Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].für sich und vermehrte sie täglich: die Samlung von Kenntnissen. Den Empfehlungsbrief abzugeben wollte mir nicht alsobald gelingen. Ich ging ein, zwei, drei Mal nach Humboldts Wohnung, Quai de l'Ecole 26, ohne ihn anzutreffen. Endlich fragte ich die Frau des Portiers, wann er denn zu Hause sei? ich hätte einen Brief an ihn abzugeben. Ah! c'est autre chose, Monsieur! Vous avez une lettre! Prenez la peine de monter au quatrieme! Beim Hinaufsteigen überlegte ich mir, daß es für Humboldt ganz nothwendig sei, sich in der Regel verläugnen zu lassen, um von Besuchern nicht erdrückt zu werden. Daß sein Empfang ein überaus freundlicher war, brauche ich wohl kaum zu bemerken: denn wen von den Hunderten, die sich ihm genähert, hätte er jemals nicht freundlich empfangen? Er besaß in hohem Grade die Eigenschaft, welche die Franzosen facilite d'abord nennen; man kam mit ihm auf die ungezwungenste Weise alsbald in ein anziehendes Gespräch, das ohne Mühe sich fortspann. Er bereitete damals seine Reise nach Asien vor und würde, wie er äußerte, schon aufgebrochen sein, wenn die Bestimmung seiner amerikanischen Pflanzen vollendet wäre. Jn seinem Zimmer hing eine gewaltige englische Karte von Ostindien, die fast eine halbe Wand einnahm. Als Einleitung zur Reise hatte er geschwind bei Sylvestre de Sacy persisch gelernt, weil diese Sprache in Vorderasien ungefähr dieselbe Verbreitung hat, wie das französische in Europa. Nach kurzer Zeit meldete der Bediente den Professor Brera aus Mailand, und es erschien ein ältlicher kleiner Italiäner ziemlich athemlos vom Erklimmen der vier Trep- für sich und vermehrte sie täglich: die Samlung von Kenntnissen. Den Empfehlungsbrief abzugeben wollte mir nicht alsobald gelingen. Ich ging ein, zwei, drei Mal nach Humboldts Wohnung, Quai de l’Ecole 26, ohne ihn anzutreffen. Endlich fragte ich die Frau des Portiers, wann er denn zu Hause sei? ich hätte einen Brief an ihn abzugeben. Ah! c’est autre chose, Monsieur! Vous avez une lettre! Prenez la peine de monter au quatrième! Beim Hinaufsteigen überlegte ich mir, daß es für Humboldt ganz nothwendig sei, sich in der Regel verläugnen zu lassen, um von Besuchern nicht erdrückt zu werden. Daß sein Empfang ein überaus freundlicher war, brauche ich wohl kaum zu bemerken: denn wen von den Hunderten, die sich ihm genähert, hätte er jemals nicht freundlich empfangen? Er besaß in hohem Grade die Eigenschaft, welche die Franzosen facilité d’abord nennen; man kam mit ihm auf die ungezwungenste Weise alsbald in ein anziehendes Gespräch, das ohne Mühe sich fortspann. Er bereitete damals seine Reise nach Asien vor und würde, wie er äußerte, schon aufgebrochen sein, wenn die Bestimmung seiner amerikanischen Pflanzen vollendet wäre. Jn seinem Zimmer hing eine gewaltige englische Karte von Ostindien, die fast eine halbe Wand einnahm. Als Einleitung zur Reise hatte er geschwind bei Sylvestre de Sacy persisch gelernt, weil diese Sprache in Vorderasien ungefähr dieselbe Verbreitung hat, wie das französische in Europa. Nach kurzer Zeit meldete der Bediente den Professor Brera aus Mailand, und es erschien ein ältlicher kleiner Italiäner ziemlich athemlos vom Erklimmen der vier Trep- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0440" n="432"/> für sich und vermehrte sie täglich: die Samlung von Kenntnissen. </p><lb/> <p>Den Empfehlungsbrief abzugeben wollte mir nicht alsobald gelingen. Ich ging ein, zwei, drei Mal nach Humboldts Wohnung, Quai de l’Ecole 26, ohne ihn anzutreffen. Endlich fragte ich die Frau des Portiers, wann er denn zu Hause sei? ich hätte einen Brief an ihn abzugeben. Ah! c’est autre chose, Monsieur! Vous avez une lettre! Prenez la peine de monter au quatrième! Beim Hinaufsteigen überlegte ich mir, daß es für Humboldt ganz nothwendig sei, sich in der Regel verläugnen zu lassen, um von Besuchern nicht erdrückt zu werden. </p><lb/> <p>Daß sein Empfang ein überaus freundlicher war, brauche ich wohl kaum zu bemerken: denn wen von den Hunderten, die sich ihm genähert, hätte er jemals nicht freundlich empfangen? Er besaß in hohem Grade die Eigenschaft, welche die Franzosen facilité d’abord nennen; man kam mit ihm auf die ungezwungenste Weise alsbald in ein anziehendes Gespräch, das ohne Mühe sich fortspann. Er bereitete damals seine Reise nach Asien vor und würde, wie er äußerte, schon aufgebrochen sein, wenn die Bestimmung seiner amerikanischen Pflanzen vollendet wäre. Jn seinem Zimmer hing eine gewaltige englische Karte von Ostindien, die fast eine halbe Wand einnahm. Als Einleitung zur Reise hatte er geschwind bei Sylvestre de Sacy persisch gelernt, weil diese Sprache in Vorderasien ungefähr dieselbe Verbreitung hat, wie das französische in Europa. </p><lb/> <p>Nach kurzer Zeit meldete der Bediente den Professor Brera aus Mailand, und es erschien ein ältlicher kleiner Italiäner ziemlich athemlos vom Erklimmen der vier Trep- </p> </div> </body> </text> </TEI> [432/0440]
für sich und vermehrte sie täglich: die Samlung von Kenntnissen.
Den Empfehlungsbrief abzugeben wollte mir nicht alsobald gelingen. Ich ging ein, zwei, drei Mal nach Humboldts Wohnung, Quai de l’Ecole 26, ohne ihn anzutreffen. Endlich fragte ich die Frau des Portiers, wann er denn zu Hause sei? ich hätte einen Brief an ihn abzugeben. Ah! c’est autre chose, Monsieur! Vous avez une lettre! Prenez la peine de monter au quatrième! Beim Hinaufsteigen überlegte ich mir, daß es für Humboldt ganz nothwendig sei, sich in der Regel verläugnen zu lassen, um von Besuchern nicht erdrückt zu werden.
Daß sein Empfang ein überaus freundlicher war, brauche ich wohl kaum zu bemerken: denn wen von den Hunderten, die sich ihm genähert, hätte er jemals nicht freundlich empfangen? Er besaß in hohem Grade die Eigenschaft, welche die Franzosen facilité d’abord nennen; man kam mit ihm auf die ungezwungenste Weise alsbald in ein anziehendes Gespräch, das ohne Mühe sich fortspann. Er bereitete damals seine Reise nach Asien vor und würde, wie er äußerte, schon aufgebrochen sein, wenn die Bestimmung seiner amerikanischen Pflanzen vollendet wäre. Jn seinem Zimmer hing eine gewaltige englische Karte von Ostindien, die fast eine halbe Wand einnahm. Als Einleitung zur Reise hatte er geschwind bei Sylvestre de Sacy persisch gelernt, weil diese Sprache in Vorderasien ungefähr dieselbe Verbreitung hat, wie das französische in Europa.
Nach kurzer Zeit meldete der Bediente den Professor Brera aus Mailand, und es erschien ein ältlicher kleiner Italiäner ziemlich athemlos vom Erklimmen der vier Trep-
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