Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Meister, oft mit Thibaut darüber vergebens unterhandelt; dieser blieb bei seiner vorgefaßten Meinung, daß ein irgend beschleunigtes Tempo die Würde der frommen Musik beeinträchtige. Ein andrer Uebelstand war der, daß Thibaut vom Generalbaß und Kontrapunkt nur wenig verstand; es fehlte ihm daher die technische Kenntniß, um die rhythmische Gliederung der Musikstücke zur gehörigen Geltung zu bringen. Er begnügte sich durch Abwechslung von Piano und Forte den schleppenden Vortrag etwas zu beleben, wobei er, wie uns scheinen wollte, nicht immer von einem ganz richtigen Gefühle geleitet ward. Trotz dieser Mängel hat Thibauts glühende Begeisterung für die alten klassischen Kirchenkompositionen unendlich viel zu ihrer Verbreitung und Kenntniß beigetragen. Alle die seinen Musikabenden beigewohnt, werden derselben mit dankbarer Freude gedenken. Wenige Wochen nach der Ankunft in Heidelberg ward ich von einem Unwohlsein befallen, das mich anfangs sehr erschreckte, aber für mein ganzes übriges Leben von den wohlthätigsten Folgen gewesen ist. Das veränderte Klima, die scharfe Luft des Neckarthales, das ungewohnte Bergsteigen, vielleicht auch das allzu ämsige Arbeiten an der Uebersetzung des Millin, erregten mir Kongestionen nach der Brust, die sich durch Blutspucken äußerten. Ich suchte sogleich die ärztliche Hülfe des dicht neben uns wohnenden Hofrath Nägele. Er nahm sich meiner mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt an, entfernte durch einen Aderlaß die nächste Gefahr, und rieth mir vor allen Dingen zur Vorsicht. Sein Meister, oft mit Thibaut darüber vergebens unterhandelt; dieser blieb bei seiner vorgefaßten Meinung, daß ein irgend beschleunigtes Tempo die Würde der frommen Musik beeinträchtige. Ein andrer Uebelstand war der, daß Thibaut vom Generalbaß und Kontrapunkt nur wenig verstand; es fehlte ihm daher die technische Kenntniß, um die rhythmische Gliederung der Musikstücke zur gehörigen Geltung zu bringen. Er begnügte sich durch Abwechslung von Piano und Forte den schleppenden Vortrag etwas zu beleben, wobei er, wie uns scheinen wollte, nicht immer von einem ganz richtigen Gefühle geleitet ward. Trotz dieser Mängel hat Thibauts glühende Begeisterung für die alten klassischen Kirchenkompositionen unendlich viel zu ihrer Verbreitung und Kenntniß beigetragen. Alle die seinen Musikabenden beigewohnt, werden derselben mit dankbarer Freude gedenken. Wenige Wochen nach der Ankunft in Heidelberg ward ich von einem Unwohlsein befallen, das mich anfangs sehr erschreckte, aber für mein ganzes übriges Leben von den wohlthätigsten Folgen gewesen ist. Das veränderte Klima, die scharfe Luft des Neckarthales, das ungewohnte Bergsteigen, vielleicht auch das allzu ämsige Arbeiten an der Uebersetzung des Millin, erregten mir Kongestionen nach der Brust, die sich durch Blutspucken äußerten. Ich suchte sogleich die ärztliche Hülfe des dicht neben uns wohnenden Hofrath Nägele. Er nahm sich meiner mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt an, entfernte durch einen Aderlaß die nächste Gefahr, und rieth mir vor allen Dingen zur Vorsicht. Sein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0326" n="318"/> Meister, oft mit Thibaut darüber vergebens unterhandelt; dieser blieb bei seiner vorgefaßten Meinung, daß ein irgend beschleunigtes Tempo die Würde der frommen Musik beeinträchtige. </p><lb/> <p>Ein andrer Uebelstand war der, daß Thibaut vom Generalbaß und Kontrapunkt nur wenig verstand; es fehlte ihm daher die technische Kenntniß, um die rhythmische Gliederung der Musikstücke zur gehörigen Geltung zu bringen. Er begnügte sich durch Abwechslung von Piano und Forte den schleppenden Vortrag etwas zu beleben, wobei er, wie uns scheinen wollte, nicht immer von einem ganz richtigen Gefühle geleitet ward. </p><lb/> <p>Trotz dieser Mängel hat Thibauts glühende Begeisterung für die alten klassischen Kirchenkompositionen unendlich viel zu ihrer Verbreitung und Kenntniß beigetragen. Alle die seinen Musikabenden beigewohnt, werden derselben mit dankbarer Freude gedenken. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wenige Wochen nach der Ankunft in Heidelberg ward ich von einem Unwohlsein befallen, das mich anfangs sehr erschreckte, aber für mein ganzes übriges Leben von den wohlthätigsten Folgen gewesen ist. Das veränderte Klima, die scharfe Luft des Neckarthales, das ungewohnte Bergsteigen, vielleicht auch das allzu ämsige Arbeiten an der Uebersetzung des Millin, erregten mir Kongestionen nach der Brust, die sich durch Blutspucken äußerten. Ich suchte sogleich die ärztliche Hülfe des dicht neben uns wohnenden Hofrath Nägele. Er nahm sich meiner mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt an, entfernte durch einen Aderlaß die nächste Gefahr, und rieth mir vor allen Dingen zur Vorsicht. Sein </p> </div> </body> </text> </TEI> [318/0326]
Meister, oft mit Thibaut darüber vergebens unterhandelt; dieser blieb bei seiner vorgefaßten Meinung, daß ein irgend beschleunigtes Tempo die Würde der frommen Musik beeinträchtige.
Ein andrer Uebelstand war der, daß Thibaut vom Generalbaß und Kontrapunkt nur wenig verstand; es fehlte ihm daher die technische Kenntniß, um die rhythmische Gliederung der Musikstücke zur gehörigen Geltung zu bringen. Er begnügte sich durch Abwechslung von Piano und Forte den schleppenden Vortrag etwas zu beleben, wobei er, wie uns scheinen wollte, nicht immer von einem ganz richtigen Gefühle geleitet ward.
Trotz dieser Mängel hat Thibauts glühende Begeisterung für die alten klassischen Kirchenkompositionen unendlich viel zu ihrer Verbreitung und Kenntniß beigetragen. Alle die seinen Musikabenden beigewohnt, werden derselben mit dankbarer Freude gedenken.
Wenige Wochen nach der Ankunft in Heidelberg ward ich von einem Unwohlsein befallen, das mich anfangs sehr erschreckte, aber für mein ganzes übriges Leben von den wohlthätigsten Folgen gewesen ist. Das veränderte Klima, die scharfe Luft des Neckarthales, das ungewohnte Bergsteigen, vielleicht auch das allzu ämsige Arbeiten an der Uebersetzung des Millin, erregten mir Kongestionen nach der Brust, die sich durch Blutspucken äußerten. Ich suchte sogleich die ärztliche Hülfe des dicht neben uns wohnenden Hofrath Nägele. Er nahm sich meiner mit wahrhaft väterlicher Sorgfalt an, entfernte durch einen Aderlaß die nächste Gefahr, und rieth mir vor allen Dingen zur Vorsicht. Sein
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