Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

begeistert von dem französischen Verfahren nach Berlin zurück, wo man denn zuletzt auch nicht umhin konnte, Mündlichkeit, Oeffentlichkeit und Geschworne einzuführen.

Feuerbach machte mich besonders darauf aufmerksam, wie ersprießlich es für ein gutes Vernehmen zwischen Volk und Regierung sei, wenn das Volk sehe, wie und warum die Urtheile erfolgen. Doch stellte er einige Schattenseiten des mündlichen Verfahrens nicht in Abrede: die Bestimmung, daß der Staatsanwalt stets das letzte Wort habe, sei gefährlich, weil ein geschickter Redner den Geschwornen ihr Verdikt leicht in den Mund legen könne; ferner sei es leider nur zu wahr, daß nächst den gemeinschaftlichen Haftlokalen auch die öffentlichen Verhandlungen der Kriminalprozesse eine wahre Lasterschule für Diebstahl, Einbruch, Betrug und andre Verbrechen bildeten. Dieses letzte Uebel lasse sich vielleicht durch eine etwas strengere Ausschließung der Oeffentlichkeit vermindern, und bei den Gefängnissen werde man wohl nolens volens zur Einzelhaft übergehn müssen.

In den pariser Assisen konnten wir uns überzeugen, daß in der That der wohlredende Staatsanwalt immer Recht behielt: es kamen dabei Fälle von sehr bedenklicher Natur vor, deren einer mir sehr erinnerlich geblieben ist, wegen der ungemeinen Aufregung, in die er den Feuerbach versetzte. Es ward ein sehr einfältig aussehender Landmann angeklagt, einen Kartoffelsack (nicht einen Sack Kartoffeln) gestolen zu haben. Die Sache war sehr einfach und klar, auch durch Zeugen bewiesen, und der Inculpat läugnete nicht einmal. Da richtete Marchangy eine wohlgesetzte Rede an die Geschwornen, ungefähr folgenden Inhaltes: Meine Herren, ich brauche Sie wohl kaum dar-

begeistert von dem französischen Verfahren nach Berlin zurück, wo man denn zuletzt auch nicht umhin konnte, Mündlichkeit, Oeffentlichkeit und Geschworne einzuführen.

Feuerbach machte mich besonders darauf aufmerksam, wie ersprießlich es für ein gutes Vernehmen zwischen Volk und Regierung sei, wenn das Volk sehe, wie und warum die Urtheile erfolgen. Doch stellte er einige Schattenseiten des mündlichen Verfahrens nicht in Abrede: die Bestimmung, daß der Staatsanwalt stets das letzte Wort habe, sei gefährlich, weil ein geschickter Redner den Geschwornen ihr Verdikt leicht in den Mund legen könne; ferner sei es leider nur zu wahr, daß nächst den gemeinschaftlichen Haftlokalen auch die öffentlichen Verhandlungen der Kriminalprozesse eine wahre Lasterschule für Diebstahl, Einbruch, Betrug und andre Verbrechen bildeten. Dieses letzte Uebel lasse sich vielleicht durch eine etwas strengere Ausschließung der Oeffentlichkeit vermindern, und bei den Gefängnissen werde man wohl nolens volens zur Einzelhaft übergehn müssen.

In den pariser Assisen konnten wir uns überzeugen, daß in der That der wohlredende Staatsanwalt immer Recht behielt: es kamen dabei Fälle von sehr bedenklicher Natur vor, deren einer mir sehr erinnerlich geblieben ist, wegen der ungemeinen Aufregung, in die er den Feuerbach versetzte. Es ward ein sehr einfältig aussehender Landmann angeklagt, einen Kartoffelsack (nicht einen Sack Kartoffeln) gestolen zu haben. Die Sache war sehr einfach und klar, auch durch Zeugen bewiesen, und der Inculpat läugnete nicht einmal. Da richtete Marchangy eine wohlgesetzte Rede an die Geschwornen, ungefähr folgenden Inhaltes: Meine Herren, ich brauche Sie wohl kaum dar-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0480" n="472"/>
begeistert von dem französischen Verfahren nach Berlin zurück, wo man denn zuletzt auch nicht umhin konnte, Mündlichkeit, Oeffentlichkeit und Geschworne einzuführen. </p><lb/>
        <p>Feuerbach machte mich besonders darauf aufmerksam, wie ersprießlich es für ein gutes Vernehmen zwischen Volk und Regierung sei, wenn das Volk sehe, wie und warum die Urtheile erfolgen. Doch stellte er einige Schattenseiten des mündlichen Verfahrens nicht in Abrede: die Bestimmung, daß der Staatsanwalt stets das letzte Wort habe, sei gefährlich, weil ein geschickter Redner den Geschwornen ihr Verdikt leicht in den Mund legen könne; ferner sei es leider nur zu wahr, daß nächst den gemeinschaftlichen Haftlokalen auch die öffentlichen Verhandlungen der Kriminalprozesse eine wahre Lasterschule für Diebstahl, Einbruch, Betrug und andre Verbrechen bildeten. Dieses letzte Uebel lasse sich vielleicht durch eine etwas strengere Ausschließung der Oeffentlichkeit vermindern, und bei den Gefängnissen werde man wohl nolens volens zur Einzelhaft übergehn müssen. </p><lb/>
        <p>In den pariser Assisen konnten wir uns überzeugen, daß in der That der wohlredende Staatsanwalt immer Recht behielt: es kamen dabei Fälle von sehr bedenklicher Natur vor, deren einer mir sehr erinnerlich geblieben ist, wegen der ungemeinen Aufregung, in die er den Feuerbach versetzte. Es ward ein sehr einfältig aussehender Landmann angeklagt, einen Kartoffelsack (nicht einen Sack Kartoffeln) gestolen zu haben. Die Sache war sehr einfach und klar, auch durch Zeugen bewiesen, und der Inculpat läugnete nicht einmal. Da richtete Marchangy eine wohlgesetzte Rede an die Geschwornen, ungefähr folgenden Inhaltes: Meine Herren, ich brauche Sie wohl kaum dar-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[472/0480] begeistert von dem französischen Verfahren nach Berlin zurück, wo man denn zuletzt auch nicht umhin konnte, Mündlichkeit, Oeffentlichkeit und Geschworne einzuführen. Feuerbach machte mich besonders darauf aufmerksam, wie ersprießlich es für ein gutes Vernehmen zwischen Volk und Regierung sei, wenn das Volk sehe, wie und warum die Urtheile erfolgen. Doch stellte er einige Schattenseiten des mündlichen Verfahrens nicht in Abrede: die Bestimmung, daß der Staatsanwalt stets das letzte Wort habe, sei gefährlich, weil ein geschickter Redner den Geschwornen ihr Verdikt leicht in den Mund legen könne; ferner sei es leider nur zu wahr, daß nächst den gemeinschaftlichen Haftlokalen auch die öffentlichen Verhandlungen der Kriminalprozesse eine wahre Lasterschule für Diebstahl, Einbruch, Betrug und andre Verbrechen bildeten. Dieses letzte Uebel lasse sich vielleicht durch eine etwas strengere Ausschließung der Oeffentlichkeit vermindern, und bei den Gefängnissen werde man wohl nolens volens zur Einzelhaft übergehn müssen. In den pariser Assisen konnten wir uns überzeugen, daß in der That der wohlredende Staatsanwalt immer Recht behielt: es kamen dabei Fälle von sehr bedenklicher Natur vor, deren einer mir sehr erinnerlich geblieben ist, wegen der ungemeinen Aufregung, in die er den Feuerbach versetzte. Es ward ein sehr einfältig aussehender Landmann angeklagt, einen Kartoffelsack (nicht einen Sack Kartoffeln) gestolen zu haben. Die Sache war sehr einfach und klar, auch durch Zeugen bewiesen, und der Inculpat läugnete nicht einmal. Da richtete Marchangy eine wohlgesetzte Rede an die Geschwornen, ungefähr folgenden Inhaltes: Meine Herren, ich brauche Sie wohl kaum dar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/480
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/480>, abgerufen am 24.11.2024.