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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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des melodischen Vormittags, in jener epischen
Stimmung sitzen, worin er das Kommen und
das Verschwinden der Sterblichen im Wirths¬
hause ansah, und warten, bevor man ihm sein
Tisch-Tuch und seinen Teller Essen auftrug.
Es ist vielleicht der Mühe werth, zu bemerken,
daß er nicht aufaß, theils aus Freundlichkeit
gegen den Wirth, um ihn nicht um die Nach¬
lese zu bringen, theils weil der Mensch, gleich seinen
Unter-Königen, dem Adler und dem Löwen, eine
besondere Neigung hat, nie rein aufzuspeisen,
wie man an Kindern am ersten wahrnimmt.
Der Notar begriff gar nicht, wie der Bauers¬
mann und andere Gäste im Stande sein konnten,
den Teller ordentlich zu scheuern und zu troknen,
und jeden abgeglätteten Knochen noch zu tre¬
panieren und, wie Canonen und Perlen, zu
durchbohren.

Nach dem Essen stellte er sich vor die ofne
Saalthüre der Tafelstube, um mit dem im Zau¬
berthal gefundenen Zollzettel in der Hand, und
mit dessen Uebergabe zu warten, bis die speisen¬
den Fuhrleute, die er in corpore anzureden

des melodiſchen Vormittags, in jener epiſchen
Stimmung ſitzen, worin er das Kommen und
das Verſchwinden der Sterblichen im Wirths¬
hauſe anſah, und warten, bevor man ihm ſein
Tiſch-Tuch und ſeinen Teller Eſſen auftrug.
Es iſt vielleicht der Muͤhe werth, zu bemerken,
daß er nicht aufaß, theils aus Freundlichkeit
gegen den Wirth, um ihn nicht um die Nach¬
leſe zu bringen, theils weil der Menſch, gleich ſeinen
Unter-Koͤnigen, dem Adler und dem Loͤwen, eine
beſondere Neigung hat, nie rein aufzuſpeiſen,
wie man an Kindern am erſten wahrnimmt.
Der Notar begriff gar nicht, wie der Bauers¬
mann und andere Gaͤſte im Stande ſein konnten,
den Teller ordentlich zu ſcheuern und zu troknen,
und jeden abgeglaͤtteten Knochen noch zu tre¬
panieren und, wie Canonen und Perlen, zu
durchbohren.

Nach dem Eſſen ſtellte er ſich vor die ofne
Saalthuͤre der Tafelſtube, um mit dem im Zau¬
berthal gefundenen Zollzettel in der Hand, und
mit deſſen Uebergabe zu warten, bis die ſpeiſen¬
den Fuhrleute, die er in corpore anzureden

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[100/0108] des melodiſchen Vormittags, in jener epiſchen Stimmung ſitzen, worin er das Kommen und das Verſchwinden der Sterblichen im Wirths¬ hauſe anſah, und warten, bevor man ihm ſein Tiſch-Tuch und ſeinen Teller Eſſen auftrug. Es iſt vielleicht der Muͤhe werth, zu bemerken, daß er nicht aufaß, theils aus Freundlichkeit gegen den Wirth, um ihn nicht um die Nach¬ leſe zu bringen, theils weil der Menſch, gleich ſeinen Unter-Koͤnigen, dem Adler und dem Loͤwen, eine beſondere Neigung hat, nie rein aufzuſpeiſen, wie man an Kindern am erſten wahrnimmt. Der Notar begriff gar nicht, wie der Bauers¬ mann und andere Gaͤſte im Stande ſein konnten, den Teller ordentlich zu ſcheuern und zu troknen, und jeden abgeglaͤtteten Knochen noch zu tre¬ panieren und, wie Canonen und Perlen, zu durchbohren. Nach dem Eſſen ſtellte er ſich vor die ofne Saalthuͤre der Tafelſtube, um mit dem im Zau¬ berthal gefundenen Zollzettel in der Hand, und mit deſſen Uebergabe zu warten, bis die ſpeiſen¬ den Fuhrleute, die er in corpore anzureden

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/108>, abgerufen am 27.11.2024.