Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Sätze dadurch nicht eben verdeutlicht fanden. Einen gewaltigen Stoß erhielt Fritzens und meine Freiheitsliebe, als Lettow einmal mit dürren Worten aussprach: Wilhelm Tell sei "ein ganz gemeiner Mörder" gewesen! Es war noch gar nicht so lange her, daß wir beide, und obendrein auch meine Schwester, uns bereit erklärt hatten, den Abschaum der Menschheit, Napoleon I., zu ermorden. Nachdem zuletzt noch mit Mühe und Noth ein Glaubensbekenntniß ausgearbeitet war, nahmen die Stunden ein Ende, und die Einsegnung erfolgte in unserem Hause vor einer großen dazu eingeladenen Gesellschaft. Auch dieser feierliche Akt hinterließ wegen einiger Nebenumstände einen keineswegs erhebenden Eindruck. Vor allem war es mir unleidlich, als der Hauptheld des Tages dazusitzen, und mich in Dingen examiniren zu lassen, die sich meiner Meinung nach von selbst verstanden. Dann beharrte mein Vater darauf, daß ich in kurzen Beinkleidern von Nanking und in weißseidnen Strümpfen erscheinen mußte, ein Anzug, der mir wegen meiner dünnen Waden vorzüglich verhaßt war. Mein Vater saß mit Frau von der Recke in der ersten Reihe der zahlreichen Zuschauer, und hörte anfangs mit großer Geduld Lettows langsamer und langweiliger Peroration zu. Als die trivialen Sätze gar kein Ende nehmen wollten, und die Essenszeit heranrückte, sah mein Vater mehrmals nach seiner Uhr, aber vergebens. Zuletzt ließ er die Uhr, wie ein Pendel, an der Kette hin und her schwanken, um den zögernden Redner aufmerksam zu machen, der endlich, viel zu spät für unsere Wünsche, die Ceremonie schloß. Hier will ich einer andern religiösen Feier gedenken, die wenige Tage vor meiner Einsegnung bei unserem Nach- Sätze dadurch nicht eben verdeutlicht fanden. Einen gewaltigen Stoß erhielt Fritzens und meine Freiheitsliebe, als Lettow einmal mit dürren Worten aussprach: Wilhelm Tell sei „ein ganz gemeiner Mörder“ gewesen! Es war noch gar nicht so lange her, daß wir beide, und obendrein auch meine Schwester, uns bereit erklärt hatten, den Abschaum der Menschheit, Napoléon I., zu ermorden. Nachdem zuletzt noch mit Mühe und Noth ein Glaubensbekenntniß ausgearbeitet war, nahmen die Stunden ein Ende, und die Einsegnung erfolgte in unserem Hause vor einer großen dazu eingeladenen Gesellschaft. Auch dieser feierliche Akt hinterließ wegen einiger Nebenumstände einen keineswegs erhebenden Eindruck. Vor allem war es mir unleidlich, als der Hauptheld des Tages dazusitzen, und mich in Dingen examiniren zu lassen, die sich meiner Meinung nach von selbst verstanden. Dann beharrte mein Vater darauf, daß ich in kurzen Beinkleidern von Nanking und in weißseidnen Strümpfen erscheinen mußte, ein Anzug, der mir wegen meiner dünnen Waden vorzüglich verhaßt war. Mein Vater saß mit Frau von der Recke in der ersten Reihe der zahlreichen Zuschauer, und hörte anfangs mit großer Geduld Lettows langsamer und langweiliger Peroration zu. Als die trivialen Sätze gar kein Ende nehmen wollten, und die Essenszeit heranrückte, sah mein Vater mehrmals nach seiner Uhr, aber vergebens. Zuletzt ließ er die Uhr, wie ein Pendel, an der Kette hin und her schwanken, um den zögernden Redner aufmerksam zu machen, der endlich, viel zu spät für unsere Wünsche, die Ceremonie schloß. Hier will ich einer andern religiösen Feier gedenken, die wenige Tage vor meiner Einsegnung bei unserem Nach- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0179" n="171"/> Sätze dadurch nicht eben verdeutlicht fanden. Einen gewaltigen Stoß erhielt Fritzens und meine Freiheitsliebe, als Lettow einmal mit dürren Worten aussprach: Wilhelm Tell sei „ein ganz gemeiner Mörder“ gewesen! 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Mein Vater saß mit Frau von der Recke in der ersten Reihe der zahlreichen Zuschauer, und hörte anfangs mit großer Geduld Lettows langsamer und langweiliger Peroration zu. Als die trivialen Sätze gar kein Ende nehmen wollten, und die Essenszeit heranrückte, sah mein Vater mehrmals nach seiner Uhr, aber vergebens. Zuletzt ließ er die Uhr, wie ein Pendel, an der Kette hin und her schwanken, um den zögernden Redner aufmerksam zu machen, der endlich, viel zu spät für unsere Wünsche, die Ceremonie schloß. </p><lb/> <p>Hier will ich einer andern religiösen Feier gedenken, die wenige Tage vor meiner Einsegnung bei unserem Nach- </p> </div> </body> </text> </TEI> [171/0179]
Sätze dadurch nicht eben verdeutlicht fanden. Einen gewaltigen Stoß erhielt Fritzens und meine Freiheitsliebe, als Lettow einmal mit dürren Worten aussprach: Wilhelm Tell sei „ein ganz gemeiner Mörder“ gewesen! Es war noch gar nicht so lange her, daß wir beide, und obendrein auch meine Schwester, uns bereit erklärt hatten, den Abschaum der Menschheit, Napoléon I., zu ermorden.
Nachdem zuletzt noch mit Mühe und Noth ein Glaubensbekenntniß ausgearbeitet war, nahmen die Stunden ein Ende, und die Einsegnung erfolgte in unserem Hause vor einer großen dazu eingeladenen Gesellschaft. Auch dieser feierliche Akt hinterließ wegen einiger Nebenumstände einen keineswegs erhebenden Eindruck. Vor allem war es mir unleidlich, als der Hauptheld des Tages dazusitzen, und mich in Dingen examiniren zu lassen, die sich meiner Meinung nach von selbst verstanden. Dann beharrte mein Vater darauf, daß ich in kurzen Beinkleidern von Nanking und in weißseidnen Strümpfen erscheinen mußte, ein Anzug, der mir wegen meiner dünnen Waden vorzüglich verhaßt war. Mein Vater saß mit Frau von der Recke in der ersten Reihe der zahlreichen Zuschauer, und hörte anfangs mit großer Geduld Lettows langsamer und langweiliger Peroration zu. Als die trivialen Sätze gar kein Ende nehmen wollten, und die Essenszeit heranrückte, sah mein Vater mehrmals nach seiner Uhr, aber vergebens. Zuletzt ließ er die Uhr, wie ein Pendel, an der Kette hin und her schwanken, um den zögernden Redner aufmerksam zu machen, der endlich, viel zu spät für unsere Wünsche, die Ceremonie schloß.
Hier will ich einer andern religiösen Feier gedenken, die wenige Tage vor meiner Einsegnung bei unserem Nach-
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