Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.Der Frühprediger Flachs sah aus wie ein rei¬ Der Kirchenrath, der seine Natur kannte aus Der Fruͤhprediger Flachs ſah aus wie ein rei¬ Der Kirchenrath, der ſeine Natur kannte aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0021" n="11"/> <p>Der Fruͤhprediger Flachs ſah aus wie ein rei¬<lb/> tender Betteljude, mit welchem ein Hengſt durch¬<lb/> geht; indes haͤtt' er mit ſeinem Herzen, das durch<lb/> Haus- und Kirchenjammer ſchon die beſten ſchwuͤl¬<lb/> ſten Wolken um ſich hatte, leicht wie eine Sonne<lb/> vor elendem Wetter auf der Stelle das noͤthigſte<lb/> Waſſer aufgezogen, waͤr' ihm nur nicht das her¬<lb/> ſchiffende Floͤs- Haus immer dazwiſchen gekom¬<lb/> men als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.</p><lb/> <p>Der Kirchenrath, der ſeine Natur kannte aus<lb/> Neujahrs- und Leichenpredigten, und der gewis<lb/> wußte, daß er ſich ſelber zuerſt erweiche, ſobald<lb/> er nur an andere Erweichungs- Reden halte,<lb/> ſtand auf — da er ſich und andere ſo lang am<lb/> Trockenſeile haͤngen ſah — und ſagte mit Wuͤr¬<lb/> de, jeder, der ſeine gedrukten Werke geleſen, wiſſe<lb/> gewis, daß er ein Herz im Buſen trage, das ſo<lb/> heilige Zeichen, wie Thraͤnen ſind, eher zuruͤk zu<lb/> draͤngen, um keinem Nebenmenſchen damit etwas<lb/> zu entziehen, als muͤhſam hervorzureizen noͤthig<lb/> habe aus Nebenabſichten — „Dies Herz hat ſie<lb/> ſchon vergoſſen, aber heimlich, denn Kabel war<lb/> ja mein Freund“ ſagt' er und ſah umher.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [11/0021]
Der Fruͤhprediger Flachs ſah aus wie ein rei¬
tender Betteljude, mit welchem ein Hengſt durch¬
geht; indes haͤtt' er mit ſeinem Herzen, das durch
Haus- und Kirchenjammer ſchon die beſten ſchwuͤl¬
ſten Wolken um ſich hatte, leicht wie eine Sonne
vor elendem Wetter auf der Stelle das noͤthigſte
Waſſer aufgezogen, waͤr' ihm nur nicht das her¬
ſchiffende Floͤs- Haus immer dazwiſchen gekom¬
men als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.
Der Kirchenrath, der ſeine Natur kannte aus
Neujahrs- und Leichenpredigten, und der gewis
wußte, daß er ſich ſelber zuerſt erweiche, ſobald
er nur an andere Erweichungs- Reden halte,
ſtand auf — da er ſich und andere ſo lang am
Trockenſeile haͤngen ſah — und ſagte mit Wuͤr¬
de, jeder, der ſeine gedrukten Werke geleſen, wiſſe
gewis, daß er ein Herz im Buſen trage, das ſo
heilige Zeichen, wie Thraͤnen ſind, eher zuruͤk zu
draͤngen, um keinem Nebenmenſchen damit etwas
zu entziehen, als muͤhſam hervorzureizen noͤthig
habe aus Nebenabſichten — „Dies Herz hat ſie
ſchon vergoſſen, aber heimlich, denn Kabel war
ja mein Freund“ ſagt' er und ſah umher.
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