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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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wenden, obgleich er von vorn herein nicht gewillet war, diese Paragraphen für Deutschland, geschweige denn für Oestreich zur Geltung kommen zu lassen. Mit den ungarischen und böhmischen sogenannten Postulatenlandtagen wußte er schon fertig zu werden. Allgemein wurde schon damals der Mangel eines Bundesgerichtes empfunden. Zwar konnte wohl niemand den Wunsch hegen, das frühere Reichskammergericht mit seinen schleppenden Formen wieder eingesetzt zu sehn, allein so schlecht es war, so war es doch immer eine Instanz, bei der die Stände gegen ihre Fürsten, die einzelnen Reichsmitglieder gegen einander sich Rechts erholen konnten. Mochte das Verfahren auch noch so unvollkommen sein, und mochte es auch niemandem einfallen, Oestreich oder Preußen vor das Reichskammergericht laden zu wollen, so gewährte es doch manchmal Schutz gegen die kleinen Tyrannen, welche bekanntlich immer die schlimmsten sind. So war gegen das Ende des 18. Jahrhunderts der Fall vorgekommen, daß ein Fürst von Waldeck wegen gänzlich verwahrloster Finanzwirtschaft unter Kuratel gesetzt, und ihm ein sehr mäßiges jährliches Einkommen ausgeworfen ward. So war es den würtenbergischen Ständen gelungen, gegen ihren Herzog Wilhelm, Schillers Protektor, einen Urtheilspruch zu erlangen, der seiner bodenlosen Verschwendung in etwas steuerte.

Alles dies fiel nun weg; jeder Fürst war ganz und gar souverän, die Völker blieben rechtlos. Es war eine politische Kurzsichtigkeit Metternichs, daß er sich ernsthaft einbildete, die Völker für immer in Unmündigkeit erhalten zu können.

Wenn ich jetzt, nach so vielen Jahren, wo der deut-

wenden, obgleich er von vorn herein nicht gewillet war, diese Paragraphen für Deutschland, geschweige denn für Oestreich zur Geltung kommen zu lassen. Mit den ungarischen und böhmischen sogenannten Postulatenlandtagen wußte er schon fertig zu werden. Allgemein wurde schon damals der Mangel eines Bundesgerichtes empfunden. Zwar konnte wohl niemand den Wunsch hegen, das frühere Reichskammergericht mit seinen schleppenden Formen wieder eingesetzt zu sehn, allein so schlecht es war, so war es doch immer eine Instanz, bei der die Stände gegen ihre Fürsten, die einzelnen Reichsmitglieder gegen einander sich Rechts erholen konnten. Mochte das Verfahren auch noch so unvollkommen sein, und mochte es auch niemandem einfallen, Oestreich oder Preußen vor das Reichskammergericht laden zu wollen, so gewährte es doch manchmal Schutz gegen die kleinen Tyrannen, welche bekanntlich immer die schlimmsten sind. So war gegen das Ende des 18. Jahrhunderts der Fall vorgekommen, daß ein Fürst von Waldeck wegen gänzlich verwahrloster Finanzwirtschaft unter Kuratel gesetzt, und ihm ein sehr mäßiges jährliches Einkommen ausgeworfen ward. So war es den würtenbergischen Ständen gelungen, gegen ihren Herzog Wilhelm, Schillers Protektor, einen Urtheilspruch zu erlangen, der seiner bodenlosen Verschwendung in etwas steuerte.

Alles dies fiel nun weg; jeder Fürst war ganz und gar souverän, die Völker blieben rechtlos. Es war eine politische Kurzsichtigkeit Metternichs, daß er sich ernsthaft einbildete, die Völker für immer in Unmündigkeit erhalten zu können.

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wenden, obgleich er von vorn herein nicht gewillet war, diese Paragraphen für Deutschland, geschweige denn für Oestreich zur Geltung kommen zu lassen. Mit den ungarischen und böhmischen sogenannten Postulatenlandtagen wußte er schon fertig zu werden. Allgemein wurde schon damals der Mangel eines Bundesgerichtes empfunden. Zwar konnte wohl niemand den Wunsch hegen, das frühere Reichskammergericht mit seinen schleppenden Formen wieder eingesetzt zu sehn, allein so schlecht es war, so war es doch immer eine Instanz, bei der die Stände gegen ihre Fürsten, die einzelnen Reichsmitglieder gegen einander sich Rechts erholen konnten. Mochte das Verfahren auch noch so unvollkommen sein, und mochte es auch niemandem einfallen, Oestreich oder Preußen vor das Reichskammergericht laden zu wollen, so gewährte es doch manchmal Schutz gegen die kleinen Tyrannen, welche bekanntlich immer die schlimmsten sind. So war gegen das Ende des 18. Jahrhunderts der Fall vorgekommen, daß ein Fürst von Waldeck wegen gänzlich verwahrloster Finanzwirtschaft unter Kuratel gesetzt, und ihm ein sehr mäßiges jährliches Einkommen ausgeworfen ward. So war es den würtenbergischen Ständen gelungen, gegen ihren Herzog Wilhelm, Schillers Protektor, einen Urtheilspruch zu erlangen, der seiner bodenlosen Verschwendung in etwas steuerte. </p><lb/>
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[37/0045] wenden, obgleich er von vorn herein nicht gewillet war, diese Paragraphen für Deutschland, geschweige denn für Oestreich zur Geltung kommen zu lassen. Mit den ungarischen und böhmischen sogenannten Postulatenlandtagen wußte er schon fertig zu werden. Allgemein wurde schon damals der Mangel eines Bundesgerichtes empfunden. Zwar konnte wohl niemand den Wunsch hegen, das frühere Reichskammergericht mit seinen schleppenden Formen wieder eingesetzt zu sehn, allein so schlecht es war, so war es doch immer eine Instanz, bei der die Stände gegen ihre Fürsten, die einzelnen Reichsmitglieder gegen einander sich Rechts erholen konnten. Mochte das Verfahren auch noch so unvollkommen sein, und mochte es auch niemandem einfallen, Oestreich oder Preußen vor das Reichskammergericht laden zu wollen, so gewährte es doch manchmal Schutz gegen die kleinen Tyrannen, welche bekanntlich immer die schlimmsten sind. So war gegen das Ende des 18. Jahrhunderts der Fall vorgekommen, daß ein Fürst von Waldeck wegen gänzlich verwahrloster Finanzwirtschaft unter Kuratel gesetzt, und ihm ein sehr mäßiges jährliches Einkommen ausgeworfen ward. So war es den würtenbergischen Ständen gelungen, gegen ihren Herzog Wilhelm, Schillers Protektor, einen Urtheilspruch zu erlangen, der seiner bodenlosen Verschwendung in etwas steuerte. Alles dies fiel nun weg; jeder Fürst war ganz und gar souverän, die Völker blieben rechtlos. Es war eine politische Kurzsichtigkeit Metternichs, daß er sich ernsthaft einbildete, die Völker für immer in Unmündigkeit erhalten zu können. Wenn ich jetzt, nach so vielen Jahren, wo der deut-

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/45>, abgerufen am 06.05.2024.