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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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heitern Himmelslüfte aufwächst. Das freie Umherspazieren vor und in der Universität, das leichte Aneinanderschließen der Kommilitonen in den Kollegien, das ungehinderte Hospitiren bei einem und dem andern berühmten Professor, und vor allem die herrliche jugendliche Aussicht auf alles das, was man nun selbst lernen und leisten wolle, gaben dem Geiste eine freudige Spannkraft. Zudem stand in den bürgerlichen Verhältnissen ein Student um viele Stufen höher als ein Gymnasiast. Die Lage der Universität mitten im schönsten und belebtesten Theile der Stadt hatte etwas vornehmes gegen das alte düstre Gymnasialgebäude in der Klosterstraße. Wohl erinnre ich mich der gehobenen Empfindung, als der Rector Marheineke mich zum ersten Male "Herr Parthey" nannte, und als Fr. A. Wolf sein Kollegium mit der Anrede "Hochgeehrte Herren" begann.

Im Gegensatze zu diesen Erhöhungen des Ehrgefühls schien man sich als Pionir um viele Stufen hinabgestiegen zu sein. Zwar war die Behandlung keineswegs ungehörig, aber die eiserne Disciplin des Kommandos dünkte uns fast noch schroffer als der Gymnasialzwang. Die erste Gardepionirkompagnie befehligte damals der Hauptmann Snethlage, ein durchaus humaner und liebenswürdiger Mann; unter ihm standen die beiden Lieutenants Graf Bethusy und Dittmann, die sich mit den Freiwilligen in das beste Vernehmen zu setzen wußten. Trotzdem konnten wir uns anfangs in die straffe militärische Zucht gar nicht recht finden. Hauptsächlich jedoch erzürnten wir uns über die grausame Zeitverschwendung, die uns nach den angestrengten Vorarbeiten zum Abitiuientenexamen ganz unerträglich vorkam. Während wir im letzten Gymnasial-Semester jede freie Viertelstunde benutzt hatten, um im griechischen und

heitern Himmelslüfte aufwächst. Das freie Umherspazieren vor und in der Universität, das leichte Aneinanderschließen der Kommilitonen in den Kollegien, das ungehinderte Hospitiren bei einem und dem andern berühmten Professor, und vor allem die herrliche jugendliche Aussicht auf alles das, was man nun selbst lernen und leisten wolle, gaben dem Geiste eine freudige Spannkraft. Zudem stand in den bürgerlichen Verhältnissen ein Student um viele Stufen höher als ein Gymnasiast. Die Lage der Universität mitten im schönsten und belebtesten Theile der Stadt hatte etwas vornehmes gegen das alte düstre Gymnasialgebäude in der Klosterstraße. Wohl erinnre ich mich der gehobenen Empfindung, als der Rector Marheineke mich zum ersten Male „Herr Parthey“ nannte, und als Fr. A. Wolf sein Kollegium mit der Anrede „Hochgeehrte Herren“ begann.

Im Gegensatze zu diesen Erhöhungen des Ehrgefühls schien man sich als Pionir um viele Stufen hinabgestiegen zu sein. Zwar war die Behandlung keineswegs ungehörig, aber die eiserne Disciplin des Kommandos dünkte uns fast noch schroffer als der Gymnasialzwang. Die erste Gardepionirkompagnie befehligte damals der Hauptmann Snethlage, ein durchaus humaner und liebenswürdiger Mann; unter ihm standen die beiden Lieutenants Graf Bethusy und Dittmann, die sich mit den Freiwilligen in das beste Vernehmen zu setzen wußten. Trotzdem konnten wir uns anfangs in die straffe militärische Zucht gar nicht recht finden. Hauptsächlich jedoch erzürnten wir uns über die grausame Zeitverschwendung, die uns nach den angestrengten Vorarbeiten zum Abitiuientenexamen ganz unerträglich vorkam. Während wir im letzten Gymnasial-Semester jede freie Viertelstunde benutzt hatten, um im griechischen und

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[214/0222] heitern Himmelslüfte aufwächst. Das freie Umherspazieren vor und in der Universität, das leichte Aneinanderschließen der Kommilitonen in den Kollegien, das ungehinderte Hospitiren bei einem und dem andern berühmten Professor, und vor allem die herrliche jugendliche Aussicht auf alles das, was man nun selbst lernen und leisten wolle, gaben dem Geiste eine freudige Spannkraft. Zudem stand in den bürgerlichen Verhältnissen ein Student um viele Stufen höher als ein Gymnasiast. Die Lage der Universität mitten im schönsten und belebtesten Theile der Stadt hatte etwas vornehmes gegen das alte düstre Gymnasialgebäude in der Klosterstraße. Wohl erinnre ich mich der gehobenen Empfindung, als der Rector Marheineke mich zum ersten Male „Herr Parthey“ nannte, und als Fr. A. Wolf sein Kollegium mit der Anrede „Hochgeehrte Herren“ begann. Im Gegensatze zu diesen Erhöhungen des Ehrgefühls schien man sich als Pionir um viele Stufen hinabgestiegen zu sein. Zwar war die Behandlung keineswegs ungehörig, aber die eiserne Disciplin des Kommandos dünkte uns fast noch schroffer als der Gymnasialzwang. Die erste Gardepionirkompagnie befehligte damals der Hauptmann Snethlage, ein durchaus humaner und liebenswürdiger Mann; unter ihm standen die beiden Lieutenants Graf Bethusy und Dittmann, die sich mit den Freiwilligen in das beste Vernehmen zu setzen wußten. Trotzdem konnten wir uns anfangs in die straffe militärische Zucht gar nicht recht finden. Hauptsächlich jedoch erzürnten wir uns über die grausame Zeitverschwendung, die uns nach den angestrengten Vorarbeiten zum Abitiuientenexamen ganz unerträglich vorkam. Während wir im letzten Gymnasial-Semester jede freie Viertelstunde benutzt hatten, um im griechischen und

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/222>, abgerufen am 19.05.2024.