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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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aber feste Seite an den Menschen oder der Mensch¬
heit nicht nur zeige, auch wirklich hervor bringe.
Aber desto besser! Der Staat macht den Men¬
schen nur einseitig und folglich einförmig. Der
Dichter sollte also, wenn er könnte, alle Wissen¬
schaften d. h. alle Einseitigkeiten in sich senden;
alle sind dann Vielseitigkeit; denn er allein ist ja
der einzige im Staat, der die Einseitigkeiten un¬
ter Einen Gesichtspunkt zu fassen Ruf und Kräf¬
te hat, und sie höher verknüpfen und durch loses
Schweben alles überblicken kann."

"Ganz evident, sagte der Fremde, ist mir
das nicht." -- "Ich will ein Beispiel geben,
versezte der Graf Klothar. Im ganzen minera¬
logischen, atomistischen oder todten Reiche der
Krystallisazion herrschet nur die gerade Linie,
der scharfe Winkel, das Eck; hingegen im dy¬
namischen Reiche von den Pflanzen bis zu den
Menschen regiert der Zirkel, die Kugel, die
Walze, die Schönheitswelle! Der Staat, Sir,
und die positive Wissenschaft wollen nur, daß
sein Arsenik, seine Salze, sein Demant, sein
Uranmetall in platten Tafeln, Prismen, lang¬

aber feſte Seite an den Menſchen oder der Menſch¬
heit nicht nur zeige, auch wirklich hervor bringe.
Aber deſto beſſer! Der Staat macht den Men¬
ſchen nur einſeitig und folglich einfoͤrmig. Der
Dichter ſollte alſo, wenn er koͤnnte, alle Wiſſen¬
ſchaften d. h. alle Einſeitigkeiten in ſich ſenden;
alle ſind dann Vielſeitigkeit; denn er allein iſt ja
der einzige im Staat, der die Einſeitigkeiten un¬
ter Einen Geſichtspunkt zu faſſen Ruf und Kraͤf¬
te hat, und ſie hoͤher verknuͤpfen und durch loſes
Schweben alles uͤberblicken kann.“

„Ganz evident, ſagte der Fremde, iſt mir
das nicht.“ — „Ich will ein Beiſpiel geben,
verſezte der Graf Klothar. Im ganzen minera¬
logiſchen, atomiſtiſchen oder todten Reiche der
Kryſtalliſazion herrſchet nur die gerade Linie,
der ſcharfe Winkel, das Eck; hingegen im dy¬
namiſchen Reiche von den Pflanzen bis zu den
Menſchen regiert der Zirkel, die Kugel, die
Walze, die Schoͤnheitswelle! Der Staat, Sir,
und die poſitive Wiſſenſchaft wollen nur, daß
ſein Arſenik, ſeine Salze, ſein Demant, ſein
Uranmetall in platten Tafeln, Prismen, lang¬

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[238/0248] aber feſte Seite an den Menſchen oder der Menſch¬ heit nicht nur zeige, auch wirklich hervor bringe. Aber deſto beſſer! Der Staat macht den Men¬ ſchen nur einſeitig und folglich einfoͤrmig. Der Dichter ſollte alſo, wenn er koͤnnte, alle Wiſſen¬ ſchaften d. h. alle Einſeitigkeiten in ſich ſenden; alle ſind dann Vielſeitigkeit; denn er allein iſt ja der einzige im Staat, der die Einſeitigkeiten un¬ ter Einen Geſichtspunkt zu faſſen Ruf und Kraͤf¬ te hat, und ſie hoͤher verknuͤpfen und durch loſes Schweben alles uͤberblicken kann.“ „Ganz evident, ſagte der Fremde, iſt mir das nicht.“ — „Ich will ein Beiſpiel geben, verſezte der Graf Klothar. Im ganzen minera¬ logiſchen, atomiſtiſchen oder todten Reiche der Kryſtalliſazion herrſchet nur die gerade Linie, der ſcharfe Winkel, das Eck; hingegen im dy¬ namiſchen Reiche von den Pflanzen bis zu den Menſchen regiert der Zirkel, die Kugel, die Walze, die Schoͤnheitswelle! Der Staat, Sir, und die poſitive Wiſſenſchaft wollen nur, daß ſein Arſenik, ſeine Salze, ſein Demant, ſein Uranmetall in platten Tafeln, Prismen, lang¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/248>, abgerufen am 22.11.2024.