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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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Frau von der Recke als seine Vormünderin für alles sorgte. Den Bücherschrank in seiner Stube durchmusterte ich manchmal in der Hoffnung, neues darin zu finden: allein die Unvollständigkeit der meisten Werke setzte mich in Betrübniß. Er hatte die einzelnen Bände verliehen, ohne zu wissen an wen, und erwartete treuherzig aber vergeblich die Rückgabe. Mit unbedachter Freigebigkeit verschenkte er Wäsche und Kleider an irgend einen Bittenden, der sich Zutritt zu ihm zu verschaffen wußte. Junge Litteraten erhielten sehr häufig Exemplare der Urania, an denen der Verleger Eberhard in Halle es nie fehlen ließ. Tiedge war völlig außer Stande, jemandem eine Bitte abzuschlagen, war sich auch dieser Unfähigkeit selbst sehr wohl bewußt. Hievon hatte ich Gelegenheit, mich in späteren Jahren zu überzeugen, als ich ihn einmal in Dresden besuchte.

Herr von Rosenzweig, sächsischer Legationssekretär und Tiedges allerwärmster Verehrer, verfaßte eine deutsche Uebersetzung von Thomsons Jahreszeiten in kaum lesbaren Hexametern, und ließ sie auf seine Kosten drucken. Drei Exemplare wurden auf Pergament abgezogen: ein Dedikationsexemplar für die russische Kaiserin, das zweite für den Verfasser, das dritte für Tiedge. Die Herstellungskosten eines jeden mochten sich auf 50 bis 60 Thaler belaufen. Als ich den zierlichen Oktavband in rothem Saffian auf Tiedges Tische liegen sah und genauer untersuchte, gerieth ich in ein Entzücken, dessen nur Bibliophilen beim Anblicke einer solchen Seltenheit fähig sind, und konnte nicht genug Worte des Lobes finden. "Ich schenke Ihnen das Buch", sagte Tiedge plötzlich, "denn ich kann es nicht brauchen und lese es nicht." Daß ich anfangs gegen eine

Frau von der Recke als seine Vormünderin für alles sorgte. Den Bücherschrank in seiner Stube durchmusterte ich manchmal in der Hoffnung, neues darin zu finden: allein die Unvollständigkeit der meisten Werke setzte mich in Betrübniß. Er hatte die einzelnen Bände verliehen, ohne zu wissen an wen, und erwartete treuherzig aber vergeblich die Rückgabe. Mit unbedachter Freigebigkeit verschenkte er Wäsche und Kleider an irgend einen Bittenden, der sich Zutritt zu ihm zu verschaffen wußte. Junge Litteraten erhielten sehr häufig Exemplare der Urania, an denen der Verleger Eberhard in Halle es nie fehlen ließ. Tiedge war völlig außer Stande, jemandem eine Bitte abzuschlagen, war sich auch dieser Unfähigkeit selbst sehr wohl bewußt. Hievon hatte ich Gelegenheit, mich in späteren Jahren zu überzeugen, als ich ihn einmal in Dresden besuchte.

Herr von Rosenzweig, sächsischer Legationssekretär und Tiedges allerwärmster Verehrer, verfaßte eine deutsche Uebersetzung von Thomsons Jahreszeiten in kaum lesbaren Hexametern, und ließ sie auf seine Kosten drucken. Drei Exemplare wurden auf Pergament abgezogen: ein Dedikationsexemplar für die russische Kaiserin, das zweite für den Verfasser, das dritte für Tiedge. Die Herstellungskosten eines jeden mochten sich auf 50 bis 60 Thaler belaufen. Als ich den zierlichen Oktavband in rothem Saffian auf Tiedges Tische liegen sah und genauer untersuchte, gerieth ich in ein Entzücken, dessen nur Bibliophilen beim Anblicke einer solchen Seltenheit fähig sind, und konnte nicht genug Worte des Lobes finden. „Ich schenke Ihnen das Buch“, sagte Tiedge plötzlich, „denn ich kann es nicht brauchen und lese es nicht.“ Daß ich anfangs gegen eine

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[19/0027] Frau von der Recke als seine Vormünderin für alles sorgte. Den Bücherschrank in seiner Stube durchmusterte ich manchmal in der Hoffnung, neues darin zu finden: allein die Unvollständigkeit der meisten Werke setzte mich in Betrübniß. Er hatte die einzelnen Bände verliehen, ohne zu wissen an wen, und erwartete treuherzig aber vergeblich die Rückgabe. Mit unbedachter Freigebigkeit verschenkte er Wäsche und Kleider an irgend einen Bittenden, der sich Zutritt zu ihm zu verschaffen wußte. Junge Litteraten erhielten sehr häufig Exemplare der Urania, an denen der Verleger Eberhard in Halle es nie fehlen ließ. Tiedge war völlig außer Stande, jemandem eine Bitte abzuschlagen, war sich auch dieser Unfähigkeit selbst sehr wohl bewußt. Hievon hatte ich Gelegenheit, mich in späteren Jahren zu überzeugen, als ich ihn einmal in Dresden besuchte. Herr von Rosenzweig, sächsischer Legationssekretär und Tiedges allerwärmster Verehrer, verfaßte eine deutsche Uebersetzung von Thomsons Jahreszeiten in kaum lesbaren Hexametern, und ließ sie auf seine Kosten drucken. Drei Exemplare wurden auf Pergament abgezogen: ein Dedikationsexemplar für die russische Kaiserin, das zweite für den Verfasser, das dritte für Tiedge. Die Herstellungskosten eines jeden mochten sich auf 50 bis 60 Thaler belaufen. Als ich den zierlichen Oktavband in rothem Saffian auf Tiedges Tische liegen sah und genauer untersuchte, gerieth ich in ein Entzücken, dessen nur Bibliophilen beim Anblicke einer solchen Seltenheit fähig sind, und konnte nicht genug Worte des Lobes finden. „Ich schenke Ihnen das Buch“, sagte Tiedge plötzlich, „denn ich kann es nicht brauchen und lese es nicht.“ Daß ich anfangs gegen eine

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/27>, abgerufen am 21.11.2024.