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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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Den Notar störte ausser dem Puder noch
das Herz. Die Nachmittags-Sonne glitt jezt
herein und ihre Blicke sogen und zogen hinaus
in die helle Welt, ins Freie; er bekam das Sonn¬
tags-Heimweh
, was fast armen Teufeln
mehr bekannt und beschwerlich ist, als reichen.
Wie oft trug er in Leipzig an schönen Sonntagen
die Vesper-Wehmuth durch die entvölkerten Al¬
leen um die Stadt! Nur erst Abends, wenn die
Sonne und die Lust-Gäste heimgiengen, wurd'
ihm wieder besser. Ich habe geplagte Kammer¬
jungfern gekannt, welche im Stande waren,
wöchentlich siebenthalbe Tage zu lachen und zu
springen, nur aber Sonntags nach dem Essen
unmöglich; das Herz und das Leben wurd' ih¬
nen Nachmittags zu schwer, sie strichen so lan¬
ge in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit
herum, bis sie darinn auf irgend ein dunkles
Pläzgen stießen, etwan auf ein altes niedriges
Grab, worauf sie sich sezten, um sich auszuwei¬
nen, bis die Herrschaft wieder kam. Gräfin,
Baronesse, Fürstin, Mulattin, Holländerin,
oder Freiin, oie du nach weiblicher Weise immer

Den Notar ſtoͤrte auſſer dem Puder noch
das Herz. Die Nachmittags-Sonne glitt jezt
herein und ihre Blicke ſogen und zogen hinaus
in die helle Welt, ins Freie; er bekam das Sonn¬
tags-Heimweh
, was faſt armen Teufeln
mehr bekannt und beſchwerlich iſt, als reichen.
Wie oft trug er in Leipzig an ſchoͤnen Sonntagen
die Veſper-Wehmuth durch die entvoͤlkerten Al¬
leen um die Stadt! Nur erſt Abends, wenn die
Sonne und die Luſt-Gaͤſte heimgiengen, wurd'
ihm wieder beſſer. Ich habe geplagte Kammer¬
jungfern gekannt, welche im Stande waren,
woͤchentlich ſiebenthalbe Tage zu lachen und zu
ſpringen, nur aber Sonntags nach dem Eſſen
unmoͤglich; das Herz und das Leben wurd' ih¬
nen Nachmittags zu ſchwer, ſie ſtrichen ſo lan¬
ge in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit
herum, bis ſie darinn auf irgend ein dunkles
Plaͤzgen ſtießen, etwan auf ein altes niedriges
Grab, worauf ſie ſich ſezten, um ſich auszuwei¬
nen, bis die Herrſchaft wieder kam. Graͤfin,
Baroneſſe, Fuͤrſtin, Mulattin, Hollaͤnderin,
oder Freiin, oie du nach weiblicher Weiſe immer

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[216/0226] Den Notar ſtoͤrte auſſer dem Puder noch das Herz. Die Nachmittags-Sonne glitt jezt herein und ihre Blicke ſogen und zogen hinaus in die helle Welt, ins Freie; er bekam das Sonn¬ tags-Heimweh, was faſt armen Teufeln mehr bekannt und beſchwerlich iſt, als reichen. Wie oft trug er in Leipzig an ſchoͤnen Sonntagen die Veſper-Wehmuth durch die entvoͤlkerten Al¬ leen um die Stadt! Nur erſt Abends, wenn die Sonne und die Luſt-Gaͤſte heimgiengen, wurd' ihm wieder beſſer. Ich habe geplagte Kammer¬ jungfern gekannt, welche im Stande waren, woͤchentlich ſiebenthalbe Tage zu lachen und zu ſpringen, nur aber Sonntags nach dem Eſſen unmoͤglich; das Herz und das Leben wurd' ih¬ nen Nachmittags zu ſchwer, ſie ſtrichen ſo lan¬ ge in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit herum, bis ſie darinn auf irgend ein dunkles Plaͤzgen ſtießen, etwan auf ein altes niedriges Grab, worauf ſie ſich ſezten, um ſich auszuwei¬ nen, bis die Herrſchaft wieder kam. Graͤfin, Baroneſſe, Fuͤrſtin, Mulattin, Hollaͤnderin, oder Freiin, oie du nach weiblicher Weiſe immer

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/226>, abgerufen am 25.11.2024.