestehn, daß die brutale Austreibung der Verkäufer aus dem Tempel und die unduldsame Abweisung des kananäischen Weibes (Matth. 15, 21) mir immer etwas bedenklich erschienen seien, doch bekannte ich meine Ueberzeugung, daß mir das Bild von der sittlichen Hoheit Christi dadurch nicht getrübt werden könne. Paul warf noch eine andere heikelige Frage auf: ob im ganzen Neuen Testament ein Beweis zu finden sei, daß Christus von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes mehr gewußt habe, als alle andern Menschen? Christus stellt ihn dar als allmächtigen und allweisen Herrscher des Himmels und der Erde, etwa so wie Zeus beim Homer der Vater der Götter und Menschen heißt. Eine übernatürliche Kenntniß Christi von dem innersten Wesen Gottes kann nirgend nachgewiesen werden. 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wie Kodrus und Arnold von Winkelried für andre opferten; es sei aber ganz folgewidrig, den körperlichen Tod auf das geistige Gebiet der Sittenlehre überzutragen.
Ich wußte in der That nicht, was ich ihm antworten sollte, als er mir mit der Frage zu Leibe ging, ob die beseligenden Wahrheiten der christlichen Religion irgendwie geschwächt oder verdunkelt würden, wenn Christus ruhig auf seinem Bette gestorben wäre? ob die Passionsgeschichte, so schön und erhebend sie sei, irgend einen Einfluß auf den Kern der christlichen Lehre ausübe?
Die von den Theologen behauptete gänzliche Sündlosigkeit Christi hielt Paul für unerwiesen, weil wir zu wenig zuverlässiges über Christi Leben wissen, und für unnöthig, weil die göttliche Kraft seiner Lehre damit nichts zu thun habe. Ich mußte ihm zugestehn, daß die brutale Austreibung der Verkäufer aus dem Tempel und die unduldsame Abweisung des kananäischen Weibes (Matth. 15, 21) mir immer etwas bedenklich erschienen seien, doch bekannte ich meine Ueberzeugung, daß mir das Bild von der sittlichen Hoheit Christi dadurch nicht getrübt werden könne.
Paul warf noch eine andere heikelige Frage auf: ob im ganzen Neuen Testament ein Beweis zu finden sei, daß Christus von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes mehr gewußt habe, als alle andern Menschen? Christus stellt ihn dar als allmächtigen und allweisen Herrscher des Himmels und der Erde, etwa so wie Zeus beim Homer der Vater der Götter und Menschen heißt. Eine übernatürliche Kenntniß Christi von dem innersten Wesen Gottes kann nirgend nachgewiesen werden. Wenn also Christus von seinem Vater im Himmel spricht, so ist da-
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