Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Den Posten eines Quästors der Universität bekleidete ein Baron von Medem, der so wenig mit geistigen Gaben gesegnet war, daß er ohne die Hülfe seines erfahrenen Sekretäres in den ziemlich einfachen Geldgeschäften sich kaum zurechtfinden konnte.

Als Wolf nun einmal über irgend eine Einrichtung, die ihm verkehrt dünkte, übler Laune war, so fragte er: was man denn von einer Universität wie die Berliner, halten dürfe, die von ouden und meden verwaltet werde?

Böckh war als Wolfs bedeutendster Schüler im Jahre 1817 nach Berlin berufen worden, stand mithin erst am Anfange seiner langen akademischen Lehrthätigkeit. Die Studenten wußten noch nicht viel von ihm. Ich entsinne mich eines Gespräches mit Röstell, der als Jurist auch philologische Kollegia hörte. Als wir uns am Schlusse des ersten Semesters beriethen, was nun zu thun sei, schlug er vor, die alte Litteraturgeschichte bei Böckh zu hören, "denn das soll ein höllisch gelehrter Kerl sein." Röstell konnte es aber nicht lassen, ihm gleich eins anzuhängen. Er wollte wissen, Böckh habe in Heidelberg einem so unmäßigen, Tag und Nacht fortgesetzten Studiren sich ergeben, daß er endlich in eine Schlafsucht verfallen, die beinahe 6 Wochen angehalten. Ohne diese Selbsthülfe der Natur würde er wahrscheinlich darauf gegangen sein. Er solle seit jener Zeit etwas schläfriges in seinem Vortrage behalten haben. Darauf wollte er heirathen, wählte aber unglücklicher Weise ein Frauenzimmer, das ihn nicht ausstehn konnte. Ein andrer wäre wohl, sobald er dies bemerkt hätte, zurückgetreten, allein Böckh, der ein besonderes Vergnügen daran fand, die allerschwierigsten Stellen der Klassiker zu erklären, hatte seinen Kopf darauf gesetzt,

Den Posten eines Quästors der Universität bekleidete ein Baron von Medem, der so wenig mit geistigen Gaben gesegnet war, daß er ohne die Hülfe seines erfahrenen Sekretäres in den ziemlich einfachen Geldgeschäften sich kaum zurechtfinden konnte.

Als Wolf nun einmal über irgend eine Einrichtung, die ihm verkehrt dünkte, übler Laune war, so fragte er: was man denn von einer Universität wie die Berliner, halten dürfe, die von οὐδὲν und μηδὲν verwaltet werde?

Böckh war als Wolfs bedeutendster Schüler im Jahre 1817 nach Berlin berufen worden, stand mithin erst am Anfange seiner langen akademischen Lehrthätigkeit. Die Studenten wußten noch nicht viel von ihm. Ich entsinne mich eines Gespräches mit Röstell, der als Jurist auch philologische Kollegia hörte. Als wir uns am Schlusse des ersten Semesters beriethen, was nun zu thun sei, schlug er vor, die alte Litteraturgeschichte bei Böckh zu hören, „denn das soll ein höllisch gelehrter Kerl sein.“ Röstell konnte es aber nicht lassen, ihm gleich eins anzuhängen. Er wollte wissen, Böckh habe in Heidelberg einem so unmäßigen, Tag und Nacht fortgesetzten Studiren sich ergeben, daß er endlich in eine Schlafsucht verfallen, die beinahe 6 Wochen angehalten. Ohne diese Selbsthülfe der Natur würde er wahrscheinlich darauf gegangen sein. Er solle seit jener Zeit etwas schläfriges in seinem Vortrage behalten haben. Darauf wollte er heirathen, wählte aber unglücklicher Weise ein Frauenzimmer, das ihn nicht ausstehn konnte. Ein andrer wäre wohl, sobald er dies bemerkt hätte, zurückgetreten, allein Böckh, der ein besonderes Vergnügen daran fand, die allerschwierigsten Stellen der Klassiker zu erklären, hatte seinen Kopf darauf gesetzt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0229" n="221"/>
        </p><lb/>
        <p>Den Posten eines Quästors der Universität bekleidete ein Baron von Medem, der so wenig mit geistigen Gaben gesegnet war, daß er ohne die Hülfe seines erfahrenen Sekretäres in den ziemlich einfachen Geldgeschäften sich kaum zurechtfinden konnte. </p><lb/>
        <p>Als Wolf nun einmal über irgend eine Einrichtung, die ihm verkehrt dünkte, übler Laune war, so fragte er: was man denn von einer Universität wie die Berliner, halten dürfe, die von &#x03BF;&#x1F50;&#x03B4;&#x1F72;&#x03BD; und &#x03BC;&#x03B7;&#x03B4;&#x1F72;&#x03BD; verwaltet werde? </p><lb/>
        <p>Böckh war als Wolfs bedeutendster Schüler im Jahre 1817 nach Berlin berufen worden, stand mithin erst am Anfange seiner langen akademischen Lehrthätigkeit. Die Studenten wußten noch nicht viel von ihm. Ich entsinne mich eines Gespräches mit Röstell, der als Jurist auch philologische Kollegia hörte. Als wir uns am Schlusse des ersten Semesters beriethen, was nun zu thun sei, schlug er vor, die alte Litteraturgeschichte bei Böckh zu hören, &#x201E;denn das soll ein höllisch gelehrter Kerl sein.&#x201C; Röstell konnte es aber nicht lassen, ihm gleich eins anzuhängen. Er wollte wissen, Böckh habe in Heidelberg einem so unmäßigen, Tag und Nacht fortgesetzten Studiren sich ergeben, daß er endlich in eine Schlafsucht verfallen, die beinahe 6 Wochen angehalten. Ohne diese Selbsthülfe der Natur würde er wahrscheinlich darauf gegangen sein. Er solle seit jener Zeit etwas schläfriges in seinem Vortrage behalten haben. Darauf wollte er heirathen, wählte aber unglücklicher Weise ein Frauenzimmer, das ihn nicht ausstehn konnte. Ein andrer wäre wohl, sobald er dies bemerkt hätte, zurückgetreten, allein Böckh, der ein besonderes Vergnügen daran fand, die allerschwierigsten Stellen der Klassiker zu erklären, hatte seinen Kopf darauf gesetzt,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0229] Den Posten eines Quästors der Universität bekleidete ein Baron von Medem, der so wenig mit geistigen Gaben gesegnet war, daß er ohne die Hülfe seines erfahrenen Sekretäres in den ziemlich einfachen Geldgeschäften sich kaum zurechtfinden konnte. Als Wolf nun einmal über irgend eine Einrichtung, die ihm verkehrt dünkte, übler Laune war, so fragte er: was man denn von einer Universität wie die Berliner, halten dürfe, die von οὐδὲν und μηδὲν verwaltet werde? Böckh war als Wolfs bedeutendster Schüler im Jahre 1817 nach Berlin berufen worden, stand mithin erst am Anfange seiner langen akademischen Lehrthätigkeit. Die Studenten wußten noch nicht viel von ihm. Ich entsinne mich eines Gespräches mit Röstell, der als Jurist auch philologische Kollegia hörte. Als wir uns am Schlusse des ersten Semesters beriethen, was nun zu thun sei, schlug er vor, die alte Litteraturgeschichte bei Böckh zu hören, „denn das soll ein höllisch gelehrter Kerl sein.“ Röstell konnte es aber nicht lassen, ihm gleich eins anzuhängen. Er wollte wissen, Böckh habe in Heidelberg einem so unmäßigen, Tag und Nacht fortgesetzten Studiren sich ergeben, daß er endlich in eine Schlafsucht verfallen, die beinahe 6 Wochen angehalten. Ohne diese Selbsthülfe der Natur würde er wahrscheinlich darauf gegangen sein. Er solle seit jener Zeit etwas schläfriges in seinem Vortrage behalten haben. Darauf wollte er heirathen, wählte aber unglücklicher Weise ein Frauenzimmer, das ihn nicht ausstehn konnte. Ein andrer wäre wohl, sobald er dies bemerkt hätte, zurückgetreten, allein Böckh, der ein besonderes Vergnügen daran fand, die allerschwierigsten Stellen der Klassiker zu erklären, hatte seinen Kopf darauf gesetzt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/229
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/229>, abgerufen am 24.11.2024.