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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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Glanz äusserte: "warum giebt es aber jezt
keine mehr? Und warum ist alles so natürlich
und alltäglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin
selber einräumten. Doch mach' ich diese Ein¬
würfe gar nicht, Hr. Graf, als wenn ich
glaubte, daß Sie im Ernste jener Meinung
wären."

Hudo versezte: "dann verkennen Sie meine
Denkweise. Wie? Kann man aus dem Aus¬
setzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B.
einer elektrischen, einer somnabulistischen auf ihre
Unmöglichkeit schließen? Nur aus positiven Er¬
scheinungen ist zu beweisen; negative sind ein
logischer Widerspruch: Kennen wir die Bedin¬
gungen einer Erscheinung? So viele Menschen
und Jahre gehen vorüber, kein Genie ist darun¬
ter; -- und doch giebts Genies; -- könnt' es
nicht eben so mit den Sonntags-Kindern sein,
die Augen und Verhältnisse für Geister haben? --
Was Ihre Alltäglichkeit, die Sie einwenden,
anlangt, so gilt diese auch für jede positive Re¬
ligion, die sich in die Alltäglichkeit ihrer ersten
Apostel versteckt; alles Geistige schmiegt sich so

Glanz aͤuſſerte: „warum giebt es aber jezt
keine mehr? Und warum iſt alles ſo natuͤrlich
und alltaͤglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin
ſelber einraͤumten. Doch mach' ich dieſe Ein¬
wuͤrfe gar nicht, Hr. Graf, als wenn ich
glaubte, daß Sie im Ernſte jener Meinung
waͤren.“

Hudo verſezte: „dann verkennen Sie meine
Denkweiſe. Wie? Kann man aus dem Aus¬
ſetzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B.
einer elektriſchen, einer ſomnabuliſtiſchen auf ihre
Unmoͤglichkeit ſchließen? Nur aus poſitiven Er¬
ſcheinungen iſt zu beweiſen; negative ſind ein
logiſcher Widerſpruch: Kennen wir die Bedin¬
gungen einer Erſcheinung? So viele Menſchen
und Jahre gehen voruͤber, kein Genie iſt darun¬
ter; — und doch giebts Genies; — koͤnnt' es
nicht eben ſo mit den Sonntags-Kindern ſein,
die Augen und Verhaͤltniſſe fuͤr Geiſter haben? —
Was Ihre Alltaͤglichkeit, die Sie einwenden,
anlangt, ſo gilt dieſe auch fuͤr jede poſitive Re¬
ligion, die ſich in die Alltaͤglichkeit ihrer erſten
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[86/0094] Glanz aͤuſſerte: „warum giebt es aber jezt keine mehr? Und warum iſt alles ſo natuͤrlich und alltaͤglich dabei zugegangen, wie Sie vorhin ſelber einraͤumten. Doch mach' ich dieſe Ein¬ wuͤrfe gar nicht, Hr. Graf, als wenn ich glaubte, daß Sie im Ernſte jener Meinung waͤren.“ Hudo verſezte: „dann verkennen Sie meine Denkweiſe. Wie? Kann man aus dem Aus¬ ſetzen oder Wegbleiben einer Erfahrung, z. B. einer elektriſchen, einer ſomnabuliſtiſchen auf ihre Unmoͤglichkeit ſchließen? Nur aus poſitiven Er¬ ſcheinungen iſt zu beweiſen; negative ſind ein logiſcher Widerſpruch: Kennen wir die Bedin¬ gungen einer Erſcheinung? So viele Menſchen und Jahre gehen voruͤber, kein Genie iſt darun¬ ter; — und doch giebts Genies; — koͤnnt' es nicht eben ſo mit den Sonntags-Kindern ſein, die Augen und Verhaͤltniſſe fuͤr Geiſter haben? — Was Ihre Alltaͤglichkeit, die Sie einwenden, anlangt, ſo gilt dieſe auch fuͤr jede poſitive Re¬ ligion, die ſich in die Alltaͤglichkeit ihrer erſten Apoſtel verſteckt; alles Geiſtige ſchmiegt ſich ſo

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/94>, abgerufen am 21.11.2024.