Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].die Aussicht zu zeichnen. Nicht lange hatte ich gesessen, als hinter mir mit der Dämmerung eine schwarze Wolke den Berg hinaufzog; der Wagen war nicht mehr zu sehn; ich hoffte die nahe Stadt vor dem Regen zu erreichen, aber die Wolke ging schneller als ich, es wurde immer dunkler, und lange vorher, ehe ich an das Thor kam, brach das Wetter los; meine Fragen nach dem Wirtshause wurden nur mit Mühe verstanden; endlich langte ich ganz durchweicht im Finstern bei den besorgten Freunden an; das Zeichenbuch hatte ich unter der Weste vor Nässe schützen können. In Ulm fand sich keine Retourchaise; wir mußten für den dreifachen Preis einen Wagen bis München miethen, wo wir am zweiten Tage anlangten. Larosee ging zu seinen Aeltern, wir beide, Paul und ich, in das Goldne Kreuz, den einzigen erträglichen Gasthof, den es damals in München gab. Um indessen dem unbehaglichen Kneipenleben zu entgehn, suchten wir für die drei Wochen unseres Aufenthaltes eine Privatwohnung, und fanden zwei sehr bequeme Zimmer bei der Frau Räthin von Fabri, einer betagten, überaus gutmüthigen Beamtenwittwe. Hier hatte Paul eine neue Gelegenheit, Studien über die süddeutschen Dialekte in Aussprache und Schrift zu machen. Da Frau von Fabri für unser Frühstück und andre kleine Bedürfnisse sorgte, so brachte sie alle paar Tage ihre Rechnung, die Paul gewissenhaft durchsah und saldirte. Das immer wiederkehrende "Mili" statt Milch ergötzte ihn ganz besonders. Auch versuchte er es, unsre Wirtin von den Vorzügen seiner norddeutschen Sprache zu überzeugen, indem er ihr bemerklich machte, daß sie ihn ja ganz gut verstehe, er sie aber nicht. "Das macht halt", war die die Aussicht zu zeichnen. Nicht lange hatte ich gesessen, als hinter mir mit der Dämmerung eine schwarze Wolke den Berg hinaufzog; der Wagen war nicht mehr zu sehn; ich hoffte die nahe Stadt vor dem Regen zu erreichen, aber die Wolke ging schneller als ich, es wurde immer dunkler, und lange vorher, ehe ich an das Thor kam, brach das Wetter los; meine Fragen nach dem Wirtshause wurden nur mit Mühe verstanden; endlich langte ich ganz durchweicht im Finstern bei den besorgten Freunden an; das Zeichenbuch hatte ich unter der Weste vor Nässe schützen können. In Ulm fand sich keine Retourchaise; wir mußten für den dreifachen Preis einen Wagen bis München miethen, wo wir am zweiten Tage anlangten. Larosee ging zu seinen Aeltern, wir beide, Paul und ich, in das Goldne Kreuz, den einzigen erträglichen Gasthof, den es damals in München gab. Um indessen dem unbehaglichen Kneipenleben zu entgehn, suchten wir für die drei Wochen unseres Aufenthaltes eine Privatwohnung, und fanden zwei sehr bequeme Zimmer bei der Frau Räthin von Fabri, einer betagten, überaus gutmüthigen Beamtenwittwe. Hier hatte Paul eine neue Gelegenheit, Studien über die süddeutschen Dialekte in Aussprache und Schrift zu machen. Da Frau von Fabri für unser Frühstück und andre kleine Bedürfnisse sorgte, so brachte sie alle paar Tage ihre Rechnung, die Paul gewissenhaft durchsah und saldirte. Das immer wiederkehrende „Mili“ statt Milch ergötzte ihn ganz besonders. Auch versuchte er es, unsre Wirtin von den Vorzügen seiner norddeutschen Sprache zu überzeugen, indem er ihr bemerklich machte, daß sie ihn ja ganz gut verstehe, er sie aber nicht. „Das macht halt“, war die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0356" n="348"/> die Aussicht zu zeichnen. Nicht lange hatte ich gesessen, als hinter mir mit der Dämmerung eine schwarze Wolke den Berg hinaufzog; der Wagen war nicht mehr zu sehn; ich hoffte die nahe Stadt vor dem Regen zu erreichen, aber die Wolke ging schneller als ich, es wurde immer dunkler, und lange vorher, ehe ich an das Thor kam, brach das Wetter los; meine Fragen nach dem Wirtshause wurden nur mit Mühe verstanden; endlich langte ich ganz durchweicht im Finstern bei den besorgten Freunden an; das Zeichenbuch hatte ich unter der Weste vor Nässe schützen können. </p><lb/> <p>In Ulm fand sich keine Retourchaise; wir mußten für den dreifachen Preis einen Wagen bis München miethen, wo wir am zweiten Tage anlangten. Larosee ging zu seinen Aeltern, wir beide, Paul und ich, in das Goldne Kreuz, den einzigen erträglichen Gasthof, den es damals in München gab. Um indessen dem unbehaglichen Kneipenleben zu entgehn, suchten wir für die drei Wochen unseres Aufenthaltes eine Privatwohnung, und fanden zwei sehr bequeme Zimmer bei der Frau Räthin von Fabri, einer betagten, überaus gutmüthigen Beamtenwittwe. Hier hatte Paul eine neue Gelegenheit, Studien über die süddeutschen Dialekte in Aussprache und Schrift zu machen. Da Frau von Fabri für unser Frühstück und andre kleine Bedürfnisse sorgte, so brachte sie alle paar Tage ihre Rechnung, die Paul gewissenhaft durchsah und saldirte. Das immer wiederkehrende „Mili“ statt Milch ergötzte ihn ganz besonders. Auch versuchte er es, unsre Wirtin von den Vorzügen seiner norddeutschen Sprache zu überzeugen, indem er ihr bemerklich machte, daß sie ihn ja ganz gut verstehe, er sie aber nicht. „Das macht halt“, war die </p> </div> </body> </text> </TEI> [348/0356]
die Aussicht zu zeichnen. Nicht lange hatte ich gesessen, als hinter mir mit der Dämmerung eine schwarze Wolke den Berg hinaufzog; der Wagen war nicht mehr zu sehn; ich hoffte die nahe Stadt vor dem Regen zu erreichen, aber die Wolke ging schneller als ich, es wurde immer dunkler, und lange vorher, ehe ich an das Thor kam, brach das Wetter los; meine Fragen nach dem Wirtshause wurden nur mit Mühe verstanden; endlich langte ich ganz durchweicht im Finstern bei den besorgten Freunden an; das Zeichenbuch hatte ich unter der Weste vor Nässe schützen können.
In Ulm fand sich keine Retourchaise; wir mußten für den dreifachen Preis einen Wagen bis München miethen, wo wir am zweiten Tage anlangten. Larosee ging zu seinen Aeltern, wir beide, Paul und ich, in das Goldne Kreuz, den einzigen erträglichen Gasthof, den es damals in München gab. Um indessen dem unbehaglichen Kneipenleben zu entgehn, suchten wir für die drei Wochen unseres Aufenthaltes eine Privatwohnung, und fanden zwei sehr bequeme Zimmer bei der Frau Räthin von Fabri, einer betagten, überaus gutmüthigen Beamtenwittwe. Hier hatte Paul eine neue Gelegenheit, Studien über die süddeutschen Dialekte in Aussprache und Schrift zu machen. Da Frau von Fabri für unser Frühstück und andre kleine Bedürfnisse sorgte, so brachte sie alle paar Tage ihre Rechnung, die Paul gewissenhaft durchsah und saldirte. Das immer wiederkehrende „Mili“ statt Milch ergötzte ihn ganz besonders. Auch versuchte er es, unsre Wirtin von den Vorzügen seiner norddeutschen Sprache zu überzeugen, indem er ihr bemerklich machte, daß sie ihn ja ganz gut verstehe, er sie aber nicht. „Das macht halt“, war die
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