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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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hern die Lebendigen sich mehr und das Gröste in
seiner Brust befreundet ihn mit dem Kleinsten in
der fremden. Fremde Dichtungen hingegen er¬
heben den Leser allein, aber den Boden und die
Nachbarschaft nicht mit.

Allmählig ließ ihn der Sonntag mit seinem
Schwalbengeschrei, Kirchengeläute, seinen Laden¬
diener-Klopfwerken und Nach-Walkmühlen an
Sonntagsröcken in allen Korridoren schwer mehr
sizen; er sehnte sich nach einem und dem andern
leibhaften Strahl der Morgensonne, von welcher
ihm in seinem Abendstübchen nichts zu Gesichte
kam als der Tag. Nachdem lange der Schreib¬
tisch und die sonnenhelle Natur ihre magnetischen
Stäbe an ihn gehalten und er sich vergeblich zwei
Ichs gewünscht, um mit dem einen spazieren zu
gehen, während das andere mit der Feder sas:
so verkehrte er dieses in jenes und trug die Brust
voll Himmelsluft und den Kopf voll Landschaf¬
ten (Aurorens Gold-Wölkgen spielten ihm auf
der Gaße noch um die Augen) über den frohen
lauten Markt, und zog mit dem Viertels-Flügel
der Fürstlichen Kriegsmacht fort, welcher blies

hern die Lebendigen ſich mehr und das Groͤſte in
ſeiner Bruſt befreundet ihn mit dem Kleinſten in
der fremden. Fremde Dichtungen hingegen er¬
heben den Leſer allein, aber den Boden und die
Nachbarſchaft nicht mit.

Allmaͤhlig ließ ihn der Sonntag mit ſeinem
Schwalbengeſchrei, Kirchengelaͤute, ſeinen Laden¬
diener-Klopfwerken und Nach-Walkmuͤhlen an
Sonntagsroͤcken in allen Korridoren ſchwer mehr
ſizen; er ſehnte ſich nach einem und dem andern
leibhaften Strahl der Morgenſonne, von welcher
ihm in ſeinem Abendſtuͤbchen nichts zu Geſichte
kam als der Tag. Nachdem lange der Schreib¬
tiſch und die ſonnenhelle Natur ihre magnetiſchen
Staͤbe an ihn gehalten und er ſich vergeblich zwei
Ichs gewuͤnſcht, um mit dem einen ſpazieren zu
gehen, waͤhrend das andere mit der Feder ſas:
ſo verkehrte er dieſes in jenes und trug die Bruſt
voll Himmelsluft und den Kopf voll Landſchaf¬
ten (Aurorens Gold-Woͤlkgen ſpielten ihm auf
der Gaße noch um die Augen) uͤber den frohen
lauten Markt, und zog mit dem Viertels-Fluͤgel
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[208/0218] hern die Lebendigen ſich mehr und das Groͤſte in ſeiner Bruſt befreundet ihn mit dem Kleinſten in der fremden. Fremde Dichtungen hingegen er¬ heben den Leſer allein, aber den Boden und die Nachbarſchaft nicht mit. Allmaͤhlig ließ ihn der Sonntag mit ſeinem Schwalbengeſchrei, Kirchengelaͤute, ſeinen Laden¬ diener-Klopfwerken und Nach-Walkmuͤhlen an Sonntagsroͤcken in allen Korridoren ſchwer mehr ſizen; er ſehnte ſich nach einem und dem andern leibhaften Strahl der Morgenſonne, von welcher ihm in ſeinem Abendſtuͤbchen nichts zu Geſichte kam als der Tag. Nachdem lange der Schreib¬ tiſch und die ſonnenhelle Natur ihre magnetiſchen Staͤbe an ihn gehalten und er ſich vergeblich zwei Ichs gewuͤnſcht, um mit dem einen ſpazieren zu gehen, waͤhrend das andere mit der Feder ſas: ſo verkehrte er dieſes in jenes und trug die Bruſt voll Himmelsluft und den Kopf voll Landſchaf¬ ten (Aurorens Gold-Woͤlkgen ſpielten ihm auf der Gaße noch um die Augen) uͤber den frohen lauten Markt, und zog mit dem Viertels-Fluͤgel der Fuͤrſtlichen Kriegsmacht fort, welcher blies

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/218>, abgerufen am 26.11.2024.