Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].Eberstein und das alte Schloß Baden erforderten selbst für einen geübten Fußgänger einige Anstrengung. Nach der romantischen Yburg machten wir selbdrei: Dr. Bähr aus Heidelberg (später Geheimerath und Oberbibliothekar), Paul und ich einen angenehmen aber heißen Morgenspaziergang. Bähr behauptete den Weg ganz genau zu kennen, und führte uns anfangs auf gebahnten Pfaden die steile Höhe hinan. Wir vertieften uns in ein lebhaftes Gespräch über philologische Gegenstände, und vertrauten Bähr unsere Absicht, im Sommer das Doctorexamen zu machen, das er selbst vor kurzem überstanden. Da gab es vielerlei zu fragen, zu bedenken, zu überlegen. Wenngleich dieser Actus mir nicht so viele Schrecknisse zeigte als das Abiturientenexamen, so blieb ich doch nicht ohne eine gewisse Bangigkeit, während Paul auch hier mit einer heroischen Zuversicht dem großen Ereignisse entgegensah. So stiegen wir fürbas und waren in das ärgste Dickicht geraten, als Bähr anfing über den Weg unsicher zu werden, da die ersehnte Yburg sich immer noch nicht zeigen wollte. Nach einer ganzen Weile gelangten wir an einen freien Waldfleck, den Bähr für eine völlige terra incognita erklärte. Die Aussicht war überraschend. Vorn tauchte der Blick in eine jähe Tiefe von dunkeln Fichtenspitzen, hinten gegen Osten schlossen sich die ernsten Höhen des Schwarzwaldes zu einem weiten Kessel zusammen, den die Strahlen der fast senkrechten Mittagsonne mit einem flimmernden Goldnebel erfüllten: nirgend die Spur einer menschlichen Wohnung. Sollte es uns mit der Yburg gehn, wie mit der Wartburg? fragte Paul. Aber nur kurze Zeit dauerte die Ungewißheit: denn hinter uns in mäßiger Höhe erblickte Eberstein und das alte Schloß Baden erforderten selbst für einen geübten Fußgänger einige Anstrengung. Nach der romantischen Yburg machten wir selbdrei: Dr. Bähr aus Heidelberg (später Geheimerath und Oberbibliothekar), Paul und ich einen angenehmen aber heißen Morgenspaziergang. Bähr behauptete den Weg ganz genau zu kennen, und führte uns anfangs auf gebahnten Pfaden die steile Höhe hinan. Wir vertieften uns in ein lebhaftes Gespräch über philologische Gegenstände, und vertrauten Bähr unsere Absicht, im Sommer das Doctorexamen zu machen, das er selbst vor kurzem überstanden. Da gab es vielerlei zu fragen, zu bedenken, zu überlegen. Wenngleich dieser Actus mir nicht so viele Schrecknisse zeigte als das Abiturientenexamen, so blieb ich doch nicht ohne eine gewisse Bangigkeit, während Paul auch hier mit einer heroischen Zuversicht dem großen Ereignisse entgegensah. So stiegen wir fürbas und waren in das ärgste Dickicht geraten, als Bähr anfing über den Weg unsicher zu werden, da die ersehnte Yburg sich immer noch nicht zeigen wollte. Nach einer ganzen Weile gelangten wir an einen freien Waldfleck, den Bähr für eine völlige terra incognita erklärte. Die Aussicht war überraschend. Vorn tauchte der Blick in eine jähe Tiefe von dunkeln Fichtenspitzen, hinten gegen Osten schlossen sich die ernsten Höhen des Schwarzwaldes zu einem weiten Kessel zusammen, den die Strahlen der fast senkrechten Mittagsonne mit einem flimmernden Goldnebel erfüllten: nirgend die Spur einer menschlichen Wohnung. Sollte es uns mit der Yburg gehn, wie mit der Wartburg? fragte Paul. Aber nur kurze Zeit dauerte die Ungewißheit: denn hinter uns in mäßiger Höhe erblickte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0390" n="382"/> Eberstein und das alte Schloß Baden erforderten selbst für einen geübten Fußgänger einige Anstrengung. Nach der romantischen Yburg machten wir selbdrei: Dr. Bähr aus Heidelberg (später Geheimerath und Oberbibliothekar), Paul und ich einen angenehmen aber heißen Morgenspaziergang. Bähr behauptete den Weg ganz genau zu kennen, und führte uns anfangs auf gebahnten Pfaden die steile Höhe hinan. Wir vertieften uns in ein lebhaftes Gespräch über philologische Gegenstände, und vertrauten Bähr unsere Absicht, im Sommer das Doctorexamen zu machen, das er selbst vor kurzem überstanden. Da gab es vielerlei zu fragen, zu bedenken, zu überlegen. Wenngleich dieser Actus mir nicht so viele Schrecknisse zeigte als das Abiturientenexamen, so blieb ich doch nicht ohne eine gewisse Bangigkeit, während Paul auch hier mit einer heroischen Zuversicht dem großen Ereignisse entgegensah. So stiegen wir fürbas und waren in das ärgste Dickicht geraten, als Bähr anfing über den Weg unsicher zu werden, da die ersehnte Yburg sich immer noch nicht zeigen wollte. Nach einer ganzen Weile gelangten wir an einen freien Waldfleck, den Bähr für eine völlige terra incognita erklärte. Die Aussicht war überraschend. Vorn tauchte der Blick in eine jähe Tiefe von dunkeln Fichtenspitzen, hinten gegen Osten schlossen sich die ernsten Höhen des Schwarzwaldes zu einem weiten Kessel zusammen, den die Strahlen der fast senkrechten Mittagsonne mit einem flimmernden Goldnebel erfüllten: nirgend die Spur einer menschlichen Wohnung. </p><lb/> <p>Sollte es uns mit der Yburg gehn, wie mit der Wartburg? fragte Paul. Aber nur kurze Zeit dauerte die Ungewißheit: denn hinter uns in mäßiger Höhe erblickte </p> </div> </body> </text> </TEI> [382/0390]
Eberstein und das alte Schloß Baden erforderten selbst für einen geübten Fußgänger einige Anstrengung. Nach der romantischen Yburg machten wir selbdrei: Dr. Bähr aus Heidelberg (später Geheimerath und Oberbibliothekar), Paul und ich einen angenehmen aber heißen Morgenspaziergang. Bähr behauptete den Weg ganz genau zu kennen, und führte uns anfangs auf gebahnten Pfaden die steile Höhe hinan. Wir vertieften uns in ein lebhaftes Gespräch über philologische Gegenstände, und vertrauten Bähr unsere Absicht, im Sommer das Doctorexamen zu machen, das er selbst vor kurzem überstanden. Da gab es vielerlei zu fragen, zu bedenken, zu überlegen. Wenngleich dieser Actus mir nicht so viele Schrecknisse zeigte als das Abiturientenexamen, so blieb ich doch nicht ohne eine gewisse Bangigkeit, während Paul auch hier mit einer heroischen Zuversicht dem großen Ereignisse entgegensah. So stiegen wir fürbas und waren in das ärgste Dickicht geraten, als Bähr anfing über den Weg unsicher zu werden, da die ersehnte Yburg sich immer noch nicht zeigen wollte. Nach einer ganzen Weile gelangten wir an einen freien Waldfleck, den Bähr für eine völlige terra incognita erklärte. Die Aussicht war überraschend. Vorn tauchte der Blick in eine jähe Tiefe von dunkeln Fichtenspitzen, hinten gegen Osten schlossen sich die ernsten Höhen des Schwarzwaldes zu einem weiten Kessel zusammen, den die Strahlen der fast senkrechten Mittagsonne mit einem flimmernden Goldnebel erfüllten: nirgend die Spur einer menschlichen Wohnung.
Sollte es uns mit der Yburg gehn, wie mit der Wartburg? fragte Paul. Aber nur kurze Zeit dauerte die Ungewißheit: denn hinter uns in mäßiger Höhe erblickte
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/390>, abgerufen am 17.07.2024. |