Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

fliegend in die Höhe zog, wie er nur wollte. Izt
aber nach dieser Menschwerdung des Geisterwe¬
sens stand Walt neben seines Gleichen. Der
zweite Grund, warum er stehen blieb, war, weil
er im Briefe weiter lesen und sehen wollte, was
er morgen erfahren, und welchen Weg er nehmen
werde. "Es war wahrhaftig das erstemal in
meinem Leben, schreibt er, daß ich mich der selt¬
samen Empfindung nahte, ordentlich so hell wie
über eine Gegenwart hinweg in eine Zukunft hin¬
ein zu sehen, und künftige Stunden zweimal zu
haben, jezt und einst."

In der Gaststube war die Maske nicht mehr.
Er las herzklopfend die Marsch- und Lebensrou¬
te des Morgens:

"Darauf wurde der Traum wieder etwas
menschlicher. Ich sah, wie am Morgen darauf
dein Genius, und das Un-Gesicht dir auf zwei
verschiedenen Wegen vorflogen, um dich zu lo¬
cken; du folgtest aber dem Genius und giengest
statt nach St. Lüne lieber nach Rosenhof. Dar¬
über fiel das Un-Gesicht in Stücken herab, ei¬
nen Todtenkopf und einige Knochen sah ich deut¬

fliegend in die Hoͤhe zog, wie er nur wollte. Izt
aber nach dieſer Menſchwerdung des Geiſterwe¬
ſens ſtand Walt neben ſeines Gleichen. Der
zweite Grund, warum er ſtehen blieb, war, weil
er im Briefe weiter leſen und ſehen wollte, was
er morgen erfahren, und welchen Weg er nehmen
werde. „Es war wahrhaftig das erſtemal in
meinem Leben, ſchreibt er, daß ich mich der ſelt¬
ſamen Empfindung nahte, ordentlich ſo hell wie
uͤber eine Gegenwart hinweg in eine Zukunft hin¬
ein zu ſehen, und kuͤnftige Stunden zweimal zu
haben, jezt und einſt.“

In der Gaſtſtube war die Maſke nicht mehr.
Er las herzklopfend die Marſch- und Lebensrou¬
te des Morgens:

„Darauf wurde der Traum wieder etwas
menſchlicher. Ich ſah, wie am Morgen darauf
dein Genius, und das Un-Geſicht dir auf zwei
verſchiedenen Wegen vorflogen, um dich zu lo¬
cken; du folgteſt aber dem Genius und giengeſt
ſtatt nach St. Luͤne lieber nach Roſenhof. Dar¬
uͤber fiel das Un-Geſicht in Stuͤcken herab, ei¬
nen Todtenkopf und einige Knochen ſah ich deut¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="132"/>
fliegend in die Ho&#x0364;he zog, wie er nur wollte. Izt<lb/>
aber nach die&#x017F;er Men&#x017F;chwerdung des Gei&#x017F;terwe¬<lb/>
&#x017F;ens &#x017F;tand Walt neben &#x017F;eines Gleichen. Der<lb/>
zweite Grund, warum er &#x017F;tehen blieb, war, weil<lb/>
er im Briefe weiter le&#x017F;en und &#x017F;ehen wollte, was<lb/>
er morgen erfahren, und welchen Weg er nehmen<lb/>
werde. &#x201E;Es war wahrhaftig das er&#x017F;temal in<lb/>
meinem Leben, &#x017F;chreibt er, daß ich mich der &#x017F;elt¬<lb/>
&#x017F;amen Empfindung nahte, ordentlich &#x017F;o hell wie<lb/>
u&#x0364;ber eine Gegenwart hinweg in eine Zukunft hin¬<lb/>
ein zu &#x017F;ehen, und ku&#x0364;nftige Stunden zweimal zu<lb/>
haben, jezt und ein&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>In der Ga&#x017F;t&#x017F;tube war die Ma&#x017F;ke nicht mehr.<lb/>
Er las herzklopfend die Mar&#x017F;ch- und Lebensrou¬<lb/>
te des Morgens:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Darauf wurde der Traum wieder etwas<lb/>
men&#x017F;chlicher. Ich &#x017F;ah, wie am Morgen darauf<lb/>
dein Genius, und das Un-Ge&#x017F;icht dir auf zwei<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Wegen vorflogen, um dich zu lo¬<lb/>
cken; du folgte&#x017F;t aber dem Genius und gienge&#x017F;t<lb/>
&#x017F;tatt nach St. Lu&#x0364;ne lieber nach Ro&#x017F;enhof. Dar¬<lb/>
u&#x0364;ber fiel das Un-Ge&#x017F;icht in Stu&#x0364;cken herab, ei¬<lb/>
nen Todtenkopf und einige Knochen &#x017F;ah ich deut¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0140] fliegend in die Hoͤhe zog, wie er nur wollte. Izt aber nach dieſer Menſchwerdung des Geiſterwe¬ ſens ſtand Walt neben ſeines Gleichen. Der zweite Grund, warum er ſtehen blieb, war, weil er im Briefe weiter leſen und ſehen wollte, was er morgen erfahren, und welchen Weg er nehmen werde. „Es war wahrhaftig das erſtemal in meinem Leben, ſchreibt er, daß ich mich der ſelt¬ ſamen Empfindung nahte, ordentlich ſo hell wie uͤber eine Gegenwart hinweg in eine Zukunft hin¬ ein zu ſehen, und kuͤnftige Stunden zweimal zu haben, jezt und einſt.“ In der Gaſtſtube war die Maſke nicht mehr. Er las herzklopfend die Marſch- und Lebensrou¬ te des Morgens: „Darauf wurde der Traum wieder etwas menſchlicher. Ich ſah, wie am Morgen darauf dein Genius, und das Un-Geſicht dir auf zwei verſchiedenen Wegen vorflogen, um dich zu lo¬ cken; du folgteſt aber dem Genius und giengeſt ſtatt nach St. Luͤne lieber nach Roſenhof. Dar¬ uͤber fiel das Un-Geſicht in Stuͤcken herab, ei¬ nen Todtenkopf und einige Knochen ſah ich deut¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/140
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/140>, abgerufen am 27.11.2024.