Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

war für mich eine große Freude: denn welcher Fremde wird so leicht Gelegenheit finden, das französische öffentliche Rechtsverfahren an der Hand eines so kundigen Führers kennen zu lernen?

Feuerbach hatte in einer früheren Schrift die Geschwornengerichte nur bedingt für zulässig erklärt; er wollte nun in Paris dieses Urtheil entweder bestätigen oder berichtigen. Sein Name diente uns beim Assisenhofe als die beste Empfehlung, und obgleich sich zehn gegen eins wetten ließ, daß keiner der Richter oder Räthe die mit Recht gefeierten kriminalistischen Schriften von Feuerbach gelesen, so ward er doch mit eben so höflichen als nichtssagenden Redensarten überhäuft. Besonders zuvorkommend erwies sich der Oberstaatsanwalt (Procureur general) Marchangy, ein feingebildeter vornehmer Mann, aus dessen Munde das allereleganteste näselnde französisch wie Honig herabfloß. Wir erhielten zwei abgesonderte bequeme Plätze, von wo man, unbehelligt von dem schwirrenden Publikum, den Verhandlungen ruhig folgen konnte.

In Deutschland existirten die Geschwornengerichte nur in der preußischen Rheinprovinz. Man wollte sie bei der Besitznahme im Jahre 1816 nicht gleich aufheben, obgleich sie den altpreußischen Traditionen keineswegs entsprachen, sondern man hoffte sie auf andre Weise zu beseitigen. Allein dabei wurde der preußischen Regierung und speciell dem Justizminister eine wunderbare Enttäuschung bereitet. Der Minister schickte nach und nach aus den alten Provinzen eine Menge Assessoren an den Rhein, die für das Landrecht und das schriftliche Verfahren Propaganda machen sollten. Die Wirkung war jedoch eine gerade entgegengesetzte. Alle diese Herren kehrten

war für mich eine große Freude: denn welcher Fremde wird so leicht Gelegenheit finden, das französische öffentliche Rechtsverfahren an der Hand eines so kundigen Führers kennen zu lernen?

Feuerbach hatte in einer früheren Schrift die Geschwornengerichte nur bedingt für zulässig erklärt; er wollte nun in Paris dieses Urtheil entweder bestätigen oder berichtigen. Sein Name diente uns beim Assisenhofe als die beste Empfehlung, und obgleich sich zehn gegen eins wetten ließ, daß keiner der Richter oder Räthe die mit Recht gefeierten kriminalistischen Schriften von Feuerbach gelesen, so ward er doch mit eben so höflichen als nichtssagenden Redensarten überhäuft. Besonders zuvorkommend erwies sich der Oberstaatsanwalt (Procureur général) Marchangy, ein feingebildeter vornehmer Mann, aus dessen Munde das allereleganteste näselnde französisch wie Honig herabfloß. Wir erhielten zwei abgesonderte bequeme Plätze, von wo man, unbehelligt von dem schwirrenden Publikum, den Verhandlungen ruhig folgen konnte.

In Deutschland existirten die Geschwornengerichte nur in der preußischen Rheinprovinz. Man wollte sie bei der Besitznahme im Jahre 1816 nicht gleich aufheben, obgleich sie den altpreußischen Traditionen keineswegs entsprachen, sondern man hoffte sie auf andre Weise zu beseitigen. Allein dabei wurde der preußischen Regierung und speciell dem Justizminister eine wunderbare Enttäuschung bereitet. Der Minister schickte nach und nach aus den alten Provinzen eine Menge Assessoren an den Rhein, die für das Landrecht und das schriftliche Verfahren Propaganda machen sollten. Die Wirkung war jedoch eine gerade entgegengesetzte. Alle diese Herren kehrten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0479" n="471"/>
war für mich eine große Freude: denn welcher Fremde wird so leicht Gelegenheit finden, das französische öffentliche Rechtsverfahren an der Hand eines so kundigen Führers kennen zu lernen? </p><lb/>
        <p>Feuerbach hatte in einer früheren Schrift die Geschwornengerichte nur bedingt für zulässig erklärt; er wollte nun in Paris dieses Urtheil entweder bestätigen oder berichtigen. Sein Name diente uns beim Assisenhofe als die beste Empfehlung, und obgleich sich zehn gegen eins wetten ließ, daß keiner der Richter oder Räthe die mit Recht gefeierten kriminalistischen Schriften von Feuerbach gelesen, so ward er doch mit eben so höflichen als nichtssagenden Redensarten überhäuft. Besonders zuvorkommend erwies sich der Oberstaatsanwalt (Procureur général) Marchangy, ein feingebildeter vornehmer Mann, aus dessen Munde das allereleganteste näselnde französisch wie Honig herabfloß. Wir erhielten zwei abgesonderte bequeme Plätze, von wo man, unbehelligt von dem schwirrenden Publikum, den Verhandlungen ruhig folgen konnte. </p><lb/>
        <p>In Deutschland existirten die Geschwornengerichte nur in der preußischen Rheinprovinz. Man wollte sie bei der Besitznahme im Jahre 1816 nicht gleich aufheben, obgleich sie den altpreußischen Traditionen keineswegs entsprachen, sondern man hoffte sie auf andre Weise zu beseitigen. Allein dabei wurde der preußischen Regierung und speciell dem Justizminister eine wunderbare Enttäuschung bereitet. Der Minister schickte nach und nach aus den alten Provinzen eine Menge Assessoren an den Rhein, die für das Landrecht und das schriftliche Verfahren Propaganda machen sollten. Die Wirkung war jedoch eine gerade entgegengesetzte. Alle diese Herren kehrten
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0479] war für mich eine große Freude: denn welcher Fremde wird so leicht Gelegenheit finden, das französische öffentliche Rechtsverfahren an der Hand eines so kundigen Führers kennen zu lernen? Feuerbach hatte in einer früheren Schrift die Geschwornengerichte nur bedingt für zulässig erklärt; er wollte nun in Paris dieses Urtheil entweder bestätigen oder berichtigen. Sein Name diente uns beim Assisenhofe als die beste Empfehlung, und obgleich sich zehn gegen eins wetten ließ, daß keiner der Richter oder Räthe die mit Recht gefeierten kriminalistischen Schriften von Feuerbach gelesen, so ward er doch mit eben so höflichen als nichtssagenden Redensarten überhäuft. Besonders zuvorkommend erwies sich der Oberstaatsanwalt (Procureur général) Marchangy, ein feingebildeter vornehmer Mann, aus dessen Munde das allereleganteste näselnde französisch wie Honig herabfloß. Wir erhielten zwei abgesonderte bequeme Plätze, von wo man, unbehelligt von dem schwirrenden Publikum, den Verhandlungen ruhig folgen konnte. In Deutschland existirten die Geschwornengerichte nur in der preußischen Rheinprovinz. Man wollte sie bei der Besitznahme im Jahre 1816 nicht gleich aufheben, obgleich sie den altpreußischen Traditionen keineswegs entsprachen, sondern man hoffte sie auf andre Weise zu beseitigen. Allein dabei wurde der preußischen Regierung und speciell dem Justizminister eine wunderbare Enttäuschung bereitet. Der Minister schickte nach und nach aus den alten Provinzen eine Menge Assessoren an den Rhein, die für das Landrecht und das schriftliche Verfahren Propaganda machen sollten. Die Wirkung war jedoch eine gerade entgegengesetzte. Alle diese Herren kehrten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/479
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/479>, abgerufen am 02.06.2024.