Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].vor mehreren Jahren ein Dieb durch ein Fenster bei Nacht eingestiegen sei, und aus den schweigenden, mit 1000 Gestalten bevölkerten halbdunkeln Hallen die kleine Magdalena von Correggio entwendet habe. Der Diebstahl ward bald entdeckt, die Polizei ergriff den allzu sorglosen Thäter, der nun viele Jahre auf dem Königstein in Haft blieb. Die große Menge der Bilder forderte von selbst zu einer Klassification auf. Wo so unendlich viel vorhanden war, und Meisterwerke aus fast allen Schulen sich darboten, da lernte man bald, auch dem minder guten neben dem allervortrefflichsten seinen richtigen Platz anweisen. Schon in Berlin hatte ich die damaligen kunsthistorischen Hülfsbücher zur Hand genommen, an denen es in des Grosvaters reicher Bibliothek nicht fehlte. De Piles, Bouterweck, Heineken waren hinreichend für den ersten Anlauf. Am liebsten besuchte ich die dresdner Gallerie in Kleins Gesellschaft; seine treffenden, geistreichen, oft barocken Urtheile prägten sich mir so scharf ein, daß sie mir noch jetzt vor manchen Bildern wieder einfallen. Die Sixtinische Madonna (damals noch mit umgeschlagenem obern Rande in einem ziemlich dunkeln Winkel hängend) war Kleins Ideal, für das er nicht genug Worte der Bewunderung finden konnte: eine so unergründliche Tiefe des Blickes könne nur die wahre Himmelskönigin besitzen, und die fast heroisch geschnittenen Augenbrauen des Christkindes gehörten weniger dem Mittler als dem Herrn der Welt. Daß Klein den jungen trinkenden Bacchus von Guido Reni einen Trichter nannte, lag sehr nahe; ich wunderte mich daher gar nicht, denselben Ausdruck später bei Herrn von Quandt wiederzufinden. Auf der Nacht von vor mehreren Jahren ein Dieb durch ein Fenster bei Nacht eingestiegen sei, und aus den schweigenden, mit 1000 Gestalten bevölkerten halbdunkeln Hallen die kleine Magdalena von Correggio entwendet habe. Der Diebstahl ward bald entdeckt, die Polizei ergriff den allzu sorglosen Thäter, der nun viele Jahre auf dem Königstein in Haft blieb. Die große Menge der Bilder forderte von selbst zu einer Klassification auf. Wo so unendlich viel vorhanden war, und Meisterwerke aus fast allen Schulen sich darboten, da lernte man bald, auch dem minder guten neben dem allervortrefflichsten seinen richtigen Platz anweisen. Schon in Berlin hatte ich die damaligen kunsthistorischen Hülfsbücher zur Hand genommen, an denen es in des Grosvaters reicher Bibliothek nicht fehlte. De Piles, Bouterweck, Heineken waren hinreichend für den ersten Anlauf. Am liebsten besuchte ich die dresdner Gallerie in Kleins Gesellschaft; seine treffenden, geistreichen, oft barocken Urtheile prägten sich mir so scharf ein, daß sie mir noch jetzt vor manchen Bildern wieder einfallen. Die Sixtinische Madonna (damals noch mit umgeschlagenem obern Rande in einem ziemlich dunkeln Winkel hängend) war Kleins Ideal, für das er nicht genug Worte der Bewunderung finden konnte: eine so unergründliche Tiefe des Blickes könne nur die wahre Himmelskönigin besitzen, und die fast heroisch geschnittenen Augenbrauen des Christkindes gehörten weniger dem Mittler als dem Herrn der Welt. Daß Klein den jungen trinkenden Bacchus von Guido Reni einen Trichter nannte, lag sehr nahe; ich wunderte mich daher gar nicht, denselben Ausdruck später bei Herrn von Quandt wiederzufinden. 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vor mehreren Jahren ein Dieb durch ein Fenster bei Nacht eingestiegen sei, und aus den schweigenden, mit 1000 Gestalten bevölkerten halbdunkeln Hallen die kleine Magdalena von Correggio entwendet habe. Der Diebstahl ward bald entdeckt, die Polizei ergriff den allzu sorglosen Thäter, der nun viele Jahre auf dem Königstein in Haft blieb.
Die große Menge der Bilder forderte von selbst zu einer Klassification auf. Wo so unendlich viel vorhanden war, und Meisterwerke aus fast allen Schulen sich darboten, da lernte man bald, auch dem minder guten neben dem allervortrefflichsten seinen richtigen Platz anweisen. Schon in Berlin hatte ich die damaligen kunsthistorischen Hülfsbücher zur Hand genommen, an denen es in des Grosvaters reicher Bibliothek nicht fehlte. De Piles, Bouterweck, Heineken waren hinreichend für den ersten Anlauf.
Am liebsten besuchte ich die dresdner Gallerie in Kleins Gesellschaft; seine treffenden, geistreichen, oft barocken Urtheile prägten sich mir so scharf ein, daß sie mir noch jetzt vor manchen Bildern wieder einfallen. Die Sixtinische Madonna (damals noch mit umgeschlagenem obern Rande in einem ziemlich dunkeln Winkel hängend) war Kleins Ideal, für das er nicht genug Worte der Bewunderung finden konnte: eine so unergründliche Tiefe des Blickes könne nur die wahre Himmelskönigin besitzen, und die fast heroisch geschnittenen Augenbrauen des Christkindes gehörten weniger dem Mittler als dem Herrn der Welt. Daß Klein den jungen trinkenden Bacchus von Guido Reni einen Trichter nannte, lag sehr nahe; ich wunderte mich daher gar nicht, denselben Ausdruck später bei Herrn von Quandt wiederzufinden. Auf der Nacht von
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