Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].rechtigkeiten geschehen können, so half ich mir mit der wohlfeilen Annahme, daß dieser Bruch eben kein Bruch sei, sondern zum Ganzen gehöre, daß Gott die Welt unvollkommen geschaffen habe, um uns Gelegenheit zu geben, sie einer immer größeren Vollkommenheit entgegen zu führen. Dies nannte Paul eine anthropomorphische Ansicht vom Wesen Gottes; ich fragte ihn dagegen, ob in unserem ganzen Vorstellungsvermögen und in alle dem, was die Theologen Offenbarung nennen, eine andre als eine anthropomorphische Ansicht zu finden sei? Mußten wir somit den Unterschied zwischen dem Guten und Bösen festhalten, so wollten wir dem Bösen doch keine Berechtigung zugestehn; aber diese war in mancher Hinsicht kaum abzuläugnen. Etwas verwirrt wurde ich durch Pauls Fragen, wie es denn auf Erden aussehn würde, wenn alle Menschen, nach Christi Erscheinung, so tugendhaft geworden wären, als er selbst? wenn alle Feindschaft, aller Neid, kurzum alles Böse aufgehört hätte? Würde dann das Gute noch irgend einen Werth behalten haben? Es sei also Thatsache, daß überall das Böse dem Guten unentbehrlich sei, selbst bei dem bloßen Gedanken des Guten werde das Böse, wenn auch unbewußt, im Hintergrunde der Seele mitgedacht; also müsse doch wohl das Böse im großen Welthaushalte als nothwendig zu betrachten sein; wer also böse handle, der fülle nur die ihm im Causalnexus des Universums angewiesene Stelle aus. Diesen Satz konnte ich nicht in Abrede stellen, doch machte ich dagegen geltend, daß eben so gut wie die Verbrechen, so auch die Strafen im großen Welthaushalte ihren Platz finden müßten. rechtigkeiten geschehen können, so half ich mir mit der wohlfeilen Annahme, daß dieser Bruch eben kein Bruch sei, sondern zum Ganzen gehöre, daß Gott die Welt unvollkommen geschaffen habe, um uns Gelegenheit zu geben, sie einer immer größeren Vollkommenheit entgegen zu führen. Dies nannte Paul eine anthropomorphische Ansicht vom Wesen Gottes; ich fragte ihn dagegen, ob in unserem ganzen Vorstellungsvermögen und in alle dem, was die Theologen Offenbarung nennen, eine andre als eine anthropomorphische Ansicht zu finden sei? Mußten wir somit den Unterschied zwischen dem Guten und Bösen festhalten, so wollten wir dem Bösen doch keine Berechtigung zugestehn; aber diese war in mancher Hinsicht kaum abzuläugnen. Etwas verwirrt wurde ich durch Pauls Fragen, wie es denn auf Erden aussehn würde, wenn alle Menschen, nach Christi Erscheinung, so tugendhaft geworden wären, als er selbst? wenn alle Feindschaft, aller Neid, kurzum alles Böse aufgehört hätte? Würde dann das Gute noch irgend einen Werth behalten haben? Es sei also Thatsache, daß überall das Böse dem Guten unentbehrlich sei, selbst bei dem bloßen Gedanken des Guten werde das Böse, wenn auch unbewußt, im Hintergrunde der Seele mitgedacht; also müsse doch wohl das Böse im großen Welthaushalte als nothwendig zu betrachten sein; wer also böse handle, der fülle nur die ihm im Causalnexus des Universums angewiesene Stelle aus. Diesen Satz konnte ich nicht in Abrede stellen, doch machte ich dagegen geltend, daß eben so gut wie die Verbrechen, so auch die Strafen im großen Welthaushalte ihren Platz finden müßten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0173" n="165"/> rechtigkeiten geschehen können, so half ich mir mit der wohlfeilen Annahme, daß dieser Bruch eben kein Bruch sei, sondern zum Ganzen gehöre, daß Gott die Welt unvollkommen geschaffen habe, um uns Gelegenheit zu geben, sie einer immer größeren Vollkommenheit entgegen zu führen. Dies nannte Paul eine anthropomorphische Ansicht vom Wesen Gottes; ich fragte ihn dagegen, ob in unserem ganzen Vorstellungsvermögen und in alle dem, was die Theologen Offenbarung nennen, eine andre als eine anthropomorphische Ansicht zu finden sei? </p><lb/> <p>Mußten wir somit den Unterschied zwischen dem Guten und Bösen festhalten, so wollten wir dem Bösen doch keine Berechtigung zugestehn; aber diese war in mancher Hinsicht kaum abzuläugnen. </p><lb/> <p>Etwas verwirrt wurde ich durch Pauls Fragen, wie es denn auf Erden aussehn würde, wenn alle Menschen, nach Christi Erscheinung, so tugendhaft geworden wären, als er selbst? wenn alle Feindschaft, aller Neid, kurzum alles Böse aufgehört hätte? Würde dann das Gute noch irgend einen Werth behalten haben? Es sei also Thatsache, daß überall das Böse dem Guten unentbehrlich sei, selbst bei dem bloßen Gedanken des Guten werde das Böse, wenn auch unbewußt, im Hintergrunde der Seele mitgedacht; also müsse doch wohl das Böse im großen Welthaushalte als nothwendig zu betrachten sein; wer also böse handle, der fülle nur die ihm im Causalnexus des Universums angewiesene Stelle aus. Diesen Satz konnte ich nicht in Abrede stellen, doch machte ich dagegen geltend, daß eben so gut wie die Verbrechen, so auch die Strafen im großen Welthaushalte ihren Platz finden müßten. </p> </div> </body> </text> </TEI> [165/0173]
rechtigkeiten geschehen können, so half ich mir mit der wohlfeilen Annahme, daß dieser Bruch eben kein Bruch sei, sondern zum Ganzen gehöre, daß Gott die Welt unvollkommen geschaffen habe, um uns Gelegenheit zu geben, sie einer immer größeren Vollkommenheit entgegen zu führen. Dies nannte Paul eine anthropomorphische Ansicht vom Wesen Gottes; ich fragte ihn dagegen, ob in unserem ganzen Vorstellungsvermögen und in alle dem, was die Theologen Offenbarung nennen, eine andre als eine anthropomorphische Ansicht zu finden sei?
Mußten wir somit den Unterschied zwischen dem Guten und Bösen festhalten, so wollten wir dem Bösen doch keine Berechtigung zugestehn; aber diese war in mancher Hinsicht kaum abzuläugnen.
Etwas verwirrt wurde ich durch Pauls Fragen, wie es denn auf Erden aussehn würde, wenn alle Menschen, nach Christi Erscheinung, so tugendhaft geworden wären, als er selbst? wenn alle Feindschaft, aller Neid, kurzum alles Böse aufgehört hätte? Würde dann das Gute noch irgend einen Werth behalten haben? Es sei also Thatsache, daß überall das Böse dem Guten unentbehrlich sei, selbst bei dem bloßen Gedanken des Guten werde das Böse, wenn auch unbewußt, im Hintergrunde der Seele mitgedacht; also müsse doch wohl das Böse im großen Welthaushalte als nothwendig zu betrachten sein; wer also böse handle, der fülle nur die ihm im Causalnexus des Universums angewiesene Stelle aus. Diesen Satz konnte ich nicht in Abrede stellen, doch machte ich dagegen geltend, daß eben so gut wie die Verbrechen, so auch die Strafen im großen Welthaushalte ihren Platz finden müßten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |