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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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thetischen Kuren; -- aber kein engsichtiger und
engsüchtiger Aufklärer könnte sie geben, sondern
eine heilige dichterische Seele, welche die höchsten
Erscheinungen der Menschheit rein in sich und in
ihr anschauet, nicht ausser ihr in materiellen Zu¬
fälligkeiten sucht und findet -- welche das erste
Wunder aller Wunder versteht, nämlich Gott
selber, diese erste Geistererscheinung in uns vor
allen Geistererscheinungen auf dem engen Boden
eines endlichen Menschen." . . .

Hier konnte sich der Notar nicht länger hal¬
ten, eine solche schöne Seelenwanderung seiner
Gedanken hatt' er in dem hohen Jüngling nicht
gesucht: "auch im Weltall, hob er an, war Poe¬
sie früher als Prosa, und der Unendliche müste
vielen engen prosaischen Menschen, wenn sie es
sagen wollten, nicht prosaisch genug denken."

"Was wir uns als höhere Wesen denken,
sind wir selber, eben weil wir sie denken; wo
unser Denken aufhört, fängt das Wesen an"
sagte Klothar feurig, ohne auf den Notarius
sonderlich hinzusehen.

"Wir ziehen immer nur einen Theater-Vor¬

Flegeljahre II. Bd. 7

thetiſchen Kuren; — aber kein engſichtiger und
engſuͤchtiger Aufklaͤrer koͤnnte ſie geben, ſondern
eine heilige dichteriſche Seele, welche die hoͤchſten
Erſcheinungen der Menſchheit rein in ſich und in
ihr anſchauet, nicht auſſer ihr in materiellen Zu¬
faͤlligkeiten ſucht und findet — welche das erſte
Wunder aller Wunder verſteht, naͤmlich Gott
ſelber, dieſe erſte Geiſtererſcheinung in uns vor
allen Geiſtererſcheinungen auf dem engen Boden
eines endlichen Menſchen.“ . . .

Hier konnte ſich der Notar nicht laͤnger hal¬
ten, eine ſolche ſchoͤne Seelenwanderung ſeiner
Gedanken hatt' er in dem hohen Juͤngling nicht
geſucht: „auch im Weltall, hob er an, war Poe¬
ſie fruͤher als Proſa, und der Unendliche muͤſte
vielen engen proſaiſchen Menſchen, wenn ſie es
ſagen wollten, nicht proſaiſch genug denken.“

„Was wir uns als hoͤhere Weſen denken,
ſind wir ſelber, eben weil wir ſie denken; wo
unſer Denken aufhoͤrt, faͤngt das Weſen an“
ſagte Klothar feurig, ohne auf den Notarius
ſonderlich hinzuſehen.

„Wir ziehen immer nur einen Theater-Vor¬

Flegeljahre II. Bd. 7
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[89/0097] thetiſchen Kuren; — aber kein engſichtiger und engſuͤchtiger Aufklaͤrer koͤnnte ſie geben, ſondern eine heilige dichteriſche Seele, welche die hoͤchſten Erſcheinungen der Menſchheit rein in ſich und in ihr anſchauet, nicht auſſer ihr in materiellen Zu¬ faͤlligkeiten ſucht und findet — welche das erſte Wunder aller Wunder verſteht, naͤmlich Gott ſelber, dieſe erſte Geiſtererſcheinung in uns vor allen Geiſtererſcheinungen auf dem engen Boden eines endlichen Menſchen.“ . . . Hier konnte ſich der Notar nicht laͤnger hal¬ ten, eine ſolche ſchoͤne Seelenwanderung ſeiner Gedanken hatt' er in dem hohen Juͤngling nicht geſucht: „auch im Weltall, hob er an, war Poe¬ ſie fruͤher als Proſa, und der Unendliche muͤſte vielen engen proſaiſchen Menſchen, wenn ſie es ſagen wollten, nicht proſaiſch genug denken.“ „Was wir uns als hoͤhere Weſen denken, ſind wir ſelber, eben weil wir ſie denken; wo unſer Denken aufhoͤrt, faͤngt das Weſen an“ ſagte Klothar feurig, ohne auf den Notarius ſonderlich hinzuſehen. „Wir ziehen immer nur einen Theater-Vor¬ Flegeljahre II. Bd. 7

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/97>, abgerufen am 16.05.2024.