Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Ernestine erzählte einst: gestern hat die Mutter auf eine Theemaschine gesteigt. - Versteh ich recht? sagte Paul mit der grösten Verwunderung. Ihre Frau Mutter ist - nicht hat - auf eine Theemaschine gestiegen - nicht gesteigt. Unter konvulsivischem Lachen ward ihm deutlich gemacht, daß "steigen" so viel bedeute, als auf einer Versteigerung mitbieten oder auch erstehn.



Creuzers Vorlesung über Symbolik und Mythologie des Alterthums begann im grösten Auditorium und erfreute sich allgemeiner Anerkennung. Sie wirkte mehr durch die Grosartigkeit der Ansichten und durch die Lebendigkeit des Vortrages, als durch die Gediegenheit des Inhaltes. Seit dem ewig denkwürdigen Zuge Napoleons I. nach Aegypten, seit dem Wiedererwachen des Sanskrit, seit den englischen Forschungsreisen in Persien und Ostindien, waren die Blicke der Philologen und Historiker mehr als früher nach dem Oriente gerichtet. So wie die Gelehrten der französischen Expedition eine uralte, vorhistorische Kultur in Aegypten annahmen, und so wie die englischen Forscher den Legenden der Hindu ein unverhältnißmäßig hohes Alter zuschreiben wollten, so war Creuzer der Ansicht, daß die hellenische Götterlehre aus dem fernen Asien durch geheimnisvolle, oft unverstandene Symbole herübergekommen sei, in denen man kaum die spätere Deutung anklingen höre. Er ging hierin zu weit, und ließ sich durch gesuchte, unbegründete Etymologien zu gewagten Folgerungen verleiten. Indessen beherrschte er das ganze Gebiet seiner Wissenschaft, und ersetzte hin und wieder durch Breite, was ihm an Tiefe abging.

Ernestine erzählte einst: gestern hat die Mutter auf eine Theemaschine gesteigt. – Versteh ich recht? sagte Paul mit der grösten Verwunderung. Ihre Frau Mutter ist – nicht hat – auf eine Theemaschine gestiegen – nicht gesteigt. Unter konvulsivischem Lachen ward ihm deutlich gemacht, daß „steigen“ so viel bedeute, als auf einer Versteigerung mitbieten oder auch erstehn.



Creuzers Vorlesung über Symbolik und Mythologie des Alterthums begann im grösten Auditorium und erfreute sich allgemeiner Anerkennung. Sie wirkte mehr durch die Grosartigkeit der Ansichten und durch die Lebendigkeit des Vortrages, als durch die Gediegenheit des Inhaltes. Seit dem ewig denkwürdigen Zuge Napoléons I. nach Aegypten, seit dem Wiedererwachen des Sanskrit, seit den englischen Forschungsreisen in Persien und Ostindien, waren die Blicke der Philologen und Historiker mehr als früher nach dem Oriente gerichtet. So wie die Gelehrten der französischen Expedition eine uralte, vorhistorische Kultur in Aegypten annahmen, und so wie die englischen Forscher den Legenden der Hindu ein unverhältnißmäßig hohes Alter zuschreiben wollten, so war Creuzer der Ansicht, daß die hellenische Götterlehre aus dem fernen Asien durch geheimnisvolle, oft unverstandene Symbole herübergekommen sei, in denen man kaum die spätere Deutung anklingen höre. Er ging hierin zu weit, und ließ sich durch gesuchte, unbegründete Etymologien zu gewagten Folgerungen verleiten. Indessen beherrschte er das ganze Gebiet seiner Wissenschaft, und ersetzte hin und wieder durch Breite, was ihm an Tiefe abging.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0333" n="325"/>
        </p><lb/>
        <p>Ernestine erzählte einst: gestern hat die Mutter auf eine Theemaschine gesteigt. &#x2013; Versteh ich recht? sagte Paul mit der grösten Verwunderung. Ihre Frau Mutter ist &#x2013; nicht hat &#x2013; auf eine Theemaschine gestiegen &#x2013; nicht gesteigt. Unter konvulsivischem Lachen ward ihm deutlich gemacht, daß &#x201E;steigen&#x201C; so viel bedeute, als auf einer Versteigerung mitbieten oder auch erstehn. </p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Creuzers Vorlesung über Symbolik und Mythologie des Alterthums begann im grösten Auditorium und erfreute sich allgemeiner Anerkennung. Sie wirkte mehr durch die Grosartigkeit der Ansichten und durch die Lebendigkeit des Vortrages, als durch die Gediegenheit des Inhaltes. Seit dem ewig denkwürdigen Zuge Napoléons I. nach Aegypten, seit dem Wiedererwachen des Sanskrit, seit den englischen Forschungsreisen in Persien und Ostindien, waren die Blicke der Philologen und Historiker mehr als früher nach dem Oriente gerichtet. So wie die Gelehrten der französischen Expedition eine uralte, vorhistorische Kultur in Aegypten annahmen, und so wie die englischen Forscher den Legenden der Hindu ein unverhältnißmäßig hohes Alter zuschreiben wollten, so war Creuzer der Ansicht, daß die hellenische Götterlehre aus dem fernen Asien durch geheimnisvolle, oft unverstandene Symbole herübergekommen sei, in denen man kaum die spätere Deutung anklingen höre. Er ging hierin zu weit, und ließ sich durch gesuchte, unbegründete Etymologien zu gewagten Folgerungen verleiten. Indessen beherrschte er das ganze Gebiet seiner Wissenschaft, und ersetzte hin und wieder durch Breite, was ihm an Tiefe abging.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0333] Ernestine erzählte einst: gestern hat die Mutter auf eine Theemaschine gesteigt. – Versteh ich recht? sagte Paul mit der grösten Verwunderung. Ihre Frau Mutter ist – nicht hat – auf eine Theemaschine gestiegen – nicht gesteigt. Unter konvulsivischem Lachen ward ihm deutlich gemacht, daß „steigen“ so viel bedeute, als auf einer Versteigerung mitbieten oder auch erstehn. Creuzers Vorlesung über Symbolik und Mythologie des Alterthums begann im grösten Auditorium und erfreute sich allgemeiner Anerkennung. Sie wirkte mehr durch die Grosartigkeit der Ansichten und durch die Lebendigkeit des Vortrages, als durch die Gediegenheit des Inhaltes. Seit dem ewig denkwürdigen Zuge Napoléons I. nach Aegypten, seit dem Wiedererwachen des Sanskrit, seit den englischen Forschungsreisen in Persien und Ostindien, waren die Blicke der Philologen und Historiker mehr als früher nach dem Oriente gerichtet. So wie die Gelehrten der französischen Expedition eine uralte, vorhistorische Kultur in Aegypten annahmen, und so wie die englischen Forscher den Legenden der Hindu ein unverhältnißmäßig hohes Alter zuschreiben wollten, so war Creuzer der Ansicht, daß die hellenische Götterlehre aus dem fernen Asien durch geheimnisvolle, oft unverstandene Symbole herübergekommen sei, in denen man kaum die spätere Deutung anklingen höre. Er ging hierin zu weit, und ließ sich durch gesuchte, unbegründete Etymologien zu gewagten Folgerungen verleiten. Indessen beherrschte er das ganze Gebiet seiner Wissenschaft, und ersetzte hin und wieder durch Breite, was ihm an Tiefe abging.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/333
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/333>, abgerufen am 22.11.2024.