Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

was einen fast komischen Eindruck macht, als wollte er sagen: ich störe doch nicht? hier steht er im Vorgrunde an einen Stuhl gelehnt in so edler und graziöser Stellung, daß man als höchstes Lob nur sagen kann: er ist raphaelisch! Hängt jetzt über meinem Stehpult und erfreut mich täglich.

Von dem wenig bekannten dänischen Maler Lund besaß Kohlrausch ein schönes kleines Oelbild: Neoptolemus und Andromache mit Astyanax an einem Altare; hinten das zerstörte Troja. Kräftig in der Farbe und von akademischer Korrektheit; bei den kleineren Figuren sind, nach einer damaligen Unsitte der Maler, nur die Augenbrauen, nicht die Augen angedeutet, so daß sie alle wie blind erscheinen. Gehört meiner Tochter Veronika.

Gehn wir nun von den Büsten und Gemälden zu den Kupferstichen über, so muß ich vor allen des gewaltigen jüngsten Gerichtes von Michelangelo gedenken. Der Stich von Metz, in 16 oder 20 Folioblättem, ist im Jahre 1804 in Rom ausgeführt. Metz war früher Maler gewesen, hatte aber die für einen Maler besonders verdriesliche Eigenschaft, die Farben nicht unterscheiden zu können, daher wandte er sich zur Kupferstecherkunst, und fertigte mehrere geschätzte Arbeiten, unter denen das jüngste Gericht die ausgezeichnetste. Allein wegen der damaligen Kriegszeiten konnte er nicht den gehofften Vortheil aus seinen Bemühungen ziehn, die Platten scheinen im Laufe der Jahre verloren zu sein, und Abdrücke gehören zu den grösten Seltenheiten. Kohlrausch hatte die losen Blätter von dem Künstler in Rom gekauft, und sie in Berlin von einem geschickten Buchbinder auf einen Blendrahmen von 6 Fuß Breite und 61/2 Fuß Höhe aufziehn lassen. Weil die Blätter

was einen fast komischen Eindruck macht, als wollte er sagen: ich störe doch nicht? hier steht er im Vorgrunde an einen Stuhl gelehnt in so edler und graziöser Stellung, daß man als höchstes Lob nur sagen kann: er ist raphaelisch! Hängt jetzt über meinem Stehpult und erfreut mich täglich.

Von dem wenig bekannten dänischen Maler Lund besaß Kohlrausch ein schönes kleines Oelbild: Neoptolemus und Andromache mit Astyanax an einem Altare; hinten das zerstörte Troja. Kräftig in der Farbe und von akademischer Korrektheit; bei den kleineren Figuren sind, nach einer damaligen Unsitte der Maler, nur die Augenbrauen, nicht die Augen angedeutet, so daß sie alle wie blind erscheinen. Gehört meiner Tochter Veronika.

Gehn wir nun von den Büsten und Gemälden zu den Kupferstichen über, so muß ich vor allen des gewaltigen jüngsten Gerichtes von Michelangelo gedenken. Der Stich von Metz, in 16 oder 20 Folioblättem, ist im Jahre 1804 in Rom ausgeführt. Metz war früher Maler gewesen, hatte aber die für einen Maler besonders verdriesliche Eigenschaft, die Farben nicht unterscheiden zu können, daher wandte er sich zur Kupferstecherkunst, und fertigte mehrere geschätzte Arbeiten, unter denen das jüngste Gericht die ausgezeichnetste. Allein wegen der damaligen Kriegszeiten konnte er nicht den gehofften Vortheil aus seinen Bemühungen ziehn, die Platten scheinen im Laufe der Jahre verloren zu sein, und Abdrücke gehören zu den grösten Seltenheiten. Kohlrausch hatte die losen Blätter von dem Künstler in Rom gekauft, und sie in Berlin von einem geschickten Buchbinder auf einen Blendrahmen von 6 Fuß Breite und 6½ Fuß Höhe aufziehn lassen. Weil die Blätter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0080" n="72"/>
was einen fast komischen Eindruck macht, als wollte er sagen: ich störe doch nicht? hier steht er im Vorgrunde an einen Stuhl gelehnt in so edler und graziöser Stellung, daß man als höchstes Lob nur sagen kann: er ist raphaelisch! Hängt jetzt über meinem Stehpult und erfreut mich täglich. </p><lb/>
        <p>Von dem wenig bekannten dänischen Maler Lund besaß Kohlrausch ein schönes kleines Oelbild: Neoptolemus und Andromache mit Astyanax an einem Altare; hinten das zerstörte Troja. Kräftig in der Farbe und von akademischer Korrektheit; bei den kleineren Figuren sind, nach einer damaligen Unsitte der Maler, nur die Augenbrauen, nicht die Augen angedeutet, so daß sie alle wie blind erscheinen. Gehört meiner Tochter Veronika. </p><lb/>
        <p>Gehn wir nun von den Büsten und Gemälden zu den Kupferstichen über, so muß ich vor allen des gewaltigen jüngsten Gerichtes von Michelangelo gedenken. Der Stich von Metz, in 16 oder 20 Folioblättem, ist im Jahre 1804 in Rom ausgeführt. Metz war früher Maler gewesen, hatte aber die für einen Maler besonders verdriesliche Eigenschaft, die Farben nicht unterscheiden zu können, daher wandte er sich zur Kupferstecherkunst, und fertigte mehrere geschätzte Arbeiten, unter denen das jüngste Gericht die ausgezeichnetste. Allein wegen der damaligen Kriegszeiten konnte er nicht den gehofften Vortheil aus seinen Bemühungen ziehn, die Platten scheinen im Laufe der Jahre verloren zu sein, und Abdrücke gehören zu den grösten Seltenheiten. Kohlrausch hatte die losen Blätter von dem Künstler in Rom gekauft, und sie in Berlin von einem geschickten Buchbinder auf einen Blendrahmen von 6 Fuß Breite und 6½ Fuß Höhe aufziehn lassen. Weil die Blätter
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0080] was einen fast komischen Eindruck macht, als wollte er sagen: ich störe doch nicht? hier steht er im Vorgrunde an einen Stuhl gelehnt in so edler und graziöser Stellung, daß man als höchstes Lob nur sagen kann: er ist raphaelisch! Hängt jetzt über meinem Stehpult und erfreut mich täglich. Von dem wenig bekannten dänischen Maler Lund besaß Kohlrausch ein schönes kleines Oelbild: Neoptolemus und Andromache mit Astyanax an einem Altare; hinten das zerstörte Troja. Kräftig in der Farbe und von akademischer Korrektheit; bei den kleineren Figuren sind, nach einer damaligen Unsitte der Maler, nur die Augenbrauen, nicht die Augen angedeutet, so daß sie alle wie blind erscheinen. Gehört meiner Tochter Veronika. Gehn wir nun von den Büsten und Gemälden zu den Kupferstichen über, so muß ich vor allen des gewaltigen jüngsten Gerichtes von Michelangelo gedenken. Der Stich von Metz, in 16 oder 20 Folioblättem, ist im Jahre 1804 in Rom ausgeführt. Metz war früher Maler gewesen, hatte aber die für einen Maler besonders verdriesliche Eigenschaft, die Farben nicht unterscheiden zu können, daher wandte er sich zur Kupferstecherkunst, und fertigte mehrere geschätzte Arbeiten, unter denen das jüngste Gericht die ausgezeichnetste. Allein wegen der damaligen Kriegszeiten konnte er nicht den gehofften Vortheil aus seinen Bemühungen ziehn, die Platten scheinen im Laufe der Jahre verloren zu sein, und Abdrücke gehören zu den grösten Seltenheiten. Kohlrausch hatte die losen Blätter von dem Künstler in Rom gekauft, und sie in Berlin von einem geschickten Buchbinder auf einen Blendrahmen von 6 Fuß Breite und 6½ Fuß Höhe aufziehn lassen. Weil die Blätter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/80
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/80>, abgerufen am 19.05.2024.