Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Ein anderes Mal ging die Reise so schnell, daß die jungen zarten Hofdamen während eines ganzen Tages nicht einen Bissen zu essen erhielten, dann eine fatigante Cour mitmachen mußten, und halb ohnmächtig vor Hunger um Mitternacht zu Bett gingen.

In einem der südlichen Departements hatte man zu Ehren der Herrscher ein großes ennuyantes Fest veranstaltet, zu dessen Bestandtheilen eine Gondelfahrt auf einem schön umwachsenen See gehörte. Nur die kaiserlichen Gondeln hatten eine Bedachung, bei einem plötzlich hereinbrechenden Gewitterregen wurden die in leichtester Sommertoilette befindlichen Hofdamen bis auf die Haut (au pied de la lettre) durchnäßt.



Mein Oheim Kohlrausch hatte mir einen Empfehlungsbrief an Alexander von Humboldt gegeben, mit dem er früher in Paris zusammen gewohnt und in engster Freundschaft gestanden. Kohlrausch theilte mir mit, daß Humboldt schon damals jene große Fernsichtigkeit gehabt, die ihn veranlaßte, beim schreiben das Blatt auf die Knie zu legen; auf diese Weise habe er (Kohlrausch) die ganze Vorrede zu dem Essai sur la nouvelle Espagne entstehen sehn. Humboldt verschmähte es, seine großen Samlungen für sich zu behalten; er vertheilte sie dahin, wo sie ihm am meisten nutzbringend schienen; seine getrockneten Pflanzen schenkte er dem berliner botanischen Garten, die Versteinerungen von den Cordilleren dem berliner Mineralienkabinet; Kohlrausch erhielt, wie ich schon oben bemerkte, die Samlung von südamerikanischen Chinarinden. Nur eine Samlung, fügte Kohlrausch hinzu, behielt er

Ein anderes Mal ging die Reise so schnell, daß die jungen zarten Hofdamen während eines ganzen Tages nicht einen Bissen zu essen erhielten, dann eine fatigante Cour mitmachen mußten, und halb ohnmächtig vor Hunger um Mitternacht zu Bett gingen.

In einem der südlichen Departements hatte man zu Ehren der Herrscher ein großes ennuyantes Fest veranstaltet, zu dessen Bestandtheilen eine Gondelfahrt auf einem schön umwachsenen See gehörte. Nur die kaiserlichen Gondeln hatten eine Bedachung, bei einem plötzlich hereinbrechenden Gewitterregen wurden die in leichtester Sommertoilette befindlichen Hofdamen bis auf die Haut (au pied de la lettre) durchnäßt.



Mein Oheim Kohlrausch hatte mir einen Empfehlungsbrief an Alexander von Humboldt gegeben, mit dem er früher in Paris zusammen gewohnt und in engster Freundschaft gestanden. Kohlrausch theilte mir mit, daß Humboldt schon damals jene große Fernsichtigkeit gehabt, die ihn veranlaßte, beim schreiben das Blatt auf die Knie zu legen; auf diese Weise habe er (Kohlrausch) die ganze Vorrede zu dem Essai sur la nouvelle Espagne entstehen sehn. Humboldt verschmähte es, seine großen Samlungen für sich zu behalten; er vertheilte sie dahin, wo sie ihm am meisten nutzbringend schienen; seine getrockneten Pflanzen schenkte er dem berliner botanischen Garten, die Versteinerungen von den Cordilleren dem berliner Mineralienkabinet; Kohlrausch erhielt, wie ich schon oben bemerkte, die Samlung von südamerikanischen Chinarinden. Nur eine Samlung, fügte Kohlrausch hinzu, behielt er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p>
          <pb facs="#f0439" n="431"/>
        </p><lb/>
        <p>Ein anderes Mal ging die Reise so schnell, daß die jungen zarten Hofdamen während eines ganzen Tages nicht einen Bissen zu essen erhielten, dann eine fatigante Cour mitmachen mußten, und halb ohnmächtig vor Hunger um Mitternacht zu Bett gingen. </p><lb/>
        <p>In einem der südlichen Departements hatte man zu Ehren der Herrscher ein großes ennuyantes Fest veranstaltet, zu dessen Bestandtheilen eine Gondelfahrt auf einem schön umwachsenen See gehörte. Nur die kaiserlichen Gondeln hatten eine Bedachung, bei einem plötzlich hereinbrechenden Gewitterregen wurden die in leichtester Sommertoilette befindlichen Hofdamen bis auf die Haut (au pied de la lettre) durchnäßt. </p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Mein Oheim Kohlrausch hatte mir einen Empfehlungsbrief an Alexander von Humboldt gegeben, mit dem er früher in Paris zusammen gewohnt und in engster Freundschaft gestanden. Kohlrausch theilte mir mit, daß Humboldt schon damals jene große Fernsichtigkeit gehabt, die ihn veranlaßte, beim schreiben das Blatt auf die Knie zu legen; auf diese Weise habe er (Kohlrausch) die ganze Vorrede zu dem Essai sur la nouvelle Espagne entstehen sehn. Humboldt verschmähte es, seine großen Samlungen für sich zu behalten; er vertheilte sie dahin, wo sie ihm am meisten nutzbringend schienen; seine getrockneten Pflanzen schenkte er dem berliner botanischen Garten, die Versteinerungen von den Cordilleren dem berliner Mineralienkabinet; Kohlrausch erhielt, wie ich schon oben bemerkte, die Samlung von südamerikanischen Chinarinden. Nur eine Samlung, fügte Kohlrausch hinzu, behielt er
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0439] Ein anderes Mal ging die Reise so schnell, daß die jungen zarten Hofdamen während eines ganzen Tages nicht einen Bissen zu essen erhielten, dann eine fatigante Cour mitmachen mußten, und halb ohnmächtig vor Hunger um Mitternacht zu Bett gingen. In einem der südlichen Departements hatte man zu Ehren der Herrscher ein großes ennuyantes Fest veranstaltet, zu dessen Bestandtheilen eine Gondelfahrt auf einem schön umwachsenen See gehörte. Nur die kaiserlichen Gondeln hatten eine Bedachung, bei einem plötzlich hereinbrechenden Gewitterregen wurden die in leichtester Sommertoilette befindlichen Hofdamen bis auf die Haut (au pied de la lettre) durchnäßt. Mein Oheim Kohlrausch hatte mir einen Empfehlungsbrief an Alexander von Humboldt gegeben, mit dem er früher in Paris zusammen gewohnt und in engster Freundschaft gestanden. Kohlrausch theilte mir mit, daß Humboldt schon damals jene große Fernsichtigkeit gehabt, die ihn veranlaßte, beim schreiben das Blatt auf die Knie zu legen; auf diese Weise habe er (Kohlrausch) die ganze Vorrede zu dem Essai sur la nouvelle Espagne entstehen sehn. Humboldt verschmähte es, seine großen Samlungen für sich zu behalten; er vertheilte sie dahin, wo sie ihm am meisten nutzbringend schienen; seine getrockneten Pflanzen schenkte er dem berliner botanischen Garten, die Versteinerungen von den Cordilleren dem berliner Mineralienkabinet; Kohlrausch erhielt, wie ich schon oben bemerkte, die Samlung von südamerikanischen Chinarinden. Nur eine Samlung, fügte Kohlrausch hinzu, behielt er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/439
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/439>, abgerufen am 24.11.2024.