Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Sie recht vorsichtig, sagte er, recht philiströs vorsichtig, und lassen Sie sich von Ihren edlen Kommilitonen auslachen, wenn sie keinen Wein trinken; Sie werden finden, daß Sie dabei nicht zu kurz kommen! Diesem Rathe bin ich mein ganzes Leben hindurch gefolgt, und habe es nie zu bereuen gehabt. Anfangs freilich nahte sich in schlaflosen Nächten die schwarze Sorge, und die zudringlichen trüben Gedanken waren nicht so leicht zu verscheuchen, aber am nächsten Morgen genügte ein Blick auf den Heiligenberg, an dem der blaue Rauch der Schornsteine langsam hinanstieg, um mich wieder aufzurichten. Sehr schwer fiel es mir, die Theilnahme an den Thibautschen Singabenden nach Nägeles Rath aufzugeben. Zwar ward es mir vergönnt, als Zuhörer den musikalischen Versamlungen beizuwohnen, welche die Frau Professorin Kayser, gleichsam wetteifernd mit Thibaut veranstaltete; sobald jedoch im Frühjahr meine Gesundheit so weit hergestellt war, daß ich wieder mitsingen durfte, so kehrte ich mit erneuter Lust zu der früheren Vereinigung bei Thibaut zurück. Zum Unglücke hatten wir in diesem Jahre einen so überaus harten Winter, wie er lange nicht erlebt worden war. Der Neckar fror an mehreren Stellen zu, und trieb im Frühjahr eine Masse Eisschollen von oben herab, die mit donnerndem Krachen an den massiven Brückenpfeilern zerschellten. Einen pompöseren Eisgang hatten die Heidelberger seit vielen Jahren nicht gesehn. Vergebens tröstete Nägele in der rauhen Weihnachtszeit mit der Versicherung, daß im Februar die Mandelbäume blühten. Ich hielt diesen südlichen Baum wegen seiner Zartheit für den letzten, und glaubte, wenn der erscheine, so müsse schon alles andre Sie recht vorsichtig, sagte er, recht philiströs vorsichtig, und lassen Sie sich von Ihren edlen Kommilitonen auslachen, wenn sie keinen Wein trinken; Sie werden finden, daß Sie dabei nicht zu kurz kommen! Diesem Rathe bin ich mein ganzes Leben hindurch gefolgt, und habe es nie zu bereuen gehabt. Anfangs freilich nahte sich in schlaflosen Nächten die schwarze Sorge, und die zudringlichen trüben Gedanken waren nicht so leicht zu verscheuchen, aber am nächsten Morgen genügte ein Blick auf den Heiligenberg, an dem der blaue Rauch der Schornsteine langsam hinanstieg, um mich wieder aufzurichten. Sehr schwer fiel es mir, die Theilnahme an den Thibautschen Singabenden nach Nägeles Rath aufzugeben. Zwar ward es mir vergönnt, als Zuhörer den musikalischen Versamlungen beizuwohnen, welche die Frau Professorin Kayser, gleichsam wetteifernd mit Thibaut veranstaltete; sobald jedoch im Frühjahr meine Gesundheit so weit hergestellt war, daß ich wieder mitsingen durfte, so kehrte ich mit erneuter Lust zu der früheren Vereinigung bei Thibaut zurück. Zum Unglücke hatten wir in diesem Jahre einen so überaus harten Winter, wie er lange nicht erlebt worden war. Der Neckar fror an mehreren Stellen zu, und trieb im Frühjahr eine Masse Eisschollen von oben herab, die mit donnerndem Krachen an den massiven Brückenpfeilern zerschellten. Einen pompöseren Eisgang hatten die Heidelberger seit vielen Jahren nicht gesehn. Vergebens tröstete Nägele in der rauhen Weihnachtszeit mit der Versicherung, daß im Februar die Mandelbäume blühten. 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Zwar ward es mir vergönnt, als Zuhörer den musikalischen Versamlungen beizuwohnen, welche die Frau Professorin Kayser, gleichsam wetteifernd mit Thibaut veranstaltete; sobald jedoch im Frühjahr meine Gesundheit so weit hergestellt war, daß ich wieder mitsingen durfte, so kehrte ich mit erneuter Lust zu der früheren Vereinigung bei Thibaut zurück. </p><lb/> <p>Zum Unglücke hatten wir in diesem Jahre einen so überaus harten Winter, wie er lange nicht erlebt worden war. Der Neckar fror an mehreren Stellen zu, und trieb im Frühjahr eine Masse Eisschollen von oben herab, die mit donnerndem Krachen an den massiven Brückenpfeilern zerschellten. Einen pompöseren Eisgang hatten die Heidelberger seit vielen Jahren nicht gesehn. Vergebens tröstete Nägele in der rauhen Weihnachtszeit mit der Versicherung, daß im Februar die Mandelbäume blühten. Ich hielt diesen südlichen Baum wegen seiner Zartheit für den letzten, und glaubte, wenn der erscheine, so müsse schon alles andre </p> </div> </body> </text> </TEI> [319/0327]
Sie recht vorsichtig, sagte er, recht philiströs vorsichtig, und lassen Sie sich von Ihren edlen Kommilitonen auslachen, wenn sie keinen Wein trinken; Sie werden finden, daß Sie dabei nicht zu kurz kommen! Diesem Rathe bin ich mein ganzes Leben hindurch gefolgt, und habe es nie zu bereuen gehabt. Anfangs freilich nahte sich in schlaflosen Nächten die schwarze Sorge, und die zudringlichen trüben Gedanken waren nicht so leicht zu verscheuchen, aber am nächsten Morgen genügte ein Blick auf den Heiligenberg, an dem der blaue Rauch der Schornsteine langsam hinanstieg, um mich wieder aufzurichten.
Sehr schwer fiel es mir, die Theilnahme an den Thibautschen Singabenden nach Nägeles Rath aufzugeben. Zwar ward es mir vergönnt, als Zuhörer den musikalischen Versamlungen beizuwohnen, welche die Frau Professorin Kayser, gleichsam wetteifernd mit Thibaut veranstaltete; sobald jedoch im Frühjahr meine Gesundheit so weit hergestellt war, daß ich wieder mitsingen durfte, so kehrte ich mit erneuter Lust zu der früheren Vereinigung bei Thibaut zurück.
Zum Unglücke hatten wir in diesem Jahre einen so überaus harten Winter, wie er lange nicht erlebt worden war. Der Neckar fror an mehreren Stellen zu, und trieb im Frühjahr eine Masse Eisschollen von oben herab, die mit donnerndem Krachen an den massiven Brückenpfeilern zerschellten. Einen pompöseren Eisgang hatten die Heidelberger seit vielen Jahren nicht gesehn. Vergebens tröstete Nägele in der rauhen Weihnachtszeit mit der Versicherung, daß im Februar die Mandelbäume blühten. Ich hielt diesen südlichen Baum wegen seiner Zartheit für den letzten, und glaubte, wenn der erscheine, so müsse schon alles andre
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