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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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lich wenig Systematisches in Leid oder Freude
vorfalle, und daß man eben darum bei der fal¬
schen Voraussetzung einer trüben oder lichten
Konsequenz seine oder fremde Zukunft so
schlecht errathe; denn überall werden im histori¬
schen Bildersaal der Welt, aus den grösten Wol¬
ken kleine, aus den kleinsten große -- um die
grösten Sterne des Lebens ziehen sich dunkle Höfe
-- und nur der verhüllte Gott kann aus dem
Spiel des Lebens und der Geschichte einen Ernst
erschaffen.

Die Botenfrau aus Elterlein brachte Wal¬
ten folgendes Briefgen vom Bruder:

"Morgen Abends komm' ich, geh mir ent¬
gegen. Eben schneidet deine Mutter einer Bet¬
lerin Brod vor; denn ich bin in Elterlein im
Wirthshaus.

Ich habe seitdem in einigen bedeutenden
Marktflecken geblasen für Geld; es wachsen frei¬
lich mehr Gräser als Blumen, doch heben jene
diese, ich rede von Menschen. Es wird dir an¬
vertraut, daß ich vor meiner Abreise aus Haslau
so verstimmt war, wie eine Wind-Harfe oder wie

lich wenig Syſtematiſches in Leid oder Freude
vorfalle, und daß man eben darum bei der fal¬
ſchen Vorausſetzung einer truͤben oder lichten
Konſequenz ſeine oder fremde Zukunft ſo
ſchlecht errathe; denn uͤberall werden im hiſtori¬
ſchen Bilderſaal der Welt, aus den groͤſten Wol¬
ken kleine, aus den kleinſten große — um die
groͤſten Sterne des Lebens ziehen ſich dunkle Hoͤfe
— und nur der verhuͤllte Gott kann aus dem
Spiel des Lebens und der Geſchichte einen Ernſt
erſchaffen.

Die Botenfrau aus Elterlein brachte Wal¬
ten folgendes Briefgen vom Bruder:

„Morgen Abends komm' ich, geh mir ent¬
gegen. Eben ſchneidet deine Mutter einer Bet¬
lerin Brod vor; denn ich bin in Elterlein im
Wirthshaus.

Ich habe ſeitdem in einigen bedeutenden
Marktflecken geblaſen fuͤr Geld; es wachſen frei¬
lich mehr Graͤſer als Blumen, doch heben jene
dieſe, ich rede von Menſchen. Es wird dir an¬
vertraut, daß ich vor meiner Abreiſe aus Haslau
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[166/0174] lich wenig Syſtematiſches in Leid oder Freude vorfalle, und daß man eben darum bei der fal¬ ſchen Vorausſetzung einer truͤben oder lichten Konſequenz ſeine oder fremde Zukunft ſo ſchlecht errathe; denn uͤberall werden im hiſtori¬ ſchen Bilderſaal der Welt, aus den groͤſten Wol¬ ken kleine, aus den kleinſten große — um die groͤſten Sterne des Lebens ziehen ſich dunkle Hoͤfe — und nur der verhuͤllte Gott kann aus dem Spiel des Lebens und der Geſchichte einen Ernſt erſchaffen. Die Botenfrau aus Elterlein brachte Wal¬ ten folgendes Briefgen vom Bruder: „Morgen Abends komm' ich, geh mir ent¬ gegen. Eben ſchneidet deine Mutter einer Bet¬ lerin Brod vor; denn ich bin in Elterlein im Wirthshaus. Ich habe ſeitdem in einigen bedeutenden Marktflecken geblaſen fuͤr Geld; es wachſen frei¬ lich mehr Graͤſer als Blumen, doch heben jene dieſe, ich rede von Menſchen. Es wird dir an¬ vertraut, daß ich vor meiner Abreiſe aus Haslau ſo verſtimmt war, wie eine Wind-Harfe oder wie

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/174>, abgerufen am 24.11.2024.