Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].nahm aber an dem Kampfe keinen Theil. Es wurden nicht bloß die Fenster, sondern auch die Fensterkreuze eingeschlagen, die Thüren aus den Angeln gehoben und auf die Straße geworfen, die Tische und Bänke zertrümmert, das Küchenzeug vernichtet. Die ganze Stadt kam in Aufruhr, aber niemand wagte einzuschreiten. Eine Garnison gab es nicht in Heidelberg, um Reibungen mit den Offizieren zu vermeiden, die städtische Polizei fühlte sich numerisch zu schwach, um gegen ein paar Hundert bewaffnete Hitzköpfe aufzutreten. Sehr bald erschienen mehrere Professoren, um durch gütliches Zureden dem Unwesen zu steuern. Noch höre ich Thibauts sonore Stimme, mit der er, dem Hause gegenüber auf dem erhöhten Bürgersteige stehend, mehr als einmal ausrief: Meine Herrn, ich fordre Sie dringend auf, auseinander zu gehn; das Problem, was Sie sich vorgesetzt, ist aufgelöst, es liegt alles in Stücken vor Ihnen! Allmählig ließ die Berserkerwuth nach, und alles verzog sich in andre Bierkneipen, um dort die verübten Heldenthaten zu feiern. Bei meiner Heimkunft fand ich Paul ruhig am Klaviere sitzend und einen Trauermarsch spielend. Der akademische Senat nahm die Sache in die Hand, und verfuhr so weise, daß es den aufgeregten Studenten nicht gelang, eine secessio in montem sacrum zu Stande zu bringen, was sie gar zu gern gethan hätten, um hinter den Göttingern nicht zurückzubleiben. Wir glaubten alle nicht recht an einen Auszug, der für die Ausziehenden die grösten Unbequemlichkeiten bietet, besprachen aber im Scherze die Möglichkeit mit unseren Wirtsleuten. Sie wollten uns sehr gute Empfehlungen nach Mannheim mitgeben, wo wir, wie sie versicherten, ganz prächtig aufge- nahm aber an dem Kampfe keinen Theil. Es wurden nicht bloß die Fenster, sondern auch die Fensterkreuze eingeschlagen, die Thüren aus den Angeln gehoben und auf die Straße geworfen, die Tische und Bänke zertrümmert, das Küchenzeug vernichtet. Die ganze Stadt kam in Aufruhr, aber niemand wagte einzuschreiten. Eine Garnison gab es nicht in Heidelberg, um Reibungen mit den Offizieren zu vermeiden, die städtische Polizei fühlte sich numerisch zu schwach, um gegen ein paar Hundert bewaffnete Hitzköpfe aufzutreten. Sehr bald erschienen mehrere Professoren, um durch gütliches Zureden dem Unwesen zu steuern. Noch höre ich Thibauts sonore Stimme, mit der er, dem Hause gegenüber auf dem erhöhten Bürgersteige stehend, mehr als einmal ausrief: Meine Herrn, ich fordre Sie dringend auf, auseinander zu gehn; das Problem, was Sie sich vorgesetzt, ist aufgelöst, es liegt alles in Stücken vor Ihnen! Allmählig ließ die Berserkerwuth nach, und alles verzog sich in andre Bierkneipen, um dort die verübten Heldenthaten zu feiern. Bei meiner Heimkunft fand ich Paul ruhig am Klaviere sitzend und einen Trauermarsch spielend. Der akademische Senat nahm die Sache in die Hand, und verfuhr so weise, daß es den aufgeregten Studenten nicht gelang, eine secessio in montem sacrum zu Stande zu bringen, was sie gar zu gern gethan hätten, um hinter den Göttingern nicht zurückzubleiben. Wir glaubten alle nicht recht an einen Auszug, der für die Ausziehenden die grösten Unbequemlichkeiten bietet, besprachen aber im Scherze die Möglichkeit mit unseren Wirtsleuten. Sie wollten uns sehr gute Empfehlungen nach Mannheim mitgeben, wo wir, wie sie versicherten, ganz prächtig aufge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0384" n="376"/> nahm aber an dem Kampfe keinen Theil. Es wurden nicht bloß die Fenster, sondern auch die Fensterkreuze eingeschlagen, die Thüren aus den Angeln gehoben und auf die Straße geworfen, die Tische und Bänke zertrümmert, das Küchenzeug vernichtet. Die ganze Stadt kam in Aufruhr, aber niemand wagte einzuschreiten. Eine Garnison gab es nicht in Heidelberg, um Reibungen mit den Offizieren zu vermeiden, die städtische Polizei fühlte sich numerisch zu schwach, um gegen ein paar Hundert bewaffnete Hitzköpfe aufzutreten. Sehr bald erschienen mehrere Professoren, um durch gütliches Zureden dem Unwesen zu steuern. Noch höre ich Thibauts sonore Stimme, mit der er, dem Hause gegenüber auf dem erhöhten Bürgersteige stehend, mehr als einmal ausrief: Meine Herrn, ich fordre Sie dringend auf, auseinander zu gehn; das Problem, was Sie sich vorgesetzt, ist aufgelöst, es liegt alles in Stücken vor Ihnen! Allmählig ließ die Berserkerwuth nach, und alles verzog sich in andre Bierkneipen, um dort die verübten Heldenthaten zu feiern. Bei meiner Heimkunft fand ich Paul ruhig am Klaviere sitzend und einen Trauermarsch spielend. </p><lb/> <p>Der akademische Senat nahm die Sache in die Hand, und verfuhr so weise, daß es den aufgeregten Studenten nicht gelang, eine secessio in montem sacrum zu Stande zu bringen, was sie gar zu gern gethan hätten, um hinter den Göttingern nicht zurückzubleiben. Wir glaubten alle nicht recht an einen Auszug, der für die Ausziehenden die grösten Unbequemlichkeiten bietet, besprachen aber im Scherze die Möglichkeit mit unseren Wirtsleuten. Sie wollten uns sehr gute Empfehlungen nach Mannheim mitgeben, wo wir, wie sie versicherten, ganz prächtig aufge- </p> </div> </body> </text> </TEI> [376/0384]
nahm aber an dem Kampfe keinen Theil. Es wurden nicht bloß die Fenster, sondern auch die Fensterkreuze eingeschlagen, die Thüren aus den Angeln gehoben und auf die Straße geworfen, die Tische und Bänke zertrümmert, das Küchenzeug vernichtet. Die ganze Stadt kam in Aufruhr, aber niemand wagte einzuschreiten. Eine Garnison gab es nicht in Heidelberg, um Reibungen mit den Offizieren zu vermeiden, die städtische Polizei fühlte sich numerisch zu schwach, um gegen ein paar Hundert bewaffnete Hitzköpfe aufzutreten. Sehr bald erschienen mehrere Professoren, um durch gütliches Zureden dem Unwesen zu steuern. Noch höre ich Thibauts sonore Stimme, mit der er, dem Hause gegenüber auf dem erhöhten Bürgersteige stehend, mehr als einmal ausrief: Meine Herrn, ich fordre Sie dringend auf, auseinander zu gehn; das Problem, was Sie sich vorgesetzt, ist aufgelöst, es liegt alles in Stücken vor Ihnen! Allmählig ließ die Berserkerwuth nach, und alles verzog sich in andre Bierkneipen, um dort die verübten Heldenthaten zu feiern. Bei meiner Heimkunft fand ich Paul ruhig am Klaviere sitzend und einen Trauermarsch spielend.
Der akademische Senat nahm die Sache in die Hand, und verfuhr so weise, daß es den aufgeregten Studenten nicht gelang, eine secessio in montem sacrum zu Stande zu bringen, was sie gar zu gern gethan hätten, um hinter den Göttingern nicht zurückzubleiben. Wir glaubten alle nicht recht an einen Auszug, der für die Ausziehenden die grösten Unbequemlichkeiten bietet, besprachen aber im Scherze die Möglichkeit mit unseren Wirtsleuten. Sie wollten uns sehr gute Empfehlungen nach Mannheim mitgeben, wo wir, wie sie versicherten, ganz prächtig aufge-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/384>, abgerufen am 17.07.2024. |