Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].engen Kreise an einander, in dessen Mitte Ganzel fast ausschließlich verkehrte. Er besuchte mit ihnen die Vorlesungen und Hospitäler, er aß mit ihnen in einer bestimmten Restauration und ging mit ihnen ins Theater. Die Unterredung wurde natürlich nur deutsch geführt und da stellte es sich nach fünf Monaten heraus, daß Ganzel zwar dem Vortrage der Professoren folgen, aber nicht einen Satz in fließendem französisch zu Stande bringen könne. Was war zu thun? Ein Engländer hätte darin nichts arges gefunden, und wäre ruhig nach Hause zurückgekehrt, aber Ganzel besaß zuviel deutsche Solidität, um sich nachsagen zu lassen, er sei ein halbes Jahr in Paris gewesen, ohne französisch zu lernen. Er mußte also in den letzten Wochen für sein schweres Geld einen französischen Lehrer annehmen, und kam denn auch bald so weit, daß er sich zu Hause mit Ehren konnte sehn lassen. In Berlin hatte ich durch die Fürsorge meines gütigen Vaters in vielen Privatstunden einen guten Grund für das französische gelegt, so daß es mir in Paris nicht schwer wurde, an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Bald gewann ich Zutritt in einigen französischen Familien, die ich bei der Herzogin kennen gelernt, und machte nun ein besonderes Studium daraus, mir den feinsten pariser Dialekt anzueignen. Dies gelang bis auf einen gewissen Punkt, den kein Fremder, ohne affektirt zu erscheinen, überschreiten kann. Trotzdem verdroß es mich ein wenig, wenn man mich wegen meines langen Gesichtes und meiner steifen Haltung für einen Engländer ansah; dagegen galt ich in England, das ich im nächsten Frühjahr besuchte, für einen Franzosen, wegen eines kleinen goldnen Ohrringes, den ich mir in Paris hatte stechen lassen. Der Racen- engen Kreise an einander, in dessen Mitte Ganzel fast ausschließlich verkehrte. Er besuchte mit ihnen die Vorlesungen und Hospitäler, er aß mit ihnen in einer bestimmten Restauration und ging mit ihnen ins Theater. Die Unterredung wurde natürlich nur deutsch geführt und da stellte es sich nach fünf Monaten heraus, daß Ganzel zwar dem Vortrage der Professoren folgen, aber nicht einen Satz in fließendem französisch zu Stande bringen könne. Was war zu thun? Ein Engländer hätte darin nichts arges gefunden, und wäre ruhig nach Hause zurückgekehrt, aber Ganzel besaß zuviel deutsche Solidität, um sich nachsagen zu lassen, er sei ein halbes Jahr in Paris gewesen, ohne französisch zu lernen. Er mußte also in den letzten Wochen für sein schweres Geld einen französischen Lehrer annehmen, und kam denn auch bald so weit, daß er sich zu Hause mit Ehren konnte sehn lassen. In Berlin hatte ich durch die Fürsorge meines gütigen Vaters in vielen Privatstunden einen guten Grund für das französische gelegt, so daß es mir in Paris nicht schwer wurde, an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Bald gewann ich Zutritt in einigen französischen Familien, die ich bei der Herzogin kennen gelernt, und machte nun ein besonderes Studium daraus, mir den feinsten pariser Dialekt anzueignen. Dies gelang bis auf einen gewissen Punkt, den kein Fremder, ohne affektirt zu erscheinen, überschreiten kann. Trotzdem verdroß es mich ein wenig, wenn man mich wegen meines langen Gesichtes und meiner steifen Haltung für einen Engländer ansah; dagegen galt ich in England, das ich im nächsten Frühjahr besuchte, für einen Franzosen, wegen eines kleinen goldnen Ohrringes, den ich mir in Paris hatte stechen lassen. Der Racen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0445" n="437"/> engen Kreise an einander, in dessen Mitte Ganzel fast ausschließlich verkehrte. Er besuchte mit ihnen die Vorlesungen und Hospitäler, er aß mit ihnen in einer bestimmten Restauration und ging mit ihnen ins Theater. Die Unterredung wurde natürlich nur deutsch geführt und da stellte es sich nach fünf Monaten heraus, daß Ganzel zwar dem Vortrage der Professoren folgen, aber nicht einen Satz in fließendem französisch zu Stande bringen könne. Was war zu thun? Ein Engländer hätte darin nichts arges gefunden, und wäre ruhig nach Hause zurückgekehrt, aber Ganzel besaß zuviel deutsche Solidität, um sich nachsagen zu lassen, er sei ein halbes Jahr in Paris gewesen, ohne französisch zu lernen. Er mußte also in den letzten Wochen für sein schweres Geld einen französischen Lehrer annehmen, und kam denn auch bald so weit, daß er sich zu Hause mit Ehren konnte sehn lassen. </p><lb/> <p>In Berlin hatte ich durch die Fürsorge meines gütigen Vaters in vielen Privatstunden einen guten Grund für das französische gelegt, so daß es mir in Paris nicht schwer wurde, an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Bald gewann ich Zutritt in einigen französischen Familien, die ich bei der Herzogin kennen gelernt, und machte nun ein besonderes Studium daraus, mir den feinsten pariser Dialekt anzueignen. Dies gelang bis auf einen gewissen Punkt, den kein Fremder, ohne affektirt zu erscheinen, überschreiten kann. Trotzdem verdroß es mich ein wenig, wenn man mich wegen meines langen Gesichtes und meiner steifen Haltung für einen Engländer ansah; dagegen galt ich in England, das ich im nächsten Frühjahr besuchte, für einen Franzosen, wegen eines kleinen goldnen Ohrringes, den ich mir in Paris hatte stechen lassen. Der Racen- </p> </div> </body> </text> </TEI> [437/0445]
engen Kreise an einander, in dessen Mitte Ganzel fast ausschließlich verkehrte. Er besuchte mit ihnen die Vorlesungen und Hospitäler, er aß mit ihnen in einer bestimmten Restauration und ging mit ihnen ins Theater. Die Unterredung wurde natürlich nur deutsch geführt und da stellte es sich nach fünf Monaten heraus, daß Ganzel zwar dem Vortrage der Professoren folgen, aber nicht einen Satz in fließendem französisch zu Stande bringen könne. Was war zu thun? Ein Engländer hätte darin nichts arges gefunden, und wäre ruhig nach Hause zurückgekehrt, aber Ganzel besaß zuviel deutsche Solidität, um sich nachsagen zu lassen, er sei ein halbes Jahr in Paris gewesen, ohne französisch zu lernen. Er mußte also in den letzten Wochen für sein schweres Geld einen französischen Lehrer annehmen, und kam denn auch bald so weit, daß er sich zu Hause mit Ehren konnte sehn lassen.
In Berlin hatte ich durch die Fürsorge meines gütigen Vaters in vielen Privatstunden einen guten Grund für das französische gelegt, so daß es mir in Paris nicht schwer wurde, an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Bald gewann ich Zutritt in einigen französischen Familien, die ich bei der Herzogin kennen gelernt, und machte nun ein besonderes Studium daraus, mir den feinsten pariser Dialekt anzueignen. Dies gelang bis auf einen gewissen Punkt, den kein Fremder, ohne affektirt zu erscheinen, überschreiten kann. Trotzdem verdroß es mich ein wenig, wenn man mich wegen meines langen Gesichtes und meiner steifen Haltung für einen Engländer ansah; dagegen galt ich in England, das ich im nächsten Frühjahr besuchte, für einen Franzosen, wegen eines kleinen goldnen Ohrringes, den ich mir in Paris hatte stechen lassen. Der Racen-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/445>, abgerufen am 16.07.2024. |