Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].die anspruchslosen Leistungen mit Wohlwollen aufgenommen. More, ein Vetter aus dem Ueberrhein, wegen seines grünen Flausrockes "der grüne Vetter" genannt, brachte zuweilen eine Guitarre, womit er sich und die Mädchen begleitete. Zu den Bewohnern des Hauses gehörte auch ein Jurist aus Stralsund, Namens Päpke, der so viel in der Heppschen Familie verkehrte, daß wir bald bemerkten, er nehme ein ganz besonderes Interesse an Fräulein Julchen. Die Frau Schaffherin stellte, als wir näher bekannt wurden, nicht in Abrede, daß ihre Tochter verlobt sei, und daß Päpke, der damals schon 5 Jahre studirte, nur auf eine Anstellung in seiner Vaterstadt Stralsund warte, um sich öffentlich zu erklären. Wie das schöne, schlanke, geistvolle Mädchen dazu gekommen sei, sich mit einem nichts weniger als wohlgestalteten hinkenden Manne zu verloben, schien räthselhaft; aber Päpke besaß jene dämonische Gewalt des Blickes, die man bei häslichen Personen öfter findet, er war nicht ohne poetische Anlage, mäßig im urtheilen, und konnte, wenn er wollte, sehr liebenswürdig sein. Wir sahen uns oft am Heppschen Abendtische, ich hielt mich aber stets entfernt von ihm. Trotzdem hatte ich manchmal von seinem diabolischen Wesen zu leiden, das er am liebsten gegen harmlose Subjekte, und gegen solche, die nicht immer gegen ihn auf ihrer Hut waren, herauskehrte. Mein Unwohlsein machte mich kleinlaut und zuweilen ängstlich; ich erging mich nicht selten in misanthropischen Betrachtungen über die Verderbtheit der Welt, und in hypochondrischen Aeußerungen über die Unsicherheit des menschlichen Lebens, mit denen es im Grunde nicht Ernst war. Da sagte mir eines Abends Päpke, dessen schwächlicher Körper aller- die anspruchslosen Leistungen mit Wohlwollen aufgenommen. Moré, ein Vetter aus dem Ueberrhein, wegen seines grünen Flausrockes „der grüne Vetter“ genannt, brachte zuweilen eine Guitarre, womit er sich und die Mädchen begleitete. Zu den Bewohnern des Hauses gehörte auch ein Jurist aus Stralsund, Namens Päpke, der so viel in der Heppschen Familie verkehrte, daß wir bald bemerkten, er nehme ein ganz besonderes Interesse an Fräulein Julchen. Die Frau Schaffherin stellte, als wir näher bekannt wurden, nicht in Abrede, daß ihre Tochter verlobt sei, und daß Päpke, der damals schon 5 Jahre studirte, nur auf eine Anstellung in seiner Vaterstadt Stralsund warte, um sich öffentlich zu erklären. Wie das schöne, schlanke, geistvolle Mädchen dazu gekommen sei, sich mit einem nichts weniger als wohlgestalteten hinkenden Manne zu verloben, schien räthselhaft; aber Päpke besaß jene dämonische Gewalt des Blickes, die man bei häslichen Personen öfter findet, er war nicht ohne poetische Anlage, mäßig im urtheilen, und konnte, wenn er wollte, sehr liebenswürdig sein. Wir sahen uns oft am Heppschen Abendtische, ich hielt mich aber stets entfernt von ihm. Trotzdem hatte ich manchmal von seinem diabolischen Wesen zu leiden, das er am liebsten gegen harmlose Subjekte, und gegen solche, die nicht immer gegen ihn auf ihrer Hut waren, herauskehrte. Mein Unwohlsein machte mich kleinlaut und zuweilen ängstlich; ich erging mich nicht selten in misanthropischen Betrachtungen über die Verderbtheit der Welt, und in hypochondrischen Aeußerungen über die Unsicherheit des menschlichen Lebens, mit denen es im Grunde nicht Ernst war. Da sagte mir eines Abends Päpke, dessen schwächlicher Körper aller- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0330" n="322"/> die anspruchslosen Leistungen mit Wohlwollen aufgenommen. Moré, ein Vetter aus dem Ueberrhein, wegen seines grünen Flausrockes „der grüne Vetter“ genannt, brachte zuweilen eine Guitarre, womit er sich und die Mädchen begleitete. Zu den Bewohnern des Hauses gehörte auch ein Jurist aus Stralsund, Namens Päpke, der so viel in der Heppschen Familie verkehrte, daß wir bald bemerkten, er nehme ein ganz besonderes Interesse an Fräulein Julchen. Die Frau Schaffherin stellte, als wir näher bekannt wurden, nicht in Abrede, daß ihre Tochter verlobt sei, und daß Päpke, der damals schon 5 Jahre studirte, nur auf eine Anstellung in seiner Vaterstadt Stralsund warte, um sich öffentlich zu erklären. Wie das schöne, schlanke, geistvolle Mädchen dazu gekommen sei, sich mit einem nichts weniger als wohlgestalteten hinkenden Manne zu verloben, schien räthselhaft; aber Päpke besaß jene dämonische Gewalt des Blickes, die man bei häslichen Personen öfter findet, er war nicht ohne poetische Anlage, mäßig im urtheilen, und konnte, wenn er wollte, sehr liebenswürdig sein. Wir sahen uns oft am Heppschen Abendtische, ich hielt mich aber stets entfernt von ihm. Trotzdem hatte ich manchmal von seinem diabolischen Wesen zu leiden, das er am liebsten gegen harmlose Subjekte, und gegen solche, die nicht immer gegen ihn auf ihrer Hut waren, herauskehrte. Mein Unwohlsein machte mich kleinlaut und zuweilen ängstlich; ich erging mich nicht selten in misanthropischen Betrachtungen über die Verderbtheit der Welt, und in hypochondrischen Aeußerungen über die Unsicherheit des menschlichen Lebens, mit denen es im Grunde nicht Ernst war. Da sagte mir eines Abends Päpke, dessen schwächlicher Körper aller- </p> </div> </body> </text> </TEI> [322/0330]
die anspruchslosen Leistungen mit Wohlwollen aufgenommen. Moré, ein Vetter aus dem Ueberrhein, wegen seines grünen Flausrockes „der grüne Vetter“ genannt, brachte zuweilen eine Guitarre, womit er sich und die Mädchen begleitete. Zu den Bewohnern des Hauses gehörte auch ein Jurist aus Stralsund, Namens Päpke, der so viel in der Heppschen Familie verkehrte, daß wir bald bemerkten, er nehme ein ganz besonderes Interesse an Fräulein Julchen. Die Frau Schaffherin stellte, als wir näher bekannt wurden, nicht in Abrede, daß ihre Tochter verlobt sei, und daß Päpke, der damals schon 5 Jahre studirte, nur auf eine Anstellung in seiner Vaterstadt Stralsund warte, um sich öffentlich zu erklären. Wie das schöne, schlanke, geistvolle Mädchen dazu gekommen sei, sich mit einem nichts weniger als wohlgestalteten hinkenden Manne zu verloben, schien räthselhaft; aber Päpke besaß jene dämonische Gewalt des Blickes, die man bei häslichen Personen öfter findet, er war nicht ohne poetische Anlage, mäßig im urtheilen, und konnte, wenn er wollte, sehr liebenswürdig sein. Wir sahen uns oft am Heppschen Abendtische, ich hielt mich aber stets entfernt von ihm. Trotzdem hatte ich manchmal von seinem diabolischen Wesen zu leiden, das er am liebsten gegen harmlose Subjekte, und gegen solche, die nicht immer gegen ihn auf ihrer Hut waren, herauskehrte. Mein Unwohlsein machte mich kleinlaut und zuweilen ängstlich; ich erging mich nicht selten in misanthropischen Betrachtungen über die Verderbtheit der Welt, und in hypochondrischen Aeußerungen über die Unsicherheit des menschlichen Lebens, mit denen es im Grunde nicht Ernst war. Da sagte mir eines Abends Päpke, dessen schwächlicher Körper aller-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |