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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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Mond, kein zückender Stern und worüber noch
verschämte Liebe das Augenlied als eine Amors-
Binde halb hereingezogen: so trat Walt unwill¬
kührlich zurück und ein körperlicher Schmerz drück¬
te in seinem Herzen als werd' es überfüllt.

Da auf der Erde alles so erbärmlich lang¬
sam geht, sie selber ausgenommen, und da
sogar der Himmel seine Rheinfälle in hundert
kleine Regenschauer zersezt: so ist ein Mensch wie
Walt ein Seeliger, dem statt der von hundert
Altären auffliegenden Phönix-Asche der Liebe
und Schönheit ganz plözlich der ausgespannte
goldne Vogel farbeglühend am Gesicht vorüber¬
streicht. Den Zeitungsschreiber, den plözlich
Bonaparte, den kritischen Magister, den plöz¬
lich Kant anspräche, würde der Schlag des Glücks
nicht stärker rühren.

Die Menge verhüllte Wina bald, so wie
den Weg auf der fernen Seite, den sie an ihre
alte Stelle zurück genommen. Walt sah sie da
wieder mit dem himmelblauen Kleide; und er
schalt sich, daß er vom verschwundenen Gesicht
nichts behalten als die Augen voll Traum und

Mond, kein zuͤckender Stern und woruͤber noch
verſchaͤmte Liebe das Augenlied als eine Amors-
Binde halb hereingezogen: ſo trat Walt unwill¬
kuͤhrlich zuruͤck und ein koͤrperlicher Schmerz druͤck¬
te in ſeinem Herzen als werd' es uͤberfuͤllt.

Da auf der Erde alles ſo erbaͤrmlich lang¬
ſam geht, ſie ſelber ausgenommen, und da
ſogar der Himmel ſeine Rheinfaͤlle in hundert
kleine Regenſchauer zerſezt: ſo iſt ein Menſch wie
Walt ein Seeliger, dem ſtatt der von hundert
Altaͤren auffliegenden Phoͤnix-Aſche der Liebe
und Schoͤnheit ganz ploͤzlich der ausgeſpannte
goldne Vogel farbegluͤhend am Geſicht voruͤber¬
ſtreicht. Den Zeitungsſchreiber, den ploͤzlich
Bonaparte, den kritiſchen Magiſter, den ploͤz¬
lich Kant anſpraͤche, wuͤrde der Schlag des Gluͤcks
nicht ſtaͤrker ruͤhren.

Die Menge verhuͤllte Wina bald, ſo wie
den Weg auf der fernen Seite, den ſie an ihre
alte Stelle zuruͤck genommen. Walt ſah ſie da
wieder mit dem himmelblauen Kleide; und er
ſchalt ſich, daß er vom verſchwundenen Geſicht
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[117/0125] Mond, kein zuͤckender Stern und woruͤber noch verſchaͤmte Liebe das Augenlied als eine Amors- Binde halb hereingezogen: ſo trat Walt unwill¬ kuͤhrlich zuruͤck und ein koͤrperlicher Schmerz druͤck¬ te in ſeinem Herzen als werd' es uͤberfuͤllt. Da auf der Erde alles ſo erbaͤrmlich lang¬ ſam geht, ſie ſelber ausgenommen, und da ſogar der Himmel ſeine Rheinfaͤlle in hundert kleine Regenſchauer zerſezt: ſo iſt ein Menſch wie Walt ein Seeliger, dem ſtatt der von hundert Altaͤren auffliegenden Phoͤnix-Aſche der Liebe und Schoͤnheit ganz ploͤzlich der ausgeſpannte goldne Vogel farbegluͤhend am Geſicht voruͤber¬ ſtreicht. Den Zeitungsſchreiber, den ploͤzlich Bonaparte, den kritiſchen Magiſter, den ploͤz¬ lich Kant anſpraͤche, wuͤrde der Schlag des Gluͤcks nicht ſtaͤrker ruͤhren. Die Menge verhuͤllte Wina bald, ſo wie den Weg auf der fernen Seite, den ſie an ihre alte Stelle zuruͤck genommen. Walt ſah ſie da wieder mit dem himmelblauen Kleide; und er ſchalt ſich, daß er vom verſchwundenen Geſicht nichts behalten als die Augen voll Traum und

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/125>, abgerufen am 16.05.2024.