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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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mit nicht ausgeschlossen, daß wir uns alle Gottes Kinder nennen mögen. Diese Ansicht war mir überraschend, aber sie sagte mir zu: denn sie nahm die Hauptschranke weg, die von den alten und neuen Theologen zwischen Christus und der übrigen Menschheit aufgerichtet war. Einem Gotte nachzueifern, schien ein hoffnungsloses Unternehmen, aber den besten aller Menschen sich zum Muster zu nehmen, hatte wenigstens Aussicht auf einigen Erfolg.

Von diesen Betrachtungen kam Paul auf die Lehre von der Dreieinigkeit, die ich ihm gern Preis gab, weil ja im Neuen Testamente nichts davon steht.

Noch weniger wollten wir uns bei der Himmel- und Höllenfahrt Christi, so wie bei dem jüngsten Gerichte aufhalten, weil auf diesen abgelegenen dogmatischen Gebieten alle Logik des Denkens aufhört.

Desto mehr machten uns der Ursprung des Bösen und die fortdauernde Gewalt des Uebels zu schaffen. Nach allen möglichen dialektischen Wendungen und Windungen kamen wir zu keinem genügenden Resultate, und ich glaube, daß es manchen andern redlichen Forschern eben so gegangen sei. Wenn Paul den Satz aufstellte, daß in Gott, als dem absoluten Geiste, alle Gegensätze aufgehoben seien, so machte ich die Restriction: nur nicht der Gegensatz des Guten und Bösen; Gott war, meiner Meinung nach, wesentlich gut, ja ich konnte mir nicht einmal eine Gottheit denken, die sich gegen das Böse gleichgültig, gleichsam passiv verhalte.

Blieb nun Paul vor der Unbegreiflichkeit stehn, auf welche Weise der ungeheure Bruch in die Schöpfung gekommen sei, und wie unter den Augen des allgütigen, allgerechten Vaters täglich und stündlich so viele Unge-

mit nicht ausgeschlossen, daß wir uns alle Gottes Kinder nennen mögen. Diese Ansicht war mir überraschend, aber sie sagte mir zu: denn sie nahm die Hauptschranke weg, die von den alten und neuen Theologen zwischen Christus und der übrigen Menschheit aufgerichtet war. Einem Gotte nachzueifern, schien ein hoffnungsloses Unternehmen, aber den besten aller Menschen sich zum Muster zu nehmen, hatte wenigstens Aussicht auf einigen Erfolg.

Von diesen Betrachtungen kam Paul auf die Lehre von der Dreieinigkeit, die ich ihm gern Preis gab, weil ja im Neuen Testamente nichts davon steht.

Noch weniger wollten wir uns bei der Himmel- und Höllenfahrt Christi, so wie bei dem jüngsten Gerichte aufhalten, weil auf diesen abgelegenen dogmatischen Gebieten alle Logik des Denkens aufhört.

Desto mehr machten uns der Ursprung des Bösen und die fortdauernde Gewalt des Uebels zu schaffen. Nach allen möglichen dialektischen Wendungen und Windungen kamen wir zu keinem genügenden Resultate, und ich glaube, daß es manchen andern redlichen Forschern eben so gegangen sei. Wenn Paul den Satz aufstellte, daß in Gott, als dem absoluten Geiste, alle Gegensätze aufgehoben seien, so machte ich die Restriction: nur nicht der Gegensatz des Guten und Bösen; Gott war, meiner Meinung nach, wesentlich gut, ja ich konnte mir nicht einmal eine Gottheit denken, die sich gegen das Böse gleichgültig, gleichsam passiv verhalte.

Blieb nun Paul vor der Unbegreiflichkeit stehn, auf welche Weise der ungeheure Bruch in die Schöpfung gekommen sei, und wie unter den Augen des allgütigen, allgerechten Vaters täglich und stündlich so viele Unge-

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[164/0172] mit nicht ausgeschlossen, daß wir uns alle Gottes Kinder nennen mögen. Diese Ansicht war mir überraschend, aber sie sagte mir zu: denn sie nahm die Hauptschranke weg, die von den alten und neuen Theologen zwischen Christus und der übrigen Menschheit aufgerichtet war. Einem Gotte nachzueifern, schien ein hoffnungsloses Unternehmen, aber den besten aller Menschen sich zum Muster zu nehmen, hatte wenigstens Aussicht auf einigen Erfolg. Von diesen Betrachtungen kam Paul auf die Lehre von der Dreieinigkeit, die ich ihm gern Preis gab, weil ja im Neuen Testamente nichts davon steht. Noch weniger wollten wir uns bei der Himmel- und Höllenfahrt Christi, so wie bei dem jüngsten Gerichte aufhalten, weil auf diesen abgelegenen dogmatischen Gebieten alle Logik des Denkens aufhört. Desto mehr machten uns der Ursprung des Bösen und die fortdauernde Gewalt des Uebels zu schaffen. Nach allen möglichen dialektischen Wendungen und Windungen kamen wir zu keinem genügenden Resultate, und ich glaube, daß es manchen andern redlichen Forschern eben so gegangen sei. Wenn Paul den Satz aufstellte, daß in Gott, als dem absoluten Geiste, alle Gegensätze aufgehoben seien, so machte ich die Restriction: nur nicht der Gegensatz des Guten und Bösen; Gott war, meiner Meinung nach, wesentlich gut, ja ich konnte mir nicht einmal eine Gottheit denken, die sich gegen das Böse gleichgültig, gleichsam passiv verhalte. Blieb nun Paul vor der Unbegreiflichkeit stehn, auf welche Weise der ungeheure Bruch in die Schöpfung gekommen sei, und wie unter den Augen des allgütigen, allgerechten Vaters täglich und stündlich so viele Unge-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/172>, abgerufen am 21.11.2024.