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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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16 adelichen Räubern, Ehebrechern und Saufau¬
sen als ihr Enkel an einen Hof, oder in ein
Stift oder auf einen Landtag geleiten lässet, als
von einem Schock und Vortrab ehrlicher bürger¬
lichen davon hinwegführen. Worauf stolziert
denn der Edelmann? Zum Henker auf Gaben;
wie du und ich als Genies, wie der Millio¬
nair durch Erbschaft, wie die geborne Venus,
wie der geborne Herkules. Auf Rechte ist
niemand stolz, sondern auf Vorrechte. Lez¬
tere, sollt' ich hoffen, hat der Adel. So lang'
er ausschließend an jedem Hofe aufwarten, tan¬
zen, der Fürstin den Arm und die Suppe geben
darf, und die Karte nehmen: -- so lange die
deutsche Reichs-Geschichte von Häberlin noch
nie ein Paar bürgerliche Weibs-Füße am
Sonntag unter einer Hof-Tafel angetroffen und
vorgezogen (der Reichs-Anzeiger rede, wenn er
kann); -- so lange Armeen und Stifte und
Staaten ihre höchsten reichsten Frucht-Zweige
nie von gemeinen harten Händen pflücken las¬
sen, die blos auf die Wurzeln Erde schaffen,
und von den Wurzeln leben müssen: so lange

16 adelichen Raͤubern, Ehebrechern und Saufau¬
ſen als ihr Enkel an einen Hof, oder in ein
Stift oder auf einen Landtag geleiten laͤſſet, als
von einem Schock und Vortrab ehrlicher buͤrger¬
lichen davon hinwegfuͤhren. Worauf ſtolziert
denn der Edelmann? Zum Henker auf Gaben;
wie du und ich als Genies, wie der Millio¬
nair durch Erbſchaft, wie die geborne Venus,
wie der geborne Herkules. Auf Rechte iſt
niemand ſtolz, ſondern auf Vorrechte. Lez¬
tere, ſollt' ich hoffen, hat der Adel. So lang'
er ausſchließend an jedem Hofe aufwarten, tan¬
zen, der Fuͤrſtin den Arm und die Suppe geben
darf, und die Karte nehmen: — ſo lange die
deutſche Reichs-Geſchichte von Haͤberlin noch
nie ein Paar buͤrgerliche Weibs-Fuͤße am
Sonntag unter einer Hof-Tafel angetroffen und
vorgezogen (der Reichs-Anzeiger rede, wenn er
kann); — ſo lange Armeen und Stifte und
Staaten ihre hoͤchſten reichſten Frucht-Zweige
nie von gemeinen harten Haͤnden pfluͤcken laſ¬
ſen, die blos auf die Wurzeln Erde ſchaffen,
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[186/0194] 16 adelichen Raͤubern, Ehebrechern und Saufau¬ ſen als ihr Enkel an einen Hof, oder in ein Stift oder auf einen Landtag geleiten laͤſſet, als von einem Schock und Vortrab ehrlicher buͤrger¬ lichen davon hinwegfuͤhren. Worauf ſtolziert denn der Edelmann? Zum Henker auf Gaben; wie du und ich als Genies, wie der Millio¬ nair durch Erbſchaft, wie die geborne Venus, wie der geborne Herkules. Auf Rechte iſt niemand ſtolz, ſondern auf Vorrechte. Lez¬ tere, ſollt' ich hoffen, hat der Adel. So lang' er ausſchließend an jedem Hofe aufwarten, tan¬ zen, der Fuͤrſtin den Arm und die Suppe geben darf, und die Karte nehmen: — ſo lange die deutſche Reichs-Geſchichte von Haͤberlin noch nie ein Paar buͤrgerliche Weibs-Fuͤße am Sonntag unter einer Hof-Tafel angetroffen und vorgezogen (der Reichs-Anzeiger rede, wenn er kann); — ſo lange Armeen und Stifte und Staaten ihre hoͤchſten reichſten Frucht-Zweige nie von gemeinen harten Haͤnden pfluͤcken laſ¬ ſen, die blos auf die Wurzeln Erde ſchaffen, und von den Wurzeln leben muͤſſen: ſo lange

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/194>, abgerufen am 21.11.2024.